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Beiheft WS 2006/2007 << Damals und heute


Damals und heute
50 Jahre Studium der Germanistik in Szeged – Lehrstuhlleiter im Gespräch

Autoren: Anita Kökény, Tímea Almási, András Horváth, Tünde Markó-Boda

Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Neuetablierung unseres Instituts haben wir sechs LehrstuhlleiterInnen, die in Szeged Germanistik studiert haben, Fragen gestellt. Prof. Dr. Árpád Bernáth (Leiter des Lehrstuhls für deutsche Literatur an der Universität Szeged), Prof. Dr. Károly Csúri (Leiter des Lehrstuhls für österreichische Literatur und Kultur an der Universität Szeged), Dr. habil. Tamás Forgács (Leiter des Instituts für Ungarische Sprache und Literatur an der Universität Szeged, Leiter des Lehrstuhls für ungarische Sprachwissenschaft an der Universität Szeged), Prof. Dr. Magdolna Orosz (Leiterin des Lehrstuhls für deutschsprachige Literaturen an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest), Dr. habil. Zoltán Szendi (Leiter des Lehrstuhls für deutschsprachige Literaturen an der Universität Pécs), Prof. Dr. Katharina Wild (ehem. Leiterin des Lehrstuhls für deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Pécs) erzählen über damals und heute, über schöne Erinnerungen, über ihre Erfahrungen.

Sie haben an der Universität in Szeged Germanistik studiert. Warum haben Sie eben dieses Fach gewählt?
Bernáth: Ich wollte mich eigentlich mit der ungarischen Literatur beschäftigen und ich versuchte auch, mich an der ELTE für das Fach Ungarische Geschichte einzuschreiben. Damals gab es aber keine Aufnahmeprüfung, sondern ein Gespräch, darin musste man darüber Bescheid geben, was man im Gymnasium erreicht hatte. Auf Grund dieses Gesprächs und politischer Gesichtspunkte wurde entschieden, ob man aufgenommen wurde oder nicht. Ich wurde aus politischen Gründen nicht zugelassen. Dann habe ich angefangen zu arbeiten (als Hilfsarbeiter bei einer Firma). Inzwischen kam ich darauf, dass es ohne Fremdsprachenkenntnisse nicht geht. Meine Aufnahme wurde wiederum abgelehnt, als ich mich hier meldete, aber vom damaligen Rektor und dadurch vom Ministerium schließlich doch zugelassen. Ich hatte zwei Sprachen: Russisch lernte ich in der Schule und wollte mehr Englisch lernen, aber es stellte sich heraus, dass ich nur in Szeged zugelassen wurde. In Szeged gab es noch deutsche Sprache und Literatur zu der Zeit. Und so habe ich Germanistik studiert.
Csúri: Ich habe von 1964 bis 1969 Germanistik und Ang­listik studiert. Im Gymnasium hat mich die Literatur weniger interessiert, ich wollte eher nur Fremdsprachen lernen. Ich habe dann überlegt, womit ich die Fremdsprachen verbinden könnte und entschied mich erst in der vierten Klasse für das Germanistikstudium.
Forgács: Eigentlich wollte ich Ungarisch und Geschichte studieren, aber im dritten Schuljahr des Gymnasiums, in dem ich mich schon etwas intensiver mit dem Ungarischen beschäftigt hatte, bin ich selber darauf gekommen, dass man wirklich intensiv kein Fach, kein Studium ohne Sprachkenntnisse machen kann. Da ich ein Gymnasium mit erweitertem Deutschunterricht besuchte, ergab es sich von selbst, dass ich dann Deutsch wählte. Dann habe ich schnell das Niveau meiner damaligen Deutschkenntnisse verbessert und so dann Ungarisch und Germanistik studiert.
Orosz: Es war eigentlich Zufall, weil ich im Gymnasium Radnóti in einer Spezialklasse für Französisch war. Das Deutsche habe ich von daheim mitgebracht, weil mein Vater ursprünglich Deutschlehrer war und mich zuerst mit dem Deutschen bekannt machen wollte, und obwohl er es nach etwa einem Jahr aufgab, weil er nie dazu Zeit hatte, war das Interesse immerhin da. Es war damals üblich, zu Briefpartnern in die DDR zu fahren. Außerdem habe ich sehr viel gelesen, darunter auch französische und deutsche Literatur. Ich hatte aber ein breites Interesse, auch Mathematik und Chemie lagen mir, und deshalb habe ich lange Zeit überlegt, ob ich Chemie studieren sollte. Aber dann habe ich das aufgegeben. Man hätte damals Romanistik, Germanistik und Chemie nicht so parallel machen können, also habe ich mich entschieden, an die Philosophische Fakultät zu gehen.
Szendi: Meine Eltern konnten sehr gut deutsch, da sie Ungarndeutsche waren. Das war ein Grund. Dann habe ich mich eigentlich auch sehr für die Literatur interessiert und so habe ich auch die deutschen Autoren kennen gelernt, und das hat mich dann auch motiviert.
Wild: Warum habe ich mich für Germanistik entschieden? Es ist sehr einfach, wie auch mein Name Wild zeigt. Ich stamme aus Baranya und gehöre zur ungarndeutschen Minderheit.

Mit welchen Gebieten beschäftigen Sie sich gern? Warum haben Sie diese als Hauptbereiche gewählt?
Bernáth: (Literatur) Das hat mehrere Gründe. Mein Grunderlebnis war die Revolution im Jahre 1956 und die Rolle der Schriftsteller. Das war eine große Befreiung von der Lüge. Ich wollte eigentlich Ingenieur werden, aber ich begann mit 15-16 immer mehr die sog. große Literatur ungarischer Autoren zu lesen und parallel die Stellungnahmen der ungarischen Autoren zu der Lage der Nation. Es gab die „Irodalmi újság”, und in dieser Phase habe ich erlebt, dass die Literatur nicht Unterhaltung ist, sondern ein Weg, die Menschen und die Gesellschaft zu verstehen. Man muss einen freien Willen haben, und wir müssen ständig entscheiden, was wir tun, demonstrieren oder nicht, und welche Folgen das hat. Ich habe das damals erkannt, also dass Literatur wichtig ist.
Csúri: (Literatur) Damals war es eine hauptsächlich organisatorische Angelegenheit gewesen, dass wir ein Institut zu Stande gebracht und auch einen Lehrstuhl für österreichische Literatur und Kultur im Jahre 1993 gegründet haben. Herr Prof. Bernáth übernahm die deutsche Literaturwissenschaft (sein Hauptinteresse war und ist Heinrich Böll), ich interessierte mich eher für österreichische Autoren (Hoffmannstahl und Trakl), insofern war das gleichsam vorprogrammiert, wer was in der Zukunft machen würde. Im Jahre 1999 wurde ich ersucht, die Leitung des Ungarischen Kulturinstituts in Wien zu übernehmen, was ich sehr gerne getan habe. Insgesamt fünfeinhalb Jahre habe ich in Wien verbracht, und bin während dieser Zeit, verständlicherweise, mit der österreichischen Kultur in engen Kontakt geraten. Als ich nach Szeged zurückkam, habe ich meine frühere Arbeit fortgesetzt. Ich beschäftige mich auch heute - neben zahlreichen anderen Autoren wie F. Schiller, G. Hauptmann, H. v. Hofmannsthal, Th. Mann, G. Benn, G. Heym, W. Borchert usw. - hauptsächlich und am liebsten mit der Dichtung Georg Trakls. Er ist doch einer der größten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts, auch wenn er bei uns in Ungarn wenig bekannt ist. Seine Lyrik ist faszinierend, ihre Verständnisschwierigkeiten bedeuten eine große Herausforderung für jeden Germanisten.
Forgács: (Linguistik) Während des Studiums an der Universität war ich in beiden Disziplinen Linguistik und Literatur relativ gut, aber ich habe im Fach Ungarisch noch eine Zusatzausbildung für ungarische Sprachgeschichte gemacht, und somit tendierte mein Interesse eher zur Linguistik. Obwohl mir nach dem Studium an beiden Lehrstühlen eine Stelle angeboten wurde, habe ich lieber die Linguistik gewählt, weil ich deutschen Barock hätte unterrichten sollen. Das war mir weniger lieb, als auf dem Lehrstuhl für ungarische Sprache Linguistik zu treiben. So habe ich diese Stelle angenommen.
Orosz: (Literatur) Ich beschäftige mich seit meinen Anfängen mit literaturtheoretischen Fragen. Der Anlass dazu kommt aus Szeged und wird heutzutage als Szegeder Schule benannt, mit den Vertretern Árpád Bernáth, Károly Csúri und Zoltán Kanyó, die mich als Studentin mit neuesten Ergebnissen bekannt machten und mein (jetzt darf ich schon sagen) lebenslanges Interesse erweckt haben, und ich hoffe, dass ich zumindest als „Randphänomen“ dazu zählen darf. Ich spezialisierte mich dann auf narrative Texte und habe meine Forschungen auf die Untersuchung von Intertextualität und in der letzten Zeit auch auf Intermedialität erweitert.
Um meine theoretischen Forschungen anzuwenden, befasse ich mich intensiv mit der Erzählliteratur der Romantik, insbesondere mit E.T.A. Hoffmann. Ein anderes großes Gebiet ist die Literatur der Jahrhundertwende, und zwar vor allem österreichische Autoren, und als kleiner Seitensprung auch ungarische Autoren der Jahrhundertwende, wobei man in beiden Kulturen sehr interessante Phänomene beobachten kann.
Szendi: (Literatur) Ich beschäftige mich meistens mit der Jahrhundertwende, aber auch mit der Nachkriegsliteratur. Außerdem habe ich schon viel über die moderne Literatur (z.B. Bachmann und Thomas Mann) publiziert. Ich halte auch Kurse zum Werk Bachmanns, vor allem Lyrik und Erzählkunst. Außerdem ist Thomas Mann mein Forschungsgebiet und ich habe auch die Magisterarbeit über ihn geschrieben (Der Zauberberg).
Wild: (Linguistik) Meine Gebiete, die ich unterrichte, sind Syntax, Volkskultur, Dialektologie der Ungarndeutschen und kontrastive Linguistik.

Was für Erinnerungen haben Sie an Ihre Studentenzeit? Was für Unterschiede, welche Veränderungen gibt es zwischen dem damaligen und dem heutigen Studium?
Bernáth: Ich erinnere mich an vieles. Zum Beispiel: ich weiß noch, was die erste Frage im ersten Semester war, nämlich: „Was ist Literatur?” Das hat Professor Halász in einem Seminar gefragt, und wir waren bei dieser Frage im ganzen Semester stecken geblieben. Ich versuchte zu antworten, und die anderen passten auf. Das war darum gut, weil der Professor nicht gesagt hat, was die Literatur ist, sondern warum meine Vorstellung falsch ist. Er hat also die Frage nicht beantwortet, sondern meine Antwort ständig korrigiert. Meiner Meinung nach ist das eine gute Methode. Auch interessant ist, dass diese Stunde auf Ungarisch gehalten wurde. Was die Unterschiede betrifft, kann man heute verschiedene Fremdsprachen in der Grundschule und im Gymnasium lernen.
Csúri: Es war ein völlig anderes System, eine völlig andere Atmosphäre, eine völlig andere Welt, als ich Student war. Was das damalige Studentenleben betrifft, weiss ich nicht, ob ich es authentisch beurteilen kann. Ich habe sicher nicht das übliche Studentenleben geführt, wie die Sudenten in einem Studentenheim etwa, die viel zusammen und viel freier waren als ich. Ich lebte nämlich bei meinen Eltern in Szeged. Organisatorisch ähnelte die Universität eher einer Mittelschule, die Studienjahre den dortigen Jahrgängen und Klassen. Die Studierenden hatten keine freie Wahl, es war festgelegt, welche Fächer zu belegen, welche Prüfungen zu bestehen und welche Seminare und Vorlesungen zu besuchen sind. Wenn man in einer Prüfung durchfiel oder eine vorgeschriebene Seminarnote nicht hatte, dann musste man das ganze Studienjahr wiederholen und verlor dabei notwendigerweise ein ganzes Jahr. Das Angebot war sehr klein, nicht vergleichbar mit den heutigen Wahlmöglichkeiten. Das heutige System ist in dieser Hinsicht wesentlich besser und studentenfreundlicher, aber es hat auch nicht nur Vorteile. Man kann zwar wirklich das studieren, wozu man Lust und Affinität hat, aber für die Studierenden in den ersten 2-3 Semestern ist es bestimmt eine schwere Aufgabe, selbst ihr Studium aufzubauen. Sie kennen weder die Dozenten, noch haben sie die nötigen Fachkenntnisse, um wirklich gut zu wählen. Das heutige System hat große Vorteile für jene Studierenden, die selbstständig sind und genau wissen, was sie erreichen wollen. Nicht alle StudentInnen sind aber so, viele würden bei der Auswahl mehr Hilfe brauchen, als dies das System ermöglicht. Mehr Freiheit ist nur gut und wünschenswert, aber nur man auch lernt, wie man nützen kann.
Forgács: Damals war vieles zum Teil einfacher, weil man z.B. das Fach Ungarisch und Deutsch hatte, und da wusste man, mit welchen Personen man zu einem Seminar geht. Das war schon vorher entschieden, und man hatte keine Wahl unter den Lehrkräften. Es war nicht unbedingt gut, weil man manchmal auch dann nicht zum besseren gehen konnte, wenn man wollte. Ich glaube, in dieser Hinsicht hat diese Liberalisierung dem Studium gut getan. Auf der anderen Seite ist diese Liberalisierung natürlich weniger gut, weil es auch vorkommen kann, dass jemand zu einem Seminar gehen möchte, aber er/sie keinen Platz mehr bekommt. Man hat auch die Erwartungen gegenüber den Studenten gelockert, wir mussten z.B. wesentlich mehr Fachliteratur lesen. Man hatte schon am Anfang zwei Fächer, was zu bewältigen für die heutigen Studenten oft ein großes Problem ist. Wenn man heute zwei oder mehr Fächer hat und z.B. drei Prüfungen noch im Herbst ablegen will, kann man das tun. Diese Möglichkeit gab es damals gar nicht, und ich kann stolz sein, dass ich nie eine Prüfung verschoben habe, auch nicht um zwei Tage. Also, es war damals sicherlich ein bisschen preußischer. Natürlich hatte es Vorteile, nämlich, dass man das Studium in fünf Jahren sicher beenden konnte und nicht zehn oder zwölf Jahre ohne eigenes Gehalt da stand und auf seine Eltern angewiesen war.
Orosz: Also, natürlich habe ich viele Erinnerungen und auch heute noch Kontakte, meine beste Freundin zum Beispiel habe ich während des Studiums kennen gelernt. Es gibt auch noch einige von den ehemaligen StudentInnen, mit denen ich bis jetzt Kontakte habe. Wir sind immer sehr froh, wenn wir manchmal zusammenkommen. Ich erinnere an meine LeherInnen und Professoren, an die Mittwochabende, an denen im kleinen „interdisziplinären“ Kreis theoretische (und nicht nur literaturtheoretische) Fragen, Werke diskutiert wurden. Außerdem habe ich immer noch Kontakt zu Szeged, zum Institut. Als gute Kollegen und Freunde, aber auch offiziell, durch wissenschaftliche Beziehungen, weil man auch auf Konferenzen zusammenkommt, oder weil wir alle als Germanisten unsere Organisationen haben, wo wir diskutieren oder unser Fach zu retten versuchen.
Szendi: Wenn die Frage privat gestellt wird, könnte ich die abendlichen Spaziergänge erwähnen. Die Begleitungen gehören auch zu den besten Erinnerungen, z.B. Boszorkány Sziget. Wenn Sie sich nach den eigentlichen Studienerlebnissen erkundigen, dann kann ich sagen, dass das Studium mir sehr viel Spaß gemacht hat. Auch wenn wir damals ein ziemlich fixes Programm und keine Wahlmöglichkeiten gehabt haben. Damals war das deutsche Fach ein kleines Fach. Wir waren insgesamt, die ungarisch und deutsch studiert haben, zu fünft. Davon sind zwei oder drei bei dem ersten Rigorosum durchgefallen, so haben wir weiter mit den Studenten anderer Fächer (z.B. deutsch- französisch) zusammengelernt.
Wild: Szeged war (und ist auch heute) eine Stadt für Studenten. Woran ich mich gern erinnere? Wir machten schöne Ausflüge, und besuchten oft auch die Insel Boszorkány. Nicht so viele studierten Deutsch an den Hochschulen und Universitäten wie heute. Wir fühlten uns wie in einer Familie. Damals hat dort noch Elõd Halász gearbeitet, und dort studierten auch die Herren Bernáth und Csúri. Auch heute halten wir den Kontakt miteinander.

Es gibt einige Veränderungen an den Universitäten durch die Einführung des Bologna-Systems. Was ist Ihre Meinung darüber?
Bernáth: Wie das bei uns eingeführt wurde, existiert in keinem anderen Land. Jetzt kann man fragen, warum wir es eingeführt haben. Es geht um den gemeinsamen europäischen Bildungsraum. Wir müssen einheitlich sein, und alle Bürger der EU sollten vergleichbare Studien an allen Universitäten führen können. Das ist ein schönes und klassisches Ziel. Die Unis waren immer universal, und ein Studium im Ausland ist wichtig. Aber das erste Problem beginnt damit, dass das Wintersemester z.B. in Ungarn Mitte September beginnt und in Deutschland Mitte Oktober. Je kürzer das Studium ist, desto schwieriger ist es, diese Überlappungen zu bewältigen. Das zweite ist, dass das dreijährige Studium in ähnlicher Form nur in England existiert. Aber dort gibt es andere Vorbereitung und andere Anforderungen. (Dort studiert/lernt man davor dreizehn Jahren, also man fängt früher (sechsjährig) an. Dort ist die Muttersprache Englisch, und man unterrichtet alles in der Muttersprache, und wenn jemand eine Fremdsprache erlernen will, dann fährt er oder sie z.B. nach Deutschland, mindestens für ein Jahr.) Das echte Problem ist: es gibt noch keine Regelung dafür, unter welchen Bedingungen ein Student, der z.B. Ungarisch als Fach hat, ins System einsteigen kann, an dessen Ende er Lehrer z.B. für das Fach Deutsch-Ungarisch wird. Die totale Umorganisierung des Lehramtes ist also auch ein großes Problem. Das BA-System hat zwei Ziele: praxisbezogenes oder fachbezogenes Wissen und Vorbereitung für das Magisterstudium. Diese zwei Dinge sind ganz verschieden. Dazu braucht man große Unis, aber die Regierung hat auch noch nicht gesagt, welche Universitäten geschlossen werden. Man hätte z.B. vier traditionelle Universitäten behalten können, und diese hätten die Lehrerbildung geschafft.
Csúri: Ich finde, dass die Einführung dieses Systems übereilt, verfrüht und unüberlegt ist. Wir wissen nicht, welchen Wert das BA-Diplom haben wird, was unsere Studenten damit in drei Jahren anfangen können. Aktueller ist jedoch das Problem, dass das Studium nicht gründlich vorbereitet wurde. Unerklärlich ist die Hektik, mit welcher sie seitens des Ministeriums durchgepeitscht wurde. Eines steht fest: Mit diesem September hat die klassische Universität aufgehört und nichts Bestimmtes ist an ihre Stelle getreten. Wir wissen natürlich alle, dass man in so hoher Zahl wie bisher keine Lehrer mehr brauchen wird. Insofern sieht man auch ein, dass eine strukturelle Veränderung des heutigen Hochschulsystems nötig ist. Fraglich sind jedoch diese Eile und die Art und Weise der Änderungen. Ich will keineswegs ad-hoc-Ratschläge geben, aber man hätte vielleicht bedenken sollen, die Lehrerausbildung an den großen klassischen Universitäten (in reformierter Form) weiterzuführen und nur die Hochschulen auf die BA-Ausbildung umzustellen. Oder man hätte man vielleicht die BA-Ausbildung für eine Probezeit von drei Jahren nur an einigen Hochschulen machen und das ganze System erst auf Grund dieser Erfahrungen allgemein einführen sollen.
Forgács: Es ist eine schwierige Sache. Das Bologna-System wurde uns aufgedrängt. Die Universitäten wollten das nicht so sehr, aber letztendlich wurde uns das vom Ministerium aufgedrängt. Eigentlich könnte das auch Vorteile haben, in dem Sinne, dass der Unterricht für die ersten drei Jahre dadurch billiger werden könnte, weil es weniger Fächer im Bologna-System gibt als vorher. Bei der Verwirklichung gab es aber viele Probleme, weil letzten Endes die Lobbys der Universitäten erreicht haben, dass trotz der Verringerung der Fächerzahl die sog. Fachrichtungen nicht verringert wurden, sondern sogar vermehrt. Es gibt jetzt mehr Möglichkeiten, eine Fachrichtung zu wählen, als es früher Fächer gab. Es ist schwer zu koordinieren, weil es ein neues System ist, und sehr viel Wirrwarr durch diese Möglichkeiten entsteht. Man weiß auch noch nicht ganz, wie es nach drei Jahren aussehen wird, was man mit einem solchen Diplom anfangen kann. Wenn man das Bologna-System so strikt und preußisch verwirklicht hätte, wie das am Anfang vorgesehen war, dann wäre das für die Verringerung der Staatsausgaben vielleicht besser gewesen, da hätte man weniger Lehrkräfte gebraucht.
Orosz: An der ELTE habe ich diese Arbeiten koordiniert und habe im Ausschuss mitgearbeitet, der landesweit über die möglichen Strukturen diskutiert hatte. Man könnte sagen, ich war von Anfang an dabei, und ich war dabei, um zu versuchen, das so zu machen, dass es fachlich immer noch vertretbar wird.

Was für Unterschiede gibt es zwischen den ehemaligen und den heutigen Studenten?
Bernáth: Wir konnten eine große Entwicklung sehen, und jetzt sehen wir einen beängstigenden Rückfall. Zum Beispiel kommt ein werdender Student zur letzten Aufnahmeprüfung und wird gefragt, warum er hier studieren möchte. Darauf hat er gesagt: „Ich mag nicht lesen.” Dann frage ich, warum er her gekommen ist?! Eine andere typische Erscheinung ist (auch in der Welt), dass man für das gewählte Fach nicht geeignet ist. Man kann das dadurch sehen, dass die heutigen Studenten schwächer sind. Man kann bemerken, dass die Motivation fehlt. Der Schüler oder der Student fühlt, dass er egal wie viel lernt, es erfolglos ist, weil seine Existenz später nicht gesichert ist. Das Lernen und die Kultur sind Anstrengungen, aber es gibt sehr viele Sachen auf der Welt, die einen zerstreuen, und das fühlen leider die Studenten nicht, also, dass es ohne Wissen nicht geht.
Csúri: Die Werte und die Wertevorstellungen haben sich in der neuen Gesellschaft rasch und stark geändert. Dies hat natürlich auch die Studenten beeinflusst und geprägt. Das Materielle steht im Vordergrund, man wählt heutzutage Jobs, die besser bezahlt werden, von denen man leben kann. Germanistik gehört zur Zeit sicher nicht zu diesen Berufen, die Akzentverschiebung hat dieses Fach etwas in den Hintergrund gedrängt. Dies zeigt sich auch an dem Niveau. Die Sprachkenntnisse sind ziemlich mangelhaft, obwohl man heute wirklich die besten Möglichkeiten hat für die Aneignung einer Fremdsprache. Man braucht sie gar nicht aufzuzählen, jeder kennt diese. Eine große Gefahr sehe ich auch darin, dass wir keine Aufnahmeprüfungen mehr machen. Man weiß nicht, welches Wissen und Können hinter einer abstrakten Zensur oder Punktzahl steckt. Die Zukunft der Germanistik kann man heute schwer beurteilen, wir wissen noch nicht, wie die BA-Ausbildung in der Praxis aussehen und welche Arbeitsmöglichkeiten für die Absolventen geboten werden. Wie auch immer, wir tun trotz schlechter Vorzeichen unser Bestes und versuchen trotz der schwierig gewordenen Umstände eine unverändert niveauvolle Ausbildung zu sichern. Hoffentlich wollen das auch die Studenten mitmachen, hoffentlich verstehen sie, dass nur gute Fachleute wirkliche Zukunftschancen haben.
Forgács: Was die Studenten betrifft, ist es natürlich so, dass wir in meiner Studienzeit im ganzen Jahrgang etwa so viel waren, wie heutzutage im Fach Germanistik. Man konnte mit wesentlich besseren Leistungen überhaupt erst studieren. Damals war es auch nicht so leicht, aber eigentlich haben fast alle meiner Studienkollegen gleich eine Stelle gefunden. Man war auch gezwungen, sich noch mehr zu fordern, während sich heute bei dieser Masse der Studenten selbst die guten sich weniger auszeichnen können, weil diese breite Masse es uns Lehrkräften kaum ermöglicht, dass wir uns gezielt mit jemandem beschäftigen. Man hat heutzutage sehr wenig Zeit für Studenten, damals war es etwas besser, weil wir z.B. im Fach Ungarisch und Germanistik nur zu fünft waren, und im ganzen Fach Germanistik gab es nur ungefähr zwanzig Leute. Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem der Germanistik, dass wegen des Andrangs des Englischen sicherlich das Interesse ständig nachlässt. Das sollte man durch mehr Werbung beispielsweise zu kompensieren versuchen.
Orosz: Einerseits, dass heute viel mehr Leute zum Studium zugelassen werden. Es ist zwar nicht unbedingt schlimm, aber Germanistik wurde ein Massenfach. Es gibt bei uns Jahrgänge, die über 200 Studenten zählen, sonst meist 160-180. In der damaligen Zeit war es so, dass man einander im Gegensatz zu der heutigen Zeit sehr gut kannte, weil es eine verhältnismäßig kleine Zahl von Studenten gab, die Germanistik studierten. In meiner Zeit nicht mehr als dreißig bis vierzig. Andererseits gibt es Veränderungen in der Hinsicht, dass die jetzigen Studenten viel mehr Möglichkeit haben, nach Deutschland zu gehen oder dort zu studieren. Der Kontakt zu der deutschsprachigen Kultur ist also viel intensiver. Auch die Studieninhalte und die Konzepte, wonach man unterrichtet, haben sich bestimmt verändert. Dank den damals jüngeren Lehrkräften, Árpád Bernáth, Károly Csúri und Zoltán Kanyó war es der entscheidende Impuls für mich, das zu machen, was ich bis heute mache. Sie haben eine Betrachtungsweise mit sich gebracht, die ich damals in Szeged sehr gut fand. Außerdem gab es zu der Zeit eine ganz lockere Gruppierung und eine Art wissenschaftlicher Dialog. Es gab, wie ich schon erwähnte, regelmäßig am Mittwochabend eine kleine Versammlung, wo wir neuere Entwicklungen in der Philosophie, in der Literaturwissenschaft und in der Linguistik kennen gelernt haben.
Die Struktur des Studiums hat sich auch verändert, es ist lockerer geworden, läuft also nicht nach einem fixen Plan ab. Denken Sie an das Kreditsystem zum Beispiel, das sind aber institutionelle Veränderungen.
Szendi: In der sozialistischen Zeit war das Studium viel enger, viel begrenzter. Wir hatten damals nicht so viele Angebote wie die Studenten heute. Auf der anderen Seite waren die Lebensumstände sehr begrenzt. Als ich studiert habe, hatten die Studenten viele Möglichkeiten, teilweise konnten sie ihr Studium im Ausland machen, in der DDR. Die Partei hat aber entschieden, wohin wir gehen konnten.
Wild: Wir hatten nicht so viele Möglichkeiten wie heute. Ich habe im Internat gewohnt und konnte nur dreimal in einem Semester nach Hause fahren, und die Fahrt war lang. Wir hatten auch andere Umstände. Mir ist es aber gelungen, eine gewisse Zeit in der DDR zu verbringen.

Woran erinnern Sie sich noch gern oder nicht so gern in Bezug auf Ihr Studium?
Bernáth: Es gab mehrere Lektoren, mit denen man Deutsch sprechen könnte, z.B. im Bereich der Sprachübung. Es gab noch komische Dinge wie z.B. Landeskunde, die damals DDR bedeutete. Ich erinnere mich, dass wir uns ein ganzes Semester lang mit Landwirtschaft in der DDR beschäftigen sollten. Und eine Zeit lang haben wir das geduldet, aber inzwischen haben wir in einem privatem Gespräch herausgefunden, dass dieser Lektor eigentlich Literaturwissenschaft studiert hatte und seine Lieblingsepoche die Romantik war. Nun war die Romantik, die ganze Epoche Tabu, bes. in der DDR aber auch hier. Aber wir waren neugierig und wussten, dass es eine wichtige Epoche ist, dann sagten wir: „Hören wir mit der Landwirtschaft auf und sprechen einmal über diese Zeit. Lesen wir einige Werke.” Der Professor war total erschrocken, weil wenn das zu Hause bekannt würde, bekäme er schlechte Punkte oder würde nach Hause gerufen werden. Aber wir haben versprochen, dass wir es nicht weitergeben. Dann haben wir doch die Romantik durchgenommen. Unter dem Decknamen Landwirtschaft haben wir also die Romantik geführt. Professor Halász hat fast die Hälfte der Veranstaltungen gehalten.
Csúri: Gern erinnere ich mich an die fachlichen Dinge: an das Gefühl, was Wissenschaft ist, worin die Möglichkeiten der Wissenschaft bestehen, oder wie man mit der Literatur wissenschaftlich umgehen kann, in gewissen Seminaren gelernt hat, wie man analysiert. Da ist man dann selber darauf gekommen, da hat man sich selber ausprobiert. Ich habe mich zum Beispiel monatelang mit einer Novelle beschäftigt. Da habe ich den Sinn gesehen, warum ich hierher gekommen bin. Dann bin ich nach dem Studium am Lehrstuhl geblieben - das war das höchste Ziel meines Lebens.
Forgács: Ich glaube, dass man sich an die Studienjahre fast immer gern erinnert, auch wenn damals manche Prüfungen ziemlich hart waren. Ich erinnere mich noch, dass wir oft bis drei Uhr in der Nacht gelernt haben und um zehn schon wieder auf den Beinen waren. Es war sicherlich sehr anstrengend, aber es förderte auch unsere Leistungen. Auf der anderen Seite war man noch jung, und viele Menschen denken gerne an die Jugend als das sog. „goldene Zeitalter“ zurück, wo man noch viel jünger und leistungsfähiger war. Vielleicht deswegen erinnert man sich auch an die weniger guten Tage doch mit Freude. So ist es auch mit dem Soldatenwesen: damals war es eigentlich schrecklich, Soldat zu sein, und trotzdem wenn man sich mit seinem damaligen besten Kumpan trifft, dann lacht man darüber.