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Beiheft WS 2006/2007 << Die Geschichte des Faches Germanistik


Die Geschichte des Faches Germanistik an der Universität Szeged zwischen 1956 und 2006
Autor: Miklós Fenyves

Stilllegung
1945-1956

Nach dem zweiten Weltkrieg, der totalen Niederlage Deutschlands und den vorhergehenden Ereignissen – Ungarns Teilnahme im Krieg an der Seite Deutschlands bzw. der Einfluß der deutschen Germanistik auf die Sprach- und Literaturwissenschaft der verbündeten Länder – befand sich die Germanistik wohl in der schwierigsten Lage unter den modernen Philologien in Ungarn. Henrik Schmidt, der seit 1921 (und davor in Klausenburg) dem Lehrstuhl vorstand und auch auf Fakultätsebene eine bedeutende Rolle spielte, wurde mit 1. Dezember 1946 in den Ruhestand versetzt, was wahrscheinlich auch mit seinem Alter zu begründen war: er stand vor seinem 70. Geburtstag. Nach der vorläufigen Leitung durch Jenõ Koltay-Kastner wurde die Leitung des Instituts für Germanische Philologie 1948 von dem 28jährigen Elõd Halász übernommen, der mit großem Überblick, hoher Begabung und nicht geringem Organisationstalent als guter Ersatz für Henrik Schmidt schien. Er repräsentierte eine neue Generation der ungarländischen Germanistik: er kam nicht aus dem Ungarndeutschtum und orientierte sich als Wissenschaftler nicht an dessen Kultur und Vermittlerrolle.
Mit dem sich rasch steigernden Einfluß der Sowjetunion veränderte sich nach dem Krieg auch die Unterrichts- und Wissenschaftspolitik des Landes. Nach der stalinistischen Machtergreifung (dem „Jahr der Wende”) wurde der Unterricht von lebenden Fremdsprachen und ihrern Kulturen auf universitärem Niveau verringert: ein Regierungsbeschluss am Ende des Studienjahres 1949/1950 räumte mit den Instituten für moderne Philologie in Szeged auf, bis auf das Institut für Slawistik, das sich als Institut für Russistik halten konnte. Das gleiche Schicksal ereilte die anderen Institute in der Provinz; an der Philosophischen Fakultät in Budapest ging der Unterricht mit stark reduzierten Studentenzahlen weiter. Das Studium wurde auf acht Semester gekürzt und eine Lehrerausbildung mit nur einem Fach eingeführt. Zur allgemeinen Qualitätsminderung des Studiums trug auch die Trennung von Forschung und Lehre bei: die wissenschaftliche Arbeit wurde schwerpunktmäßig auf die neugegründeten akademischen Institute verlegt – so wurde Elõd Halász an das Institut für Weltliteratur versetzt, welches eine ergänzende Ausbildung für Studenten der Fächer Ungarisch, Geschichte und Russistik (auf ungarisch) leisten sollte. Andere Dozenten wurden pensioniert oder entlassen. Im Rahmen eines staatlichen Wörterbuchprogrammes wurde Halász vom Verlag der Ungarischen Akademie der Wissenschaften mit der Herausgabe eines neuen Deutsch-Ungarischen und Ungarisch-Deutschen Universalwörterbuches beauftragt, was einem Teil der Germanisten, die ihre Stelle verloren hatten, zu neuer Arbeit verhalf. Der deutsch-ungarische Teil wurde im Tempo (und in der Qualität) der Stachanovisten durch eine Gruppe von „arbeitslos“ gewordenen Germanisten in etwa zwei Jahren fertiggestellt. Er erschien zum 70. Geburtstag Stalins mit der Friedenstaube auf dem Umschlag...

Neubeginn
1956-1964

„Der neue Kurs“, d.h. die antistalinistische Linie, die nach 1953 in der Politik zur Geltung kam, schlug sich vor allem in der Vergabe von zwei Forschungsstipendien für Germanisten durch die Akademie der Wissenschaften nieder. Auch die Quellenforschung und -aufarbeitung wurde wieder aufgenommen: in Bibliotheken und Archiven konnten abermals germanistische Forschungsvorhaben durchgeführt werden. 1953 war in der Lehre eine Verstärkung der Sprachpraxis durch einen DDR-Lektor am Institut für Germanistik in Budapest zu verzeichnen. Eine noch größere Wirkung auf das Geschick der Germanistik hatte der Volksaufstand. Eine Forderung der im Oktober 1956 beginnenden Studentenbewegungen war die Wiederherstellung der Ausbildung in den modernen Philologien und die Abschaffung des Russischen als Pflichtfach. Die Nagy-Regierung legte die rechtlichen Grundlagen zur Wiederherstellung der 1950 abgeschafften Institute – eine Errungenschaft von 1956, die nach der Niederschlagung der Revolution von den sowietischen Truppen und der Absetzung der legalen Regierung erhalten blieb. Die Wiederbelebung der Lehrstühle bot neue Chancen, besonders abseits der politischen Zentrale, wo (wie in Szeged zum Beispiel) zwar nicht selten die alten Stalinisten an der Macht blieben aber garantiert nicht wußten oder wissen wollten, wer Kafka, wer Musil, wer Benn oder Heißenbüttel waren.
Für die Entwicklung einer marxistisch-leninistisch nicht indoktrinierten und zugleich für neue Tendenzen der Forschung offenen Germanistik bot Szeged die besten Möglichkeiten. Die Arbeit des Instituts für Germanische Philologie wurde von dem – ab 1965 auch für das Fach Englisch verantwortlichen – Institut für Germanische Sprachen und Literaturen übernommen, wieder unter der Leitung von Elõd Halász, der 1957 bis 1960 und 1965-1969 auch als Dekan der Philosophischen Fakultät vorstand und als solcher viel für die Verstärkung der modernen Philologie tun konnte. Allerdings gab es viele Schwierigkeiten im Unterricht. Die Umorganisationen und Umzüge im Jahre 1940, die Kriegsjahre und dann die Abschaffung der Germanistik (und Romanistik) betrafen nicht nur die Dozenten und ihre Mitarbeiter, sondern auch die wertvollen Fachbibliotheken als Voraussetzung und Unterstützung der Forschung sowie des Unterrichts. So wurde nach 1945 in der deutschen Seminarbibliothek – teilweise aus politischen Gründen – vieles aussortiert; allerdings wurde sie auch wesentlich erweitert, indem der Bestand der Hochschule in Szeged nach der dortigen Einstellung des Unterrichts an die Philosophische Fakultät gelangte. Ab 1964 gehörte auch eine Bibliothekarsstelle zu der Institutsbibliothek. Wie den anderen Lehrstühlen für moderne Philologie mangelte es auch dem Institut für Germanische Philologie an Mitarbeitern; man musste entweder Kollegen vor Ort oder aus Budapest gewinnen. Der Literaturhistoriker Péter Pósa und der Linguist Miklós Rácz kamen vom Institut für ungarische Literaturgeschichte bzw. dem Institut für Russistik. Árpád Berczik, der deutsche Literaturgeschichte lehrte, hatte früher in einem Budapester Mittelschule unterrichtet.

Mit Hilfe von internationalen Abkommen wurde die Besetzung der – bei Lehrstühlen für Fremdsprachen unentbehrlichen – Lektorenstellen möglich. In dieser Hinsicht befand sich das Fach Deutsch in der günstigsten Situation, denn ein Vertrag der DDR mit der Philosophischen Fakultät in Budapest sicherte seit 1953 eine Lektorenstelle. Dieser Vertrag wurde nun auf Szeged ausgeweitet. Die Sprachkenntnisse derjenigen, die sich für ein Fremdsprachenstudium meldeten, erwiesen sich anfangs selten als ausreichend für einen Unterricht in der Sprache des jeweiligen Faches. Die meisten bereiteten sich im Privatunterricht auf ihr Universitätsstudium vor. Auch die Zahl der Aufgenommen war gering: in den neuen Fächern begann je eine Seminargruppe zu studieren; erst in den sechziger Jahren verdoppelte sich die Studentenzahl im Fach Deutsch.

Zu dieser Zeit meldeten sich die wissenschaftlichen Publikationsorgane der modernen Philologie wieder, wodurch eine schnelle Veröffentlichung von Ergebnissen der Forschungswerkstätten der Fakultät ermöglicht wurde. Von der acta der Fakultät – wo u.a. der zweite Teil der Studie von Halász über die Zeitstruktur in Thomas Manns Zauberberg erschien –, die 1955 wieder ins Leben gerufen worden war, trennte sich später die Romanistik, und das neue Periodikum erweiterte sich bald zu Acta Romanica et Germanica (1966) bzw. Acta Germanica et Romanica (1967-1971). Dass “Germanica” vorangestellt wurde, ist wohl mit der alphabetischen Ordnung zu erklären, da die Romanistik im weiteren Sinne, sowohl inhaltlich als auch was die Qualität betrifft, immer mehr in den Vordergrund trat; Forschungen des Lehrstuhls für Germanistik wurden in dieser Zeit nur durch Aufsätze von János Márvány über die deutschen Mundarten von Hegyhát und Völgység in Tolna vertreten. Nach 1971 erschien ein Jahrzehnt lang nur Acta Romanica.
Das wissenschafliche Profil des Lehrstuhls wurde von Elõd Halász bestimmt, der sich Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre vor allem mit dem Werk von Thomas Mann beschäftigte, freilich nicht ohne seine Tätigkeit als Wörterbuchredakteur aufzugeben (1957 erschien auch das ungarisch-deutsche Universalwörterbuch). Halász durfte 1960 am Kopenhagener Kongreß der IVG teilnehmen und erhielt 1962 ein halbjähriges Fulbright-Stipendium. Er arbeitete intensiv an seiner Abhandlung über Thomas Manns Der Zauberberg und verfolgte die zeitgenössische (west)deutsche Literatur. Inter Nationes schickte ihm Die Zeit, mehrere Zeitschriften (Der Monat, Universitas etc.) und die wichtigsten Neuerscheinungen, die teilweise auch für die Studenten zu benutzen waren. Zu dieser Zeit bezog er auch Studierende mit in die Forschung ein, auch mit der Absicht, eine neue Germanistengeneration auszubilden. Die Studentenzahl betrug pro Semester etwa 10. Unter solchen Umständen war das Studium zwar durch überwiegend schwache Sprachkenntnisse der Studenten stark beeinträchtigt aber doch tiefgehend. Halász hielt bis 1965 in allen Semestern Vorlesungen und Seminare. Die letzteren waren in Form eines Sokratischen Dialogs geführt. Namen der Sekundärliteratur wurden kaum genannt: weder der von Marx oder der von Lukács, noch die Namen derer, die im Hintergrund der Diskussionen standen: Oskar Walzel, Roman Ingarden, Käte Hamburger oder Günther Müller. Inzwischen liefen Verhandlungen mit Miklós Hutterer, um ihn nach Szeged zu holen, damit auch die Sprachwissenschaft dort einen Vertreter hätte, der fähig wäre, Nachwuchs auszubilden.

Stagnation und Kampf
1964-1987

In dieser Situation schlug die Bombe ein. Als in einem Qualifikationsverfahren der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, dem sich alle Hochschullehrer nach sowjetischem Muster unterziehen mußten, Halász der höchsten Grad nicht zuerkannt worden war, beschloss er, die Arbeit einzustellen. Die tatsächlichen Gründe für diesen Misserfolg sind noch aufzudecken; sie waren sicher keineswegs wissenschaftliche. Jedenfalls hatte diese Ablehnung schwerwiegende Folgen für die weitere Entwicklung der modernen Philologie in Szeged. Umso mehr, als Jenõ Koltay-Kastner 1968 in Pension gegangen war und seine Rolle bei der Gründung neuer Lehrstühle sowie der vorläufigen Führung von Einheiten ohne Leiter von Halász übernommen wurde. Der Ausbau des Lehrstuhls wurde abgebrochen, es kam nicht mehr zur geplanten Verstärkung der Linguistik, die zielgerichtete Entwicklung der Bibliothek wurde vernachlässigt, die – auch zu Publikationsmöglichkeiten unentbehrliche –Kontaktaufnahme mit Fachkollegen im In- und Ausland war unterbunden. In diesem Zusammenhang ist verständlich, warum nach 1971 die Bezeichnung “Germanica” im Titel der Reihe Acta Germanica et Romanica unterblieb. Da die Germanistik ohnehin einen großen Rückstand aufzuholen hatte, wirkten die Zurückweisung einer Bücherspende aus der Bundesrepublik und die Absage der Teilnahme an einem der raren Germanistentreffen fast schon katastrophal. Unmittelbares Ziel der „Oblomovschen“ Linie mit lokaler Parteiunterstützung war die Verdrängung der Szegeder Nachwuchsgermanisten aus der Germanistik durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und – wo es möglich war – durch Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Aber auch die Kollegen, die man nach 1956 für das Institut gewinnen hatte können, gingen nach und nach weg. Miklós Rácz starb noch 1964, Péter Pósa, dessen Arbeit (zur Erlangung des Titels „Kandidatus“) über die ungarische Rezeption Gerhardt Hauptmanns nicht angenommen wurde, wurde zum Leiter der Lehrstuhlgruppe für Weltliteratur ernannt. Der einzige Mitarbeiter, der bis zu seiner Pensionierung am Lehrstuhl blieb, war Árpád Berczik, der besonders mit seinen Studien über die Entwicklung der Komparatistik in Deutschland und Ungarn zu den Ergebnissen der Szegeder Germanistik beitrug. Er ging 1980 als Professor in Rente.
Aber der Geist war bereits aus der Flasche, der Nachwuchs wollte seine Arbeit nicht abbrechen. Es begann ein schwieriger, ungleicher und doch langer, von der jeweiligen politischen Situation mitbestimmter Kampf zwischen Halász und seinen „Jüngern“, der die Lage und Möglichkeiten der Germanistik in Ungarn stark prägte. Auf die Verdrängungsaktionen reagierten die meisten jungen Germanisten mit der Hinwendung zur Theorie. Sie hatte vor allem die eigene – auch wissenschaftlich angefochtene – Tätigkeit als Germanist zu rechtfertigen, aber auch die Ausweitung des Blickwinkels, die Einbeziehung neuer Wissensgebiete ging damit einher. Diese Gebiete wurden auch zu neuen Feldern der Tätigkeit. So konnte Gábor Bonyhai, ein exzellenter Thomas Mann-Forscher, Ende der sechziger Jahre eine Stelle in der literaturtheoretischen Abteilung des Instituts für Literaturwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest bekommen. So waren 1977 die Bedingungen für eine Zwangsversetzung von Zoltán Kanyó, der seine Doktorarbeit über Bertolt Brecht geschrieben hatte, an den Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft – eine 1974 gegründete Nachfolgeeinrichtung des einstigen Instituts für Weltliteratur – vorhanden. So konnte András Masát, der sich zunächst mit der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts befaßte, nach einem postgradualen Studium in Greifswald als Skandinavist 1978 nach Budapest wechseln. Andere wechselten zur Pädagogischen Hochschule in Szeged als Slawisten oder nach Pécs als Germanisten. Heute sind zwei in Szeged ausgebildete Germanisten die Leiter der Germanistik in Pécs: Katalin Wild am Lehrstuhl für Linguistik und Zoltán Szendi am Lehrstuhl für Literaturwissenschaft. Magdolna Orosz, die ihre studentische und akademische Laufbahn in Szeged begann, ist heute Leiterin des Lehrstuhls für Deutsche Literatur an der Philosophischen Fakultät der ELTE. Márta Harmat liest deutsche Literaturgeschichte an der Pädagogischen Hochschule in Szeged. Márta Gaál kehrte an die Universität Szeged als Dozentin von der Hochschule zurück. Auch der junge Linguist László Valaczkai wechselte in das für ihn “gegründete” Sprachlabor. Als Leiter dieses den Sprachunterricht unterstützenden Laboratoriums erlangte er mit den Ergebnissen seiner experimentellen phonetischen Untersuchung des Lautbestandes der deutschen Sprache den Titel “candidatus scientiarum”. Der einzige Linguist des Lehrstuhls mit einem akademischen Grad war János Márvány, der 1965 als Mittelschullehrer an den Lehrstuhl kam und 1973 mit den Ergebnissen einer phonetisch-morphologisch-wortgeographischen Untersuchung der Mundarten des Ungarndeutschtums den Titel “candidatus scientiarum” erlangte. Zwischen 1969 und 1987 ist niemand an den Lehrstuhl für Germanistik gekommen, der dann als Mitarbeiter des Lehrstuhls einen akademischen Grad erlangt hätte.

Im Jahre 1970, mit der Etablierung eines selbständigen Lehrstuhl für Anglistik, teilte sich das Institut für germanische Sprachen und Literaturen. Für das Fach Deutsch war nun der Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur verantwortlich, weiterhin unter der Leitung von Halász. Die Zahl der Studenten erhöhte sich – nach allmählichem Anstieg – seit Anfang der siebziger Jahre in rascherem Tempo. Die meisten kamen zu dieser Zeit schon aus spezifischen Klassen, in denen sie die gewählte Sprache in höherer Stundenzahl hatten.
An der Situation des Lehrstuhls änderte sich nichts, außer dass Elõd Halász für seine zweibändige deutsche Literaturgeschichte (Gondolat Verlag, 1971) 1972 endlich den Grad des Doktors (der Akademie der Wissenschaften) bekam. Einen Ausweg stellte erst eine in der „sozialistischen“ Ära bis dahin unbekannte Finanzierungsform dar, ein 1978 eingeführtes Bewerbungssystem, das es ermöglichte, dass die Dozenten verschiedener Lehrstühle, sogar von verschiedenen Instituten, ohne Bewilligung der unmittelbaren Vorgesetzten, eine Forschungsgruppe bilden konnten. Als Antwort auf diese neuen Möglichkeiten wurde 1978 in Szeged unter Leitung von Zoltán Kanyó eine literaturtheoretische Forschungsgruppe gegründet, deren Mitglieder die Mitarbeiter des Lehrstuhls für Germanistik Árpád Bernáth und Károly Csúri waren, und die in die Arbeit auch Kollegen aus Debrecen (Magdolna Balkányi, András Kertész, Piroska Kocsány) und aus Pécs (Komlósi László, Tarnay László) einbezogen und vielfältige Kontakte zu anderen Kollegen im In- und Ausland pflegten. Die Gruppe veranstaltete internationale Konferenzen; mit Hilfe finanzieller Förderung veröffentlichte sie die Schriftenreihe Studia poetica bzw. die wieder zum Leben erweckte Acta germanica und erstellte Lehrmaterialien. Das Gebiet der Forschung umfaßte die Wissenschaftstheorie (Kanyó, Kertész), Textlinguistik und einfache Formen (Kanyó, Kocsány), Fiktionalität (Bernáth, Kanyó), Interpretationstheorie (Bernáth, Bonyhai, Csúri) und literaturgeschichtliche Untersuchungen von Mitgliedern der Forschungsgruppe zu Goethe, Hölderlin, E. T. A. Hoffmann, Hofmannsthal, Th. Mann, Broch, Trakl, Werfel, Brecht, Böll, Borchert, Dürrenmatt etc. Diese Arbeit förderte auch die Humboldt-Stiftung: Zoltán Kanyó, Árpád Bernáth, Károly Csúri und Éva Kocziszky erhielten Forschungsstipendien. Die Universität-Gesamthochschule Siegen und der dort lehrende Helmut Kreuzer standen seit 1974 in ständiger Verbindung mit dieser Gruppe und eröffneten Publikationsmöglichkeiten in der Bundesrepublik. Später wurden auch mit der Universität Göttingen und persönlich besonders mit Horst Turk Kontakte geknüpft. (Auf Initiative des Instituts ist sowohl Kreuzer (1992) als auch Turk (2000) Ehrendoktor der Universität Szeged geworden.) Auch die Beziehungen zu Österreich sind besonders zu erwähnen. So wurde die erste Österreich-Bibliothek an einer ungarischen Universität 1991 in Szeged errichtet.
1979 verteidigte Csúri, ein Jahr später auch Bernáth seine “candidatus scientiarum”- Dissertation (Csúri schrieb über die Struktur von Hugo von Hofmannsthals frühen Erzählungen, Bernáth über die erste Schaffensperiode des Romanciers Heinrich Böll). Als “Antwort” rief Halász einen Dozenten des Lehrstuhls für Germanistik der ELTE, Miklós Salyámosy, nach Szeged, dessen wichtigstes Forschungsgebiet die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts war. Nach 1983 verlängerte der Universitätsrat den Vertrag von Halász als Lehrstuhlleiter nicht mehr, so ergab sich, dass er 1994 nach dem Auslaufen seines Vertrages als beauftragter Lehrstuhlleiter die Universität Szeged verließ und am Lehrstuhl für Weltliteratur der ELTE als wissenschaftlicher Berater weiterarbeitete. Sein Nachfolger im Amt des Lehrsstuhlleiters war Miklós Salyámosy, der, nachdem sein Vertrag als Lehrstuhlleiter ebenfalls nicht verlängert worden war, an seinen vormaligen Arbeitsplatz in Budapest zurückkehrte. Danach aber, freilich verspätet im Vergleich zu anderen Lehrstühlen für moderne Philologie, erfolgte der Generationswechsel auch am Lehrstuhl für Germanistik.

Aufbau
ab 1987

1987 wurde die Leitung des Lehrsstuhls für Germanistik von Károly Csúri übernommen. Seitdem wird die Schriftenreihe Studia poetica von diesem Lehrstuhl betreut. Auch den Acta Germanica, einer Reihe mit Aufsätzen zur Sprach- und Literaturwissenschaft in Deutsch, wurde wieder Leben eingehaucht.
Die Explosion der Studentenzahlen nach 1989 hat die Neuorganisation der Germanistik beschleunigt und unumkehrbar gemacht. Der allgemeine Bedarf an Experten wurde gestillt, indem man Kollegen aus anderen Fachbereichen für die Germanistik abgeworben bzw. Gastdozenten nach Szeged eingeladen hat. (Éva Kocziszky, die im Fach Ungarische Literatur und Klassische Philologie am postgraduellen Studium teilgenommen hatte, war bis 1997 am Institut für Germansitik tätig und zeichnete sich vor allem als Hölderlinforscherin aus; Márta Baróti-Gaál hatte an der Hochschule Weltliteratur unterrichtet, bevor sie ans Institut kam, um die Epoche der Romantik zu unterrichten; Katalin Hegedûs-Kovacevic, deren Forschungsschwerpunkte die ältere deutsche Literatur und die geistigen Bewegungen des 18. Jahrhundert waren, kam von der Universität in Neusatz wie auch eine international bekannte Forscherin der deskriptiven Linguistik, Pavica Mrazovic, die von da an die Linguistik in Szeged verstärkte.) Die neuen Aufgaben machten es erforderlich, den Lehrstuhl für Germanistik 1993 neu zu organisieren. An die Spitze des neuen Lehrstuhls für Germanistische Linguistik trat Péter Bassola, der Leiter des Lehrstuhls für Deutsche Literaturwissenschaft wurde Árpád Bernáth, der von 1994 bis 1996 auch das Amt des Dekans bekleidete. Als Szegeder Eigenheit kam – auf dem Fundament der Österreich Bibliothek – auch ein Lehrstuhl für Österreichische Literatur und Kultur unter Leitung von Károly Csúri zustande. Regelmäßig fanden an die Forschung über österreichische Themen anschliessende Konferenzen, Symposien statt, deren Material teils in den Acta Germanica, teils bei renommierten Verlagen (Niemeyer, Stauffenburg) veröffentlicht wurde. Die deutsche Literaturwissenschaft schaltete sich ins PhD-Programm der Universität gleich im ersten Jahr unter der Leitung von Árpád Bernáth als Unterprogramm ein. Ein Jahr später konnten die Doktoranden auch in einem Unterprogramm für Linguistik (unter Leitung von Bassola) ihr Studium beginnen. Seit 1996 arbeiten die drei Lehrstühle im Rahmen des Instituts für Germanistik. Mit der Leitung des alten neuen Instituts wurde Károly Csúri beauftragt; nach einem Jahr folgte ihm, 1997 Árpád Bernáth als erster ernannter Direktor. 2001 hat sich die Struktur des Instituts wieder verändert: Unter Beibehaltung der drei Lehrstühle wird das Amt des Institutsleiters selbständig, das seit 2005 von Géza Horváth bekleidet wird. Zur Zeit wird der Lehrstuhl für Germanistische Linguistik von Péter Bassola, der Lehrstuhl für Deutsche Literaturwissenschaft von Árpád Bernáth geleitet; der Leiter des Lehrstuhls für Österreichische Literatur und Kultur ist, nachdem er zwischen 1999 und 2004 dem Collegium Hungaricum in Wien vorstand, wieder Károly Csúri.

In den 90er Jahren erschien der Nachwuchs am Institut. Die neu angestellten jungen Forscher waren überwiegend Studenten des Insituts bzw. der Doktorandenschule gewesen; Endre Hárs, der über Botho Strauss dissertierte, aber auch im Bereich der ungarischen Gegenwartsliteratur und der Literaturtheorie publiziert, kam aus Budapest, um auch ein Gegenbeispiel zu nennen. Ein Überblick über die unlängst abgeschlossenen oder zur Zeit laufenden wissenschaftlichen Projekte geben auch ihre Forschungen.
Am Lehrstuhl für germanistische Linguistik wird unter Leitung von Péter Bassola ein deutsch-ungarisches substantivisches Valenzwörterbuch vorbereitet (Mitarbeiter: Csilla Bernáth, Rozália Hum). An den Vorarbeiten des neulich erschienenen deutsch-ungarischen und ungarisch-deutschen Handwörterbuchs (Hsg. Regina Hessky) haben mehrere Mitarbeiter des Lehrstuhls unter Leitung von Csilla Bernáth teilgenommen. Csilla Bernáth und Edit Gyáfrás haben vor kurzem ein deutsch-ungarisches Wirtschaftswörterbuch fertiggestellt. Viktória Dabóczi, György Scheibl und Ágnes Turi beteiligen sich an einem mit dem Institut für Deutsche Sprache gemeinsamen Projekt zur Erstellung einer multimedialen kontrastiven Grammatik. Dániel Czicza, Mathilde Hennig, Péter Kappel, Petra Molnár und Orsolya Rauzs sind Mitarbeiter eines Projektes zur historischen Darstellung des Neuhochdeutschen, koordiniert von der Universität Kassel, begonnen 2000 unter Leitung von Vilmos Ágel, der von 1999 bis 2004 in Szeged unterrichtete und zur Zeit Professor in Kassel ist.
Ein Blick auf die beiden Literaturlehrstühle: der in der Böll-Forschung international anerkannte Árpád Bernáth ist Mitherausgeber der historisch-kritischen Böll-Ausgabe. Géza Horváth, der das Werk von Hermann Hesse nicht nur als Forscher kennt, sondern mehrere Werke des Schriftstellers ins Ungarische übersetzte, betreut eine ungarische Hesse-Ausgabe. Károly Csúri beschäftigt sich vor allem mit der Lyrik des Expressionismus (Georg Trakl) und der Erzählkunst der Jahrhundertwende (Hugo von Hofmannsthal). Angesichts ihrer theoretischen Grundlagen schliessen die Arbeiten von Erzsébet Szabó an die Forschungen von Bernáth, Csúri und Kanyó an; neben ihren Fontane-Aufsätzen zeugen davon die logisch-semantischen, narratologischen bzw. literaturtheoretischen Studien (hauptsächlich Übersetzungen) enthaltenden Sammelbände (Studia poetica supplementum I-III), die sie mit einem ehemaligen Doktoranden des Lehrstuhls, Zoltán Vecsey zusammenstellte. Zusammen mit Bernáth betreute Vecsey auch das neueste Heft der Zeitschrift Helikon zu „Freges Aktualität“. Von der Theorie der möglichen Welten ging auch Márta Horváth bei der Analyse der Werke Robert Musils aus sowie Attila Bombitz in seinem Buch über die österreichische Gegenwartsliteratur.
Im Forschungsprofil des Instituts sind mittlerweile die in den letzten Jahrzehnten entwickelten Methoden der literarischen Anthropologie bzw. der Kulturwissenschaften in den Vordergrund getreten. Die Fragestellungen dieses Bereichs, die die Selbstdefinition der nationalen Philologien, also auch die Zukunft der Germanistik betreffen, spielen auch im neu entwickelten Konzept des neuen BA-Programms eine Rolle.
Im Sommer 1998 wurde Árpád Bernáth vom Minister des nationalen Kulturerbes József Hámori gebeten, die Leitung der neugegründeten „Frankfurt ’99 Kht.“, einer gemeinnützigen Gesellschaft zur Organisation der Teilnahme Ungarns als Schwerpunktland auf der Frankfurter Buchmesse 1999, zu übernehmen. Dies hatte zur Folge, dass viele Germanisten aus Szeged mitwirken konnten, von den Dozenten bis zu den Studenten und ehemaligen Studenten (ein ehemaliger Student des Instituts, László Borbás, geschäftsführender Direktor des Szegeder Grimm Verlags, leitete das Frankfurter Büro der Gesellschaft). Eine Fortsetzung dieser Arbeit war eine erfolgreiche Bewerbung: ein Projekt zur Aufarbeitung der Wirkung dieses bedeutsamen und Aufmerksamkeit erregenden Ereignisses. Nach der Buchmesse bildete sich eine überwiegend aus Studierenden bestehende Gruppe unter Leitung von Attila Bombitz, die im Rahmen eines mehrjährigen Projektes die deutschsprachigen Zeitungsartikel zur ungarischen Literatur aus dem Jahr der Buchmesse verarbeitete. Das Ergebnis dieser Arbeit sind vier Bände zur deutschen bzw. europäischen Rezeption der ungarischen Literatur (hrsg. von Bernáth und Bombitz).
Der Lehrstuhl für Österreichische Literatur und Kultur arbeitet zur Zeit, gemeinsam mit dem Institut für Germanistik der ELTE, dem Lehrstuhl für deutschsprachige Literaturen der PTE und dem Gondolat Verlag, an Sammelbänden, die die Wandlungen des Wissenschaftsbildes und der kulturellen Techniken in Österreich bzw. in Ungarn um die Jahrhundertwende und in der Zwischenkriegszeit (Ányos Jedlik Projekt); Judit Szabó bearbeitet die Szegeder Zeitungen aus dieser Epoche. Hier muss erwähnt werden, dass mehrere junge Forscher bzw. PhD Studenten die Möglichkeit hatten, mit Hilfe von renommierten Stipendien eine längere Zeit in Deutschland oder Österreich zu verbringen. Die Reihe der „Humboldtianer“ fortsetzend (Zoltán Kanyó, Árpád Bernáth, Károly Csúri, Éva Kocziszky) hat Endre Hárs das Alexander von Humboldt Stipendium bekommen; Endre Hárs, Márta Horváth und Andrea Némedi wurde das Roman Herzog Stipendium gewährt; Attila Bombitz und Miklós Fenyves forschten als Franz-Werfel-Stipendiaten in Wien.

Neben den langjährigen internationalen Beziehungen des Instituts etablieren sich auch neuere; es zeichnen sich die Umrisse von vielversprechenden Kooperationen mit der Universität Kassel sowie der Universität Innsbruck ab. Ein gutes Beispiel dafür, dass auch die alten institutionalisierten Beziehungen mit neuem Leben erfüllt werden, ist die Zusammenarbeit mit der Universität Siegen, eine Kooperation, deren Grundlagen von Siegener Seite noch von Helmut Kreuzer gelegt wurden. Hedda Ragotzky, Professorin der Universität Siegen hat zum ersten Mal im Jahre 1989 eine Gastdozentur am Lehrstuhl für Germanistische Literatur wahrgenommen. Nach Koordinierung mit der Lehrstuhlleitung hat sie das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanzierte Projekt „Germanistische Institutspartnerschaft“ gestartet und jahrelang betreut, welches zahlreichen Dozenten, Studierenden und Doktoranden des Instituts die Möglichkeit gab, eine Zeit lang auf deutschem Sprachgebiet, unter Betreuung sachkundiger Konsulenten, an ihren Dissertationen oder Diplomarbeiten zu arbeiten. Im Rahmen dieser vom DAAD unterstützten Kooperation bot sich darüber hinaus die Möglichkeit zur Delegierung ungarischer Gastdozenten bzw. zum Empfangen deutscher Gastdozenten, was zur Erweiterung und Vertiefung der schon vorhandenen Beziehungen beitrug. Aus dem Budget der Partnerschaft konnte das Institut regelmässig deutschsprachige Bücher kaufen. In jährlichem Wechsel wurden literatur- und sprachwissenschaftliche Konferenzen und Symposien in Siegen und Szeged organisiert. Als letzte Veranstaltung im Rahmen dieser für zehn Jahre gewährten Unterstützung fand eine internationale Konferenz mit einem anschliessenden Studentenseminar zum Thema “Utopien und Dystopien” statt, an deren Vorbereitung sich auch Hedda Ragotzky beteiligte. Der engen Beziehung zu Göttingen ist es zu verdanken, dass seit nahezu zwei Jahrzehnten regelmässig ein Studentensymposion für Germanistikstudenten aus Szeged, Göttingen und seit 1991 aus Torun (Polen) veranstaltet wird, welches den Teilnehmern von Jahr zu Jahr die Möglichkeit gibt, die Universität der anderen zu besuchen und über Literatur und Kultur Dialog zu führen, wobei die Verschiedenheit der Perspektiven bewusst ins Spiel gebracht wird (z.B. 1994 hatte das Treffen das Thema “Die Kultur und die Grenzen”). Eine freilich nicht institutionalisierte aber nichtsdestoweniger wichtige Beziehung hat das Institut zu Professor Detlev Haberland (Köln), der als Gastdozent seit Jahren seinen Teil zum Literaturgeschichtsunterricht (Barock) beiträgt und – neben Tünde Katona – die Organisation der internationalen Tagung “Buch- und Kulturgeschichte Ostmittel- und Südosteuropas in der Frühen Neuzeit” übernahm.
Das Institut für Germanistik es sieht als seine Aufgabe an, die Studierenden – über die currikularen Tätigkeiten hinaus – auch mit in die Forschungsarbeit der Lehrstühle einzubeziehen, wozu die Bewegung der wissenschaftlichen Studentenzirkel einen ausgezeichneten Rahmen bietet. Ein Zeichen dafür, dass diese Bestrebung nicht ohne Erfolg blieb, ist die Tatsache, dass die Studenten, die in den letzten Jahren beim Landesbewerb der Wissenschaftlichen Studentenzirkel einen Spitzenplatz belegten, nach dem Abschluss ihres Studiums fast ausnahmslos eines der Doktorandenprogramme der Fakultät begannen. In den folgenden Forschungsbereichen des Instituts arbeiten bereits Studierende oder wird studentische Beteiligung erwartet: Sprachgeschichte (insbesondere Quellenforschungen und Untersuchungen zum Schrifttum des Ungarndeutschtums der frühen Neuzeit), Problem der Valenz, kontrastive Linguistik, Deutsche Grammatik 1650-2000, Goethe-Forschungen, sprachphilosophische Vorstellungen in der Frühromantik, Textausgabe (Heinrich Böll), Kultur des Ungarndeutschtums in der frühen Neuzeit. Seit 2001 erscheint die von Tamás Kispál und dem österreichischen Lektor Markus Kóth betreute Studentenzeitschrift GeMa (Germanistisches Magazin), deren semesterlich erscheinende Hefte über das Leben des Instituts und dessen StudentInnen, bzw. über Aktuelles aus den deuschsprachigen Länder berichten.