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Zeitung << 1/2002 << Nach Erzählstrukturen suchend
Nach Erzählstrukturen suchend
Autorin: Angéla Dévity
Erzählwelten II. Zur Typologie der deutschsprachigen Erzählung um die Jahrhundertwende
Hrsg. v. Károly Csúri und Géza Horváth in Zusammenarbeit mit Márta Horváth und Erzsébet Szabó. Szeged 1999. (= Acta Germanica 10)
Der vorliegende Band versammelt die Beiträge der internationalen Konferenz Erzählwelten. Zur Typologie der deutschsprachigen Erzählung um die Jahrhundertwende, die im September 1998 in Szeged stattfand. Die Konferenz hat ein dreijähriges, unter der Leitung von Professor Károly Csúri durchgeführtes Forschungsprojekt der literarischen Lehrstühle unseres Instituts abgeschlossen. Ziel des Projektes war es, aufgrund von Einzeluntersuchungen zu österreichischen und deutschen Autoren der Jahrhundertwende die narrativen Konstruktionsprinzipien der Erzähltexte der jeweiligen Autoren, und – darauf aufbauend – eine Typologie der deutschsprachigen Erzählung der Zeit herauszuarbeiten. Die theoretische Grundlage des Projektes bildete die Poetik der möglichen Welten, die man weiterzudenken und zu verfeinern versuchte.
Der Band ist chronologisch geordnet und enthält insgesamt 13 Beiträge zu Erzähltexten von Fontane, Beer-Hofmann, Adrian, Hofmannsthal, Schnitzler, Ehrenstein, Renk, Kafka, Hesse und Musil. Werke von Fontane werden von Christine Hehle, Edina Sándorfi, Michael Scheffel und Erzsébet Szabó interpretiert. Hehle untersucht die Konstitutionsprinzipien von Räumen in Theodor Fontanes Stine, während Sándorfi Betrachtungen zu der kryptisch-mythischen Poetik der späten narrativen Texte von Fontane anstellt. Scheffel liest Fontanes Werk aus der Sicht von Arthur Schnitzler. Aus diesem Blickwinkel versucht er die Entwicklung des Erzählers Fontane an drei ausgewählten Beispielen (Schach von Wuthenow, Unwiederbringlich, und Der Stechlin) zu verfolgen und seine Stellung zwischen Tradition und Moderne zu bestimmen. In der Analyse von Effi Briest geht Szabó von Schnapps Theorie von "In-Geschichten-Verstricktsein" aus und meint, dass in Fontanes Werken den Geschichten die gleiche ontologische und erkenntnistheoretische Funktion wie bei Schapp zukommt, und die Elemente der erzählten Welt ihre Identität in den realen und fiktiven Eigen- und Fremdgeschichten erhalten, in die sie verstrickt sind. Die Geschichte Effi Briests ist somit u.a. als Effis Mitverstrickung in die – die Goetheschen Wahlverwandtschaften weiterführende – Geschichte ihres Ehemannes und ihres Liebhabers zu verstehen.
Magdolna Orosz unternimmt eine Analyse von Leopold Adrians Der Garten der Erkenntnis und Richard Beer-Hofmanns Der Tod Georgs und versucht die grundlegenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Texte aufzuzeigen. Wolfgang Nehring geht unter dem Titel Das Unheimliche hinter den schönen Dingen Hofmannstahls Erzählstrukturen nach, während Zoltán Szendi sich mit den Erzählperspektiven in den frühern Novellen Arthus Schnitzlers auseinandersetzt. Die frühen Erzählungen von Albert Ehrenstein werden von Günter Helmes, Die wirre Welt der Kurzgeschichten Anton Renks von Johann Holzer, Kafkas frühe Erzählung Beschreibung eines Kampfes von Benno Wagner untersucht.
Das Erzählwerk von Hesse ist durch den Beitrag von Géza Horváth präsent. In seiner Interpretation über die Erzählung Klein und Wagner lehnt er sich an die Philosophie Schopenhauers an und erklärt die Vollendung des Entwicklungsprozesses des Protagonisten mit dem Durchbrechen der Grenzen des principii individuationis (Grenzen von Raum, Zeit und Kausalität), das nach der Meinung Hesses durch die Kunst möglich ist.
Musils Werke werden von Márta Horváth und Péter Zalán besprochen. Horváth analysiert Musils Novelle Grigia ausgehend aus Musils bipolarer Erkenntnistheorie. Die zwei Gebiete der Wirklichkeit, die nach Musil durch zwei verschiedene Erkenntnisweisen zugänglich sind, nennt er “ratioides Gebiet“, das die Tatsachen der physischen Natur umfasst und “nicht-ratioides Gebiet“, dessen Tatsachen variabel und individuell sind. Das zweite, das Gebiet der Ethik und Ästhetik, sei nach Musil das “Heimatgebiet“ des Dichters. In der Novelle wird dieser Zustand modelliert, dessen Hauptattribut die Atemporalität ist. Zalán untersucht in seinem Beitrag die Beziehungen zwischen Ich und Selbst und der Welt des Nicht-Ich aufgrund der Erzählungen des Bandes Drei Frauen.
Aus anderen wissenschaftlichen Untersuchungen ist den Lesern bereits klar, dass die während des relativ kurzen Zeitinterwalls der Jahrhundertwende entstandenen Erzählungen sehr abwechlungssreiche Möglichkeiten der Narration aufweisen. Die Beteiligten des Projektes von Károly Csúri versuchen dem entgegenzutreten und eine doch einheitliche Erzähltypologie zu entwickeln. Die Ergebnisse dieses Versuches kann jeder für sich, also in Nummer 10 der Acta Germanica überprüfen.
Acta Germanica – Eine Schriftenreihe des Instituts für Germanistik an der Universität Szeged
Herausgegeben von Vilmos Ágel, Márta Barótiné Gaál, Péter Bassola, Árpád Bernáth, Károly Csúri, Katalin Hegedûs-Kovacsevics
Aus der Reihe sind erhältlich:
Bd. 4: Auckenthaler, Karlheinz (Hrsg.) (1993): Die Zeit und die Schrift. Österreichische Literatur nach 1945. Szeged: JATE
Bd. 5: Bernáth, Csilla (Hrsg.) (1995): Studien zur zweisprachigen Lexikographie Deutsch-Ungarisch I. Akten des 1. Kolloquiums Szeged – Siegen, Szeged, 21.-22.5.1993. Szeged: JATE.
Bd. 6: Bassola, Péter (Hrsg.) (1998): Beiträge zur Nominalphrasensyntax. Szeged: JATE.
Bd. 7: Csúri, Károly/Horváth, Géza (Hrsg.) (1998): Erzählstrukturen. Studien zur Literatur der Jahrhundertwende. Szeged: JATE.
Bd. 8: Bassola, Péter/Oberwagner, Christian/Schnieders, Guido (Hrsg.) (1999): Schnittstelle Deutsch. Linguistische Studien aus Szeged. Festschrift für Pavica Mrazovic. Szeged: Grimm.
Bd. 9: Horváth, Márta/Szabó, Erzsébet (Hrsg.) (1999): Netz-Werk. Symposion der ungarischen Nachwuchsgermanisten. Szeged: JATE.
Bd. 10: Csúri, Károly /Horváth, Géza (Hrsg.) (1999): Erzählstrukturen II. Studien zur Literatur der Jahrhundertwende. Szeged: JATE.
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