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Zeitung << 1/2002 << Sieg über Rom

Sieg über Rom
Autorin: Zsuzsanna Szalay

Neulich habe ich einen sehr interessanten Artikel in der deutschen Ausgabe der National Geographic gelesen. Es handelte sich um die germanische Geschichte und zwar um eine sehr wichtige Epoche, über die man nicht sehr viel weiß. Letztes Mal habe ich darüber in der Landeskundevorlesung gehört. Damals habe ich aber das Thema gar nicht interessant gefunden. Jetzt habe ich dank des Aufsatzes in der Zeitschrift meine Meinung geändert.

9 nach Christus. Das Imperium Romanum herrscht von Ägypten bis zur Nordsee und will sich nun auch Germanien einverleiben. Da geschieht das Unglaubliche: Angeführt von dem 25-jährigen Cherusker Arminius, vernichten die Germanen die Armee des römischen Statthalters Varus. Die Schlacht im Teutoburger Wald wurde zum deutschen Mythos. Heute belegen Tausende faszinierender Funde, wo das Drama wirklich stattfand und wie es sich abspielte.
Der Auftritt muss von solcher Macht und Pracht gewesen sein, wie ihn dieses Land noch nie erlebt hatte. Vorne Reiter in blitzenden Rüstungen, behelmt und lanzenbewehrt. Dann die Feldzeichenträger und Trompeter. Danach, in dichten Reihen, ein schier endloses Gewoge bewaffneter Fußsoldaten. Dahinter Wagengespanne mit Ausrüstung, Proviant, Hausrat. Mit Handwerkern, Köchen, Ärzten, Landvermessern, Beamten, mit Frauen, Kindern, Sklaven. Drei römische Legionen samt Tross, drei Reitereinheiten und sechs Hilfstruppen. 20000 Menschen, eine viele Kilometer lange Kolonne. Mittendrin, hoch zu Ross, eskortiert von Leibwächtern, Roms neuer Oberbefehlshaber in Germanien: Publius Quinctilius Varus. Längsseits Einheiten zu Pferd, zuständig für den Flankenschutz und die Aufklärung. Einen dieser Trupps befehligt Arminius, ein junger Häuptlingssohn vom Stamm der Cherusker.
In diesem imposanten Marschzug erregt die Meldung eines Kuriers kein besonderes Aufsehen: Weit voraus haben Germanen wieder einen Aufstand angezettelt. Arminius und seine Reiter brechen unverzüglich auf, um die Revolte niederzuschlagen. Der erste derartige Vorfall, seit Varus im Frühling dieses Jahres 9 nach Christi mit seiner Armee über den Rhein gekommen ist, um nach den Invasionen der Feldherren Drusus und Tiberius die Gebiete bis hin zur Elbe auch formell dem Imperium Romanum einzuverleiben. Im September ist die Kampagne vorerst beendet, der Statthalter wieder auf dem Rückmarsch vom Sommerlager an der Weser in die Winterquartiere von Xanten und Köln. Alles ist nach Plan gelaufen.
Wieder eine Meldung, diesmal von Arminius: Ich bin mit meiner Truppe in Bedrängnis, erbitte dringend Hilfe! Varus möge seine Legionen gegen den Feind führen, schon ihr Anblick werde die Germanen entmutigen.
Arminius treibt aber ein doppeltes Spiel. Die Aufständischen, die zu bekämpfen er vorgibt, stehen unter seinem Befehl. Am nächsten Morgen gibt Varus – wie von Arminius eingeplant – seiner Marschkolonne das Kommando zum Wenden. Nach Nordwesten, in die Wälder, in den Engpass von Kalkriese, was den sicheren Untergang bedeutet.
Bis heute weiß man nicht mit letzter Sicherheit, auf welchen Wegen Arminius die Römer durch das Hügelland bei Osnabrück ins Verderben lockte. Aber man kennt den Ort, den er für das grausame Finale seines verwegenen Plans ausersehen hatte.
Drei Tage lang greifen die Germanen den Zug der Römer von den Flanken her an, zerhacken diese Kriegsmaschine wie einen bösartigen Giftwurm. Es sind nur noch verzweifelte, dezimierte Heerhaufen, die schließlich doch noch aus der tödlichen Umklammerung auszubrechen versuchen. Varus und viele seiner Offiziere stürzen sich in der zweiten Nacht ins Schwert, um der furchtbaren Schmach einer Niederlage zu entgehen, diesem schändlichen Untergang.
Aus dem Schutz der Wälle werfen sich Arminius’ Krieger auf die Römer, schlagen mit ihren Schwerten auf sie ein, metzeln sie zum Hunderten hin. Selbst der Himmel kommt den Angreifern zu Hilfe: es regnet in Strömen. Die Luft erzittert vor Kampflärm und Todesschreien. Die Legionäre, unter solchen Umständen weder fähig, ihre Katapulte in Stellung zu bringen noch ihre gefürchtete Schlachtordnung einzunehmen, werden eingekesselt, in die Sümpfe getrieben, Mann für Mann massakriert, zu Tode gefoltert. Nur wenigen gelingt es, dem Blutbad zu entkommen. Die Legionen sind aufgerieben. Rom ist so vernichtend geschlagen wie seit Hannibals Sieg bei Cannae im Jahr 216 v. Chr. nicht mehr.
Dass nun heute, 2000 Jahre später, noch Überreste der Legionen aufgespürt werden, gehört zu den archäologischen Sensationen dieser dramatischen Episode der europäischen Geschichte. Von keinem großen Schlachtfeld der Antike sind nennenswerte Funde erhalten – in Kalkriese gehen sie mittlerweile in die Tausende.
Bis heute wurden mehr als 5000 Funde geborgen. Gleich bei den ersten Grabungen im Jahr 1989 kam die eiserne Maske eines römischen Gesichtshelms, eines der ältesten bekannten Exemplare dieses seltenen Repräsentationsrequisits, ans Tageslicht. Ganze Münzschätze: die Barschaft reicher Offiziere, der Jahressold einfacher Legionäre. Waffen, Rüstungsteile, Handwerkszeug, Haushaltsgerät, sehr vieles nur in winzigen Fragmenten. Knochen, Schädel, Zähne von Menschen. Überreste von Tieren, darunter das vollständig erhaltene Skelett eines römischen Maultiers.
Der römische Historiker Tacitus hat gewiss nicht ahnen können, was er auslösen würde, als er in seinen um das Jahr 110 verfassten „Annalen” Arminius den „Befreier Germaniens” nannte. Anderthalb Jahrtausende lang war der cheruskische Held hier zu Lande im Dunkel der Geschichte vergessen. Die Überlieferung der clades Variana, der Varusschlacht, verdanken wir ausschließlich einem halben Dutzend römischer Geschichtsschreiber, von germanischer Seite gibt es keine Zeugnisse. Im Jahr 1505 entdecken Mönche im Koster Corvey an der Weser eine Abschrift der Aufzeichnungen des Tacitus, und nun erfuhren staunende lateinkundige Deutsche, welch mythisches Drama sich da einst im saltus Teutoburgiensis, also auf den Boden ihrer Ahnen abgespielt hatte.
Nun folgen 400 Jahre disparatester Heldenverehrung. Der Humanist Ulrich von Hutten rühmt Arminius in einem 1529 erschienenen Dialog als Feldherrn, der höher einzuschätzen sei als Alexander der Große, Scipio, Hannibal. Martin Luther deutscht ihn erst einmal zu „Hermann” ein und gesteht: «Ich hab ihn von herzen lib» - verständlich, denn wer gegen römische Vorherrschaft kämpfte, kann für den Reformator nur ein Guter gewesen sein. Im 17. und 18. Jahrhundert wird Arminius zum Helden verklärender Romane, Dramen und von nicht weniger als 37 „Hermanns”-Opern. Das 19. Jahrhundert schließlich nimmt ihn immer unverhohlener in nationale Regie. Jetzt wird Hermann der Cherusker zum Vorkämpfer für deutsche Freiheit, Kraft, Tapferkeit und Waffenbereitschaft. Gegen den äußeren Feind, für die deutsche Einigkeit. Und 1875 weiht ihm das Deutsche Reich – nach 37-jähriger Bauzeit! – im Teutoburger Wald ein Denkmal. Gut 50 Meter hoch zückt Hermann sein gewaltiges Schwert in den Himmel. Schwer tun sich mit diesem missbrauchten Mythos erst wieder die Nazis. All die chauvinistische Heldenverehrung kommt zwar ihrem Rassenwahn gelegen, aber mit dem Hermannskult halten sie sich dann doch zurück.
Wenn jemand noch mehr über die Germanen lesen will, kann er mehr in der März 2002-Ausgabe der National Geographic Deutschland erfahren. Hier gibt es Details über die Schlacht am Teutoburger Wald und welche Folgen der Sieg des Arminius über Rom hatte. Weitere Beiträge finden sich auch auf der Website der Zeitschrift. Im ZDF läuft eine Dokumentserie Sturm über Europa, wo man auch viel Interessantes über die Geschichte erfahren kann. Und wer sich in Deutschland aufhält, kann das Museum und Park Kalkriese besuchen, wo die archäologische Ausbeute der Schlacht zu finden sind.