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Zeitung << 1/2002 << Das beliebteste ungarische Gebiet der Deutschen: Die südliche Tiefebene


Das beliebteste ungarische Gebiet der Deutschen: Die südliche Tiefebene
Autorin: Noémi Nagy

Wenn wir Deutsche über Ungarn fragen, erzählen sie immer von der schönen Puszta. Sie kennen dieses Gebiet gut, das ist die beliebteste und interessanteste ungarische Landschaft für die Deutschen. Sie wissen über diese Gegend nicht so viel, nur, dass sie hier Möglichkeit zum Reiten haben und Schnaps trinken und scharfen Paprika essen können. Wir kennen aber dieses Gebiet auch nicht so sehr.

„Um Gehöfte wogen Weizenfelder
ährenschwer im weichen Arm der Winde…
Des Gestütes scharfer Trab dort drüben
saust im Wind, und hundert Hufe schallen.“

„…Schenke
tief im Schoß der Pußta ganz alleine“ (Sándor Petõfi)


Die Landschaft der südlichen Tiefebene ist die Gegend der Theiß, auch wenn nicht nur der Fluss diese Gegend prägte. Wind, Wasser und Mensch schufen eine abwechslungsreiche Landschaft. Ende des 17. Jahrhundert, nach dem Abzug der Türken, waren viele Siedlungen verlassen, und daraus resultierte die Verödung der Tiefebene. Die Natur gewann wieder die Oberhand, und die neuen Landnehmer, die Sümpfe, Röhricht und wildes Gewässer vorfanden, mussten erneut wie die Nomaden anfangen. Durch die Abholzung des Waldes erschien der Flugsand um die Wende des 18-19. Jh. erneut in den begrasten, bebauten Pusztagebieten zwischen der Donau und der Theiß. Mit Unterstützung des Windes raubte der Sand dem Menschen die Kulturlandschaft. Im 19. Jh. änderte der Mensch die Landschaft am stärksten, als er die Flüsse begradigte, und dadurch viele Erholungsgebiete an den Ufern schuf.
Das Donau-Theiß-Zwischenstromland (Duna-Tisza köze) ist ein Pusztagebiet geblieben. Sein Name Kleinkumanien (Kiskunság) beruht auf der historischen Tatsache, dass sich die Kumanen im 13. Jh. hier ansiedelten, bevor sie sich mit den Ungarn vermischten. Freie und wellige Wanderdünen aus Flugsand wechseln mit Grassteppen, Wacholder- und Pappelhainen oder Akazienwälder mit Salztümpeln. Auch Petõfis ehemalige Puszta, die unendlichen öden Steppengebiete sind weiterhin vorhanden. Im Norden grenzt die Region an Großkumanien (Nagykunság), die trockenste Gegend des Landes zwischen der Theiß und den Kõrös-Flüssen. Die Durchschnittstemperatur von 22 °C im Juli ist typisch für das Klima, was die Thermalbäder mit artesischen Brunnen, die Badestellen an den gewundenen Flussläufen und die schattigen Galeriewälder besonders anziehend macht.
Von den Siedlungen der Süd-Tiefebene hatten diejenigen einen großen Vorteil, die nicht nur die wichtigsten Waren zum Verkauf anbieten konnten, sondern wo dieser Reichtum auch mit günstigen Verkehrsverbindungen, z.B. Fähren verbunden war. Bedeutende Handelswaren waren etwa Salz, Fisch, Getreide, Vieh und Wein. Dadurch wurde Szeged zur wichtigsten Stadt der Region.
Die ethnische Vielfalt erreichte im 18-19. Jh. ihren Höhepunkt. Neue Völkergruppen gesellten sich zu den Ungarn und den bereits assimilierten Kumanen. Zuerst Gruppen aus den Städten, die früher dem Sultan unterstellt waren, dann Deutsche an der Donau und im östlichen Békés-Gebiet, Slowaken bei Békéscsaba und Rumänen in der Nähe von Méhkerék und Battonya. In der Umgebung von Baja und Szeged bereicherten Serben und Südslawen die Nation.
Die Bewohner dieser Gegend streben nach zwei Dingen. Zum einen wollte man die Kennzeichen der Identität möglichst auffallend vorzeigen. Außer den Hausfassaden, Laubengängen und Zäunen boten die ebenfalls von vielen bewunderten Stickereien und Trachten eine Möglichkeit dazu. Die Stickerei von Kalocsa oder die der Serben mit Metallfäden zeigen gleichzeitig den Wunsch, die anderen zu übertreffen.
Ein anderes natürliches Ziel der hiesigen Bevölkerung ist es, einander im Dorf und im weiteren Umfeld sowohl sprachlich als auch kulturell bewusst oder instinktiv zu beeinflussen. Die Trennung von der Nation und der intensiven Kontakt zu der neuen Umgebung haben der volkstümlichen Kultur dieser Gegend eine besondere Atmosphäre verliehen. Wohl aus diesem Grund gibt es hier so viele Heimatmuseen, so viele bewahrenswerte Volkskunstwerke und traditionsbewusste Folkloregruppen. Die Siedlungen haben sich allmählich einander angeglichen. Die Unterschiede werden immer geringer, doch in der Seele der Menschen, im Verhalten und in der Kultur leben sie weiter.
Ein spezielles Kennzeichen blieb die Mundart in den zwei größten Städten der südlichen Tiefebene. In Szeged und in Kecskemét werden die geschlossenen e-Laute oft durch ein „ö“ ersetzt, so heißt Szeged z.B. im Dialekt „Szöged“. Wann diese Umlautung erlaubt ist und wann nicht, wissen allerdings nur waschechte Einheimische hundertprozentig.
Die Spuren der Geschichte reichen auf den Gebieten der Produktion, der Kunst und Kultur 7000 Jahre zurück. Die Stürme der Vergangenheit verschonten zwar wenig, doch eben das erhöht den Wert der musealen Gegenstände. Die Zeugnisse des letzten Jahrtausends sind kaum älter als 200-300 Jahre – eine Folge der 150-jährigen Türkenherrschaft.
Die Vielfalt der Natur muss man auf jeden Fall erwähnen. Drei Nationalparks Donau-Drau, Kleinkumanien und Körös-Maros bedeuten strengen Schutz für Naturschätze, zum Teil sind sie nur mit Führung zu besichtigen. Gastfreundliche Dörfer, Reiterhöfe bieten naturnahe Unterkunft, kleine Gaststätten besondere Gaumenfreuden.