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Zeitung << 2/2002 << Trilaterales Seminar in Göttingen 2002


Die "Wunderbare" Zugfahrt, "Picknick", und dann "weiter leben"
Trilaterales Seminar in Göttingen 2002

Autorin: Katalin Kovács

Die Georg-August-Universität Göttingen und die Universität Szeged stehen miteinander seit 1984 in Verbindung. In diesem Rahmen organisiert das Institut für Germanistik in Szeged zusammen mit dem Seminar für Deutsche Philologie in Göttingen seit 1988 gemeinsame Seminarwochen. Im Frühjahr 1988 kamen die ersten Gastdozenten aus Göttingen nach Szeged, und im Herbst desselben Jahres fuhr die erste Studentengruppe aus Szeged nach Göttingen. In dieser ersten gemeinsamen Seminarwoche wurden Hölderlins und Kleists Werke von Lehrenden und Studierenden diskutiert bzw. interpretiert. Aus diesem gemeinsamen Seminar wurde eine lange Tradition mit über 9 Treffen in den vergangenen 14 Jahren. An die TeilnehmerInnen von Göttingen und Szeged schlossen sich später GermanistInnen der polnischen Kopernikus-Universität aus Torun an. Seitdem wird die gemeinsame Seminarwoche abwechselnd in Szeged, Göttingen und Torun organisiert.

Im Jahre 2002 fand das Seminar zwischen dem 23. und 26. September wiederholt in Göttingen statt. Sein Thema lautete: Kindheitserinnerungen in der Gegenwartsliteratur und behandelte, der seit Mitte der 90-er Jahre erfolgreichen Gewohnheit folgend, nicht nur deutschsprachige, sondern auch ungarische und polnische Literatur, etwa AutorInnen wie Attila Bartis, László Garaczi, Christoph Hein, Ruth Klüger und Piotr Siemion.

Das Szegeder Hitteam (Attila Bombitz, Miklós Fenyves, Katinka Gutai, Endre Hárs, Katalin Kovács, Károly Kovács-Bokor, Judit, Gabriella Rapajka, Ágnes Szabó, Anikó Veress) beschäftigte sich mit Texten dieser AutorInnen schon seit Ende des vorigen Semesters. So kannten wir die biographisch inspirierten Geschichten über die Hölle des Holocausts (sowie über dessen Verarbeitung) von Ruth Klüger, über das Leben der polnischen Jugendlichen zur Zeit der Wende von Piotr Siemion schon vor der Reise, und wir waren gespannt, was die deutschen und polnischen TeilnehmerInnen, die Einigen aus der Gruppe vom letzten Toruner Treffen 2001 schon bekannt waren, zu ’unserer’ Textauswahl sagen.
Nach einer ,,wunderbaren” Zugfahrt (im Zusammenhang mit Garaczis Die wunderbare Busfahrt) kamen wir am 22. September in Göttingen an. Morten Brandt, der für uns alle sehr beliebte Organisator aus Göttingen und andere warteten auf uns auf dem Bahnhof. Die Freundlichkeit, mit der sie uns empfingen, begleitete uns auch in den folgenden Tagen. Nachdem wir am ersten Abend in die Jugendherberge eingezogen waren, einen Spaziergang in die Stadt gemacht und die stimmungsvollste Kneipe entdeckt hatten, konnten wir dort die letzten Momente der deutschen Parlamentswahlen live (und bei Weizenbier) mitverfolgen. In den folgenden Tagen - vor oder nach den Seminarsitzungen - konnten wir die Stadt gründlicher kennen lernen. Wie Szeged, ist auch Göttingen eine ,,Stadt, die Wissen schafft”. Sie hat Studierende aus der ganzen Welt, mit dem Unterschied, dass sie auch im Sommer ’lebt’. Ein großer Teil des städtischen Lebens spielt sich noch immer innerhalb des alten Stadtwalls ab. Alle wesentlichen Orte lassen sich zu Fuß erreichen, die Stadt ist voll von Rad fahrenden StudentInnen. Wahrzeichen der Universitätsstadt ist das Gänseliesel auf dem Marktbrunnen vor dem Alten Rathaus. Eigentlich nur ein armes Mädchen, das seine Gänse hütet, ist die Jugendstilsfigur längst zum Liebling aller frischgebackenen Doktoren geworden. Sie drücken ihm - so ist es Brauch - nach bestandener Prüfung einen Kuss auf die bronzene Wange und haben es so zum ,,meist geküssten Mädchen der Welt” gemacht. Die berühmtesten Sehenswürdigkeiten dieser sehr stimmungsvollen Stadt sind daneben die St. Johanniskirche, die St. Jacobi-Kirche, der alte botanische Garten, das Deutsche Theater und das neue, moderne Gebäude der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, das wie ein Zentrum für Weltraumforschung (oder aber ein Raumschiff) aussieht, zu den fünf größten Bibliotheken Deutschlands gehört und fast fünf Millionen Bände, etwa 16.000 Zeitschriften, mehr als 12.000 Handschriften und 350 Nachlässe von Wissenschaftlern im Besitz hat. Für die Studierenden von Göttingen ist also alles für erfolgreiches Arbeiten vorhanden.
Unsere Gastgeber hielten sich auch daran: sie bereiteten sich auf das Seminar gut und gründlich vor. Obwohl sie - und auch die polnischen Studenten - unsere Romane von Bartis und Garaczi nicht völlig verstanden, hatten sie doch Mut zu denken, zu fragen und zu diskutieren. Aber wir hatten das auch! Überhaupt entwickelte sich ein reger Austausch von Meinungen zur näheren wie ferneren Vergangenheit unserer Länder. Neben den gemeinsamen Gesprächen und Diskussionen hatten wir Gelegenheit, auch eine Neuigkeit der deutschen Literatur, das Buch Eichendorffs Schuppen von Johann Dietrich Brandt kennen zu lernen. Aus dem biographisch inspirierten Werk wurde uns vom Autor selbst vorgelesen, der uns Details vortrug und Kommentare hinzufügte. Im Vortrag von Bombitz Attila (Elf Elfen oder Wie die Welt neu erzählt werden kann) konnten die Studenten Geschichten und Redeweisen in der Erzählkunst der ungarischen Gegenwartsliteratur nach der Wende kennen lernen.
Auch die gemeinsame Arbeit fand bei guter Laune statt, der Höhepunkt der Woche war aber die Party am Dienstag. Obwohl wir schon am Sonntag und Montag die Möglichkeit hatten, uns miteinander vertraut zu machen, war diese Party mit Musik und Tanz die erste Veranstaltung, wo sich alle völlig entspannen konnten, und wo sich herausstellte, dass die deutschen und die polnischen StudentInnen Partys genauso gern haben wie die ungarischen.
Ein anderes großes Erlebnis war das Theater im Operationssaal (ThOP). Im Gebäude der Uni gibt es nämlich einen Raum, der vor Jahrhunderten als Operationssaal diente. Hier probt und tritt die Theatertruppe von StudentInnen auf, die von unserem Göttinger Gastgeber, Herrn Prof. Dr. Horst Turk betreut wird. Der Raum ist klein und dunkel. Er ist der ehemalige Schau-Operationsaal der ehemaligen Universitätsklinik. Die Sitzplätze sind unbequem, aber wir fühlten uns sehr gut, als wir das Glück hatten, Das Treibhaus von Harold Pinter zu sehen.
Alles Gute endet aber einmal - am Donnerstag sollten wir von den Deutschen und Polen Abschied nehmen. Nach dem gegenseitigen E-Mail-Adressentausch einigten wir uns darauf, dass wir uns am Ende des Sommersemesters hier in Szeged wieder treffen. Dann findet nämlich das trilaterale Seminar wieder hier statt. Wir hatten eine Studentin von uns in Göttingen gelassen. Das war kein Zufall, sie blieb mit einem Semesterstipendium in der Stadt. Ich denke, das trilaterale Seminar erreichte sein Ziel: wir erfuhren mehr über die Literatur und die Denkweise der anderen Teilnehmer; neue Bekanntschaften, Freundschaften wurden geschlossen. Nächstes Mal werden wir die Gastgeber!

Internet:
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: www.sub.uni-goettingen.de