Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2002 << Kennt ihr eigentlich den Herrn vom Uhudla?


Kennt ihr eigentlich den Herrn vom Uhudla?
Dichterlesung von Karl Weidinger

Autorin: Eszter Kesiar

Ein grauer, verregneter Donnerstagabend im Petõfi-Gebäude der Universität Szeged. Das Wetter ist unfreundlich, kaum jemand auf der Straße. Nur aus einem einzigen Raum im zweiten Stock strahlt etwas: Kawei, der Herr vom Uhudla, der richtige Wunderling, Karl Weidinger aus Österreich. Es waren überall am Institut Plakate ausgehängt, die zu einer Lesung einluden. Wer das Plakat ein bisschen gründlicher las, konnte schon ahnen, dass es hier um etwas nicht Alltägliches geht.

Kawei ist kein Literaturwissenschaftler oder Schriftsteller im gewöhnlichen Sinne des Wortes, der mehrere Jahre Studium hinter sich hat. Der Herr vom Uhudla ist der Titel seines neuen Buches. Uhudla ist ein bis 1992 verbotener, wilder Wein. Kawei und Uhudla haben einige Ähnlichkeiten: die gemeinsame Wurzel, der burgenländische, freie, ungepflegte, wilde Aufwuchs. Nach den Schuljahren in Oberpullendorf begann er in Wien als Briefträger zu arbeiten. Die achtjährigen Erlebnisse als Briefträger trugen entscheidend dazu bei, dass er ein anerkannter Schriftsteller wurde. Die während dieser lehrreichen Jahre gesammelten Erfahrungen bilden den Hintergrund seines Buches.
Das Buch Der Missbrauch des aufrechten Ganges, mit dem Untertitel Postreport, gibt dem Leser und auch dem Hörer in der Szegeder Lesung einen aufrichtigen Einblick in die Seele eines Briefträgers, zeigt, was für seltsame, erotische und manchmal auch bizarre Situationen das Leben eines Beamten färben. Nicht nur Kaweis Publikum schätzte das Buch und machte es zu einem Bestseller, es fand sogar seine Stelle auf der Leipziger Buchmesse. Nach der seltsamen Lesung in Szeged gingen wir gemeinsam in ein Restaurant, wo ich mit dem österreichischen Schriftsteller sprechen konnte.

Was ist der Impetus deines Schaffens? Warum schreibst du?
Kollege Paul Auster (oder Charles Bukowski) hat gesagt: nicht ich habe mir die Schreiberei aufgesucht, sondern die Schreiberei hat mich erwählt. Es treibt und schreibt mich so vor mich her. Manchmal kann ich es nicht bestimmen. Die Worte nehmen überhand und bemächtigen sich meiner Schreiberhand.

Wie funktioniert das?
Ich habe einen Muttertext, ein Masterscript, in dem ich alles festhalte, alles, wovon ich glaube, dass es nur ein bisschen Relevanz und Originalität hat. Ich werde munter und habe im Idealfall eine Formulierung geträumt. Heute früh war es pleasure (englisch für Vergnügen) und blessur (Verletzung), die für mich ähnlich klingen und eine auffallende Signifikanz haben. Also kann man einen nachvollziehbaren Zusammenhang herstellen. Vergnügen/pleasure und Verletzung/blessur gehören zusammen, gehen ineinander über. Zusätzlich ist mir heute noch auf- und eingefallen: Zwischen „Leid tun” und „Leid antun” ist nur eine Silbe Unterschied, obwohl Welten dazwischen sind. Solche Sachen besuchen mich unaufhörlich im Geist, und wenn ich das nicht festhalte, ist es weg. Also habe ich dieses Metadokument im Computer. Eine Worddatei mit über zwei Millionen Zeichen, weit über zweitausend Seiten, mittlerweile völlig chaotisch und unübersichtlich.

Was wird ausgewählt und was weiterverwertet?
Nicht alles, manches lagert ewig, manches wird sofort weiterverwendet. Manchmal suche ich dann eine Passage, von der ich sicher weiß, dass sie irgendwie herumschwirrt und dass diese Formulierung gut passen würde. Dann suche ich, und wenn ich Glück habe, finde ich etwas Entsprechendes, was ich mir vorher ausgedacht und als originell abgespeichert habe.

Das ist Literatur?
Sicher! Die Buchstaben zusammenfügen, mit Wörtern eine Collage aufbauen, den Sätzen neuen Sinn und Zusammenhang geben, etwas Neues aus der Sprache errichten.

Und worauf legst du am meisten Wert?
Dass etwas Originelles herauskommt. Es müssen neue Gedanken sein, die ich in dieser Form noch nicht gelesen habe. Mein Schreiben soll auch keinesfalls platt oder eindimensional sein, bei dem alles vorhersehbar ist.

Eindimensional?
Ich versuche immer dreidimensional zu schreiben, 3D, räumlich und plastisch sozusagen! Die erste Dimension ist die Authentizität, die zweite Dimension ist der Wort- und Sprachwitz, und die dritte Dimension ist die Überraschung von unvorhersehbaren Wendungen. Das ergibt in Summe eine so genannte Räumlichkeit, in die die Leser eintauchen können, wenn sie sich darauf einlassen wollen.

Wie wichtig sind Metaphern?
Sehr wichtig. Aber ich versuche diese Komparationen neu zu errichten. Also liebe ich originelle Zugänge und bilde neue Vergleiche. Denn nichts ist so langweilig wie das Wiederkauen von abgedroschenen Phrasen.

Hast du ein Beispiel parat?
Ja, in Kecskemét ist mir beim Zigarettenholen etwas Ähnliches eingefallen. Das Lokal hatte keine starken Zigaretten mehr, also musste ich zur Tankstelle gehen, und der Kellner hatte mich, soweit ich es verstanden habe, in eine Fußgängerzone geschickt, und das hat mich den ganzen Abend nicht mehr losgelassen: warum gibt es so wenig Tankstellen in Fußgängerzonen? Also ist mein daraus resultierender Vergleich, der dann fertig eingebaut in einem Buch so aussehen würde: „Erfolgreich wie eine Tankstelle in einer Fußgängerzone!”

Aber das ist ja ein Widerspruch!
Genau und das macht den Schmäh aus. Diese Heiterkeit, die aus Wiederspruch besteht. Das ist der Humor, den ich liebe.

Liest du viel?
Sicher, das ist das Um und Auf. Schon allein deswegen, weil es für mich das höchste ist, schöne Wörter zu drechseln und durch gute Formulierungen unterhalten zu werden. Man müsste endlich Regress einfordern, wenn Bücher langweilen. Genauso wie die Amerikaner ihre Tabak- und Fresskonzerne verklagen. Außerdem ist Schreiben doch in erster Linie Handwerk, wenn es auch Kopfarbeit ist.

Danke für das Gespräch!