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Zeitung << 2/2002 << Das Experiment
Das Experiment
Autorin: Petra Vratarics
Wollen Sie sich als Versuchskaninchen für ein psychologisches Experiment melden? Das Angebot ist ja ungeheuer verlockend! Für die Bezahlung (4000 DM) erwarten die Forscher eigentlich nur ein zwei Wochen lang dauerndes Rollenspiel. Dazu kommen noch Kost und Logis. Sie achten sogar auf die Sicherheit und haben das Laboratorium mit mindestens so vielen Kameras ausgestattet, wie viele Augen der Big Brother im Allgemeinen hat. Was kann der Haken sein? Nun, die menschliche Natur, das Unberechenbare, Unkontrollierbare, Unfassbare, deren wichtigste Komponente die nackte Gewalt ist, zumindest zeigt dies der Film, der das sogenannte „Stanforder Gefängnisexperiment“ zum Inhalt hat. Die Kontrolle über die Gewalt, die der zivilisierte Mensch zu haben glaubt, entgleitet ihm bei Gelegenheit. Im Jahre 1971 wurden zwanzig Freiwillige ausgewählt, um das menschliche Benehmen und die sozialen Interaktionen im Laufe eines akademischen Experiments zu beobachten. Die Teilnehmer „wurden zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt“ - acht von ihnen wurden zu Gefangenwärtern erklärt, die anderen hatten die Rolle der Häftlinge inne. Die Akteure haben sich aber unerwartet früh und intensiv in ihre Rollen hineinversetzt, früher als es die Psychologen zu hoffen wagten. Das Experiment, das gewaltlos begonnen hatte, wurde zu einem blutigen Drama, worüber Mario Giordano ein Buch mit dem Titel Blue Box schrieb. Die Aufgabe, die Geschichte zu verfilmen, hat Gott sei Dank nicht ein amerikanisches Studio, sondern der Regisseur Hirschbiegel (bekannt durch Tatort) übernommen. So ist der Film keine Chronik der Konfrontation von Helden und Opfern, sondern zeigt vielmehr die Abgründe der menschlichen Natur. In dieser Situation gibt es nämlich keine Helden, sondern nur Opfer. Die Gefangenwärter sind die Opfer ihrer eigenen bisher unterdrückten Aggression, die sie an den Gefängnisinsassen ausleben wollen. Da diese ihnen ausgeliefert sind, werden sie gedemütigt und gequält. Das gut bearbeitete Drehbuch und die perfekte Darstellung der Charaktere haben den besten, aber allerdings auch erschütternsten deutschen Film der letzten Jahre ergeben. Wir Zuschauer können uns selbst nach dem Ende des Films nicht erleichtert fühlen. Durch den Einfluss des Films wird die Dunkelheit des Projektionssaals zu unserer eigenen Dunkelzelle. Die Endlösung, die bei amerikanischen Thrillern so oft zu finden ist, suchen wir in diesem Experiment vergebens. Wenn uns die Überschrift zu Anfang des Filmes, basierend auf einem wirklichen Geschehen, einfällt, müssen wir uns dessen im Klaren sein, dass kein einziges Drehbuch so grausam und erschütternd sein kann, wie das Leben selbst. Und wir wissen, es gibt nur eine Realität, die erbarmungslos und grausam ist, die wirkliche Welt.
Das Experiment
Deutschland, 2001, 120 Min.
Regie: Oliver Hirschbiegel
Mit Moritz Bleibtreu, Christian Berkel
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