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Zeitung << 1/2003 << „Reisen in Europa - und du wirst noch bezahlt dafür“


Reisen macht Spaß!
Warum es sich lohnt eine Werbefahrt mitzumachen

Autor: Dávid Horváth

Ich fahre gerne ins Ausland. Ich bin für das ganze Jahr ausgebucht. Wieso habe ich so viel Zeit? Ich bin kein Millionär, nur ein einfacher Rentner aus der DDR. Ich habe 60 Jahre lang gearbeitet, vor zwei Jahren habe ich meine Frau verloren, die Kinder sind schon erwachsen und wohnen weit weg.
Ich wusste nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte, bis ich an einem Tag im Briefkasten ein Prospekt fand. Das kam von einem Reiseverein, es war ein Sonderangebot: 5 Tage Italien mit Bus, mit Halbpension, Einzelzimmer und Ausflüge nur 99 Euro. Diese Möglichkeit konnte ich einfach nicht verpassen.
Die Fahrt mit dem Bus war ziemlich lang, unser Fahrer kam aus der Türkei und konnte kaum Deutsch. Er hat uns erklärt, dass die Toilette im Bus kaputt sei, und wenn wir Durst hätten, könnten wir alles bei ihm kaufen, weil im Ausland alles teurer sei. Aber unser deutsches Mineralwasser und deutsche Würstchen kostete dreimal so viel wie bei uns zu Hause.
Als wir endlich unser Hotel erreichten, kam die erste Überraschung. Ich musste 40 Euro Einzelzimmerzuschlag bezahlen, obwohl ich das schon in Deutschland buchte. Der nette Reiseleiter sagte, wenn ich es nicht mache, kann ich entweder im Bus oder unter der Brücke schlafen. Also, ich hatte keine andere Wahl, ich musste zahlen, damit ich meinen Zimmerschlüssel bekomme. Am zweiten Tag ging es zu einer Veranstaltung früh los. Sie fand in einem kleinen Dorf, in der Mitte eines Waldes, in einem Restaurant statt. Die Präsentation fing um 08:30 an und dauerte bis 14:30 Uhr. Hier wurde alles Mögliche verkauft: Küchenmaschine, Magnetbetten, Dampfreiniger, Messersets, etc. Nach einer Stunde wollte ich spazieren gehen, stellte aber fest, dass wir eingesperrt waren. Wir mussten uns sozusagen unsere Freiheit erkaufen: solange die Mehrheit einige Sachen nicht bestellt und die fakultativen Ausflüge nicht gebucht hatte, wurden wir nicht freigelassen. Da erfuhr ich, was der Ausdruck „fakultativer Ausflug“ bedeutet: das Programm, das ich zweimal bezahlen muss. Ich hatte zwei Möglichkeiten: entweder bleibe ich im Hotel in den Bergen, oder ich mache alles mit.
Am dritten Tag machten wir eine Panoramafahrt mit einer Schmalspurbahn, die mehr als zwei Stunden dauerte. An der Endstation wartete unser Bus auf uns. Während der Zugfahrt musste ich zur Toilette. Als der Zug kurz angehalten ist (natürlich nicht bei einer Bahnstation), stieg ich aus, erledigte schnell hinter einem Baum meine Sache. Als ich wieder einsteigen wollte, war die Bahn weg. Ich wartete eine Stunde lang auf den nächsten Zug und zum Glück rief der Reiseleiter den Schaffner an, dass er mich abholen soll. Die ganze Gruppe war sehr sauer auf mich, weil wir viel Zeit verloren und noch viel vor uns hatten, unter anderem einen anstrengenden Stadtrundgang in einer Großstadt. Unser Reiseleiter diktierte ein ziemlich schnelles Tempo, er wollte uns alles zeigen. Er erzählte eine interessante Geschichte von einem Liebespaar. Ich glaube, das Mädchen hieß Julia, ihre Statue sahen wir auch, und, wie viele andere, griff ich auch an ihre unverdeckte rechte Brust, damit ich meine sexuelle Energie wiedergewinne. Ich weiß nicht, ob es wirkte.
Am vierten Tag mussten wir wieder früh aufstehen. Das Frühstück war portioniert, ich konnte nichts einpacken für später, falls ich Hunger kriegen sollte. Wir fuhren zuerst mit dem Bus, dann mit einem Schiff zu einer Stadt, wo es keine Autos gab und die Taxis waren kleine Motorboote. Diese Stadt wurde auf Pfählen gebaut und es gibt immer noch keine Kanalisation, alles fließt ins Wasser. Nach einer anstrengenden Stadtbesichtigung konnten wir uns endlich bei einer Gondelfahrt ausruhen. In eine Gondel passten sechs Personen, und der Reiseleiter sagte, wir bräuchten keine Angst zu haben, wir wären in Sicherheit, die Gondoliere wären erfahrene Leute, es könne nichts passieren. In meiner Gondel saßen zwei Damen, die während dieses Abenteuers immer schrieen wenn eine kleine Welle kam. Als wir endlich den Anlegeplatz erreichten, versuchte ich beim Aussteigen den beiden korpulenten Frauen zu helfen. Sie wollten natürlich alle beide auf einmal aussteigen, aber bei diesem Gewicht kippte die Gondel um, sie fielen ins Meer. Alle Gondoliere sprangen gleich nach, um sie zu retten. Die Touristen, die das sahen, lachten sich kaputt.
Sie fragen bestimmt, warum ich solche Werbefahrten immer wieder mitmache, obwohl ich so viel Schlechtes erlebt habe. Ich kann meinen Kindern schöne Bilder zeigen, ich kann interessante Geschichten erzählen und die wichtigste Sache ist, dass ich für wenig Geld überall hinkommen kann. Außerdem wäre mein Leben ohne solche Erlebnisse zu langweilig.