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Zeitung << 1/2003 << Was wird aus der Erforschung der gesprochenen Sprache?


Was wird aus der Erforschung der gesprochenen Sprache?
Sprachwissenschaftliche Konferenz in Szeged

Autorin: Beatrix Tóth

Vom 20. bis 21. Februar 2003 trafen sich in Szeged Sprachwissenschaftler, um Erfahrungen zu sammeln, Meinungen auszutauschen und über Probleme zu diskutieren. Vilmos Ágel und Mathilde Hennig vom Institut für Germanistik an der Universität Szeged haben eine Tagung zur Erforschung der gesprochenen Sprache organisiert. Wir konnten dort Reinhard Fiehler, Peter Eisenberg und Peter Auer kennen lernen, deren Studien auch in unseren Zwischenprüfungslektüren zu finden sind.

Reinhard Fiehler (Mannheim) hat über die Struktur einer Grammatik der gesprochenen Sprache referiert. Es ging dabei um die 7. Auflage der Duden-Grammatik, die 2004 erscheinen soll und auch ein Kapitel über die gesprochene Sprache umfassen wird. Einige der behandelten Themen: Grammatik gesprochener Sprache; Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache; das Gespräch; Entwicklungen der gesprochenen Sprache. Reinhard Fiehler führte sechs Thesen an, über die Aufgaben der Grammatik, die Einheiten geschriebener und gesprochener Sprache, Aufgaben einer Grammatik der gesprochenen Sprache, die faktische Leistung von Grammatiken, die Rolle der gesprochenen Sprache, die Unterschiede zwischen der gesprochenen und der konzeptionellen Schriftsprache und die Besonderheiten einer Grammatik der gesprochenen Sprache.
Peter Eisenberg (Potsdam) hielt einen Vortrag über die Frage, ob die Grammatiken überhaupt die gesprochene Sprache beschreiben sollen, und wie eine Grammatik aussehen soll. Er demonstrierte die Zusammenstellungen von drei Grammatiken (Eisenberg 98/99, Duden 98, Duden 2004) und deren Unterscheidungen. Eisenberg meint, dass der Grund, warum es viele Grammatiken gibt, ist, dass jeder Sprachwissenschaftler nur das für wichtig hält, was er sieht. Er ist der Meinung, dass die für unseren Gegenstand entwickelten Begriffe der Sprache dichotom sind, weil der Sprachmodus in konzeptioneller Hinsicht entweder schriftlich oder mündlich ist, also entweder geschrieben oder gesprochen.
Peter Auer (Freiburg) beschäftigte sich mit der Frage, in welcher Form die Syntax der gesprochenen Sprache erscheint. Er sprach über eine „Theorie der Syntax“ in einem sehr minimalistischen Sinn des Wortes. Dieser Theorie müssen drei Kriterien genügen: Sie muss inkrementell und dialogisch organisiert sein und „constructions“ mit einbeziehen. Von Auer stammt der Begriff Online-Syntax, was etwa mit mündlicher Syntax gleichzusetzen ist. Dabei geht es u.a. um den Verarbeitungsprozess, in dem die Projektionsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen: Wir haben mehrere Möglichkeiten einen Satz zu vervollständigen. Bei der Dialogizität und Dialoghaftigkeit der Syntax wird auch die Rolle der Rezipienten untersucht, die die Syntax mitsteuern können, auch wenn sie nichts sagen. Die syntaktischen Konstellationen oder individualisierten Konstruktionen („constructions“) hat Peter Auer anhand des Beispiels des projektivischen, betonten „so“ erläutert. Dieses „so“ kann man sowohl korrelativ als auch konsekutiv benutzen: Korrelativ kann es als „Kopula + so“ benutzt werden, dann ist es eine semantisch erklärte Struktur. Benutzt man „so“ als Modalwort, dann ist es auf eine Art und Weise expliziert. Konsekutiv gesehen kann „so“ als Adverbialprädikat verwendet werden, aber dann muss nach „so“ etwas folgen.
Weitere Referenten der Tagung: Margaret Selting (Potsdam) hielt einen Vortrag über die Grammatik des gesprochenen Deutsch im Rahmen der Interaktionalen Linguistik. Benjamin Stoltenburg (Münster) beschäftigte sich mit der Beschreibung und Funktion von Parathesen in der gesprochenen Sprache. Vilmos Ágel und Mathilde Hennig (Szeged) sprachen über die Theorie und Praxis des Nähe- und Distanzsprechens. Ildikó Hegedüs (Szeged) hielt ihren ersten Vortrag über die Problemanalyse am Beispiel der Korrelate von Subjekt- und Objektsätzen: Wie kann Nähesprache diachron untersucht werden? Wolfgang Imo (Münster) referierte über Construction Grammar und gesprochene Sprache. Der Vortrag von Péter Kappel (Szeged) behandelte das Verhältnis von Dialektologie und Gesprochene-Sprache-Forschung.