Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2003 << "Die Aufgabe" der literarischen Übersetzung


"Die Aufgabe" der literarischen Übersetzung
Gespräch mit Univ.-Doz. Dr. Géza Horváth über das literarische Übersetzen

Autorin: Katinka Gutai

Herr Dr. Géza Horváth ist literarischer Übersetzer. Er studierte Ungaristik und Germanistik in Budapest und besuchte in Budapest auch ein Spezialkolleg bei dem berühmten Übersetzer Miklós Gyõrffy. Diese Veranstaltung war motivierend für ihn, aber damals stand noch nicht fest, dass er selbst literarischer Übersetzer werden würde.

1980-1981 nahm er an der ELTE an einer Dolmetscher-Übersetzer-Ausbildung teil und ein Jahr später unterrichtete er selbst schon Übersetzung am Institut für Dolmetschen und Übersetzen sowie im Eötvös Collegium. Im Rahmen der Veranstaltungen gab es noch allerlei Arten von Texten, aber sein Interesse richtete sich immer mehr auf literarische Übersetzungen. Seine ersten Auseinandersetzungen mit dem Übersetzen literarischer Texte stammen auch aus dieser Zeit. Schon damals wurde er auf die spezielle Problematik der literarischen Übersetzungen aufmerksam, aber er suchte erst nach einer größeren Herausforderung, die für ihn vor allem das Übersetzen des Hesse-Romans “Der Steppenwolf” mit sich brachte. Bereits vor der Übersetzung dieses Romans veröffentlichte er 1984 die Übersetzung zwei kürzerer Prosatexte bei dem Europa Verlag in einer Anthologie moderner deutschsprachiger Erzähler.

Die Übersetzung des Romans „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse
Herr Géza Horváth hatte den Roman "Der Steppenwolf" als Student eigentlich ganz zufällig gelesen, und dann begann er ihn einige Jahre später “für sich selbst“ zu übersetzen, weil er keinen Vertrag mit den damaligen Verlagen (Európa, Magvetõ, Szépirodalmi, etc.) hatte. Der ganze Prozess dauerte 1,5-2 Jahre, die Erfahrungen dieser Zeit waren sehr wichtig für seine spätere Übersetzer-Karriere. Hesse war damals in Ungarn kaum bekannt, deshalb war es auch so schwer für diese Übersetzung einen Verlag zu finden; die Suche dauerte letztendlich fünf Jahre, aber diese Übersetzung war dann so erfolgreich, dass sie seitdem mehrmals nacheinander veröffentlicht wurde und auch heute immer wieder verlegt wird. Dieser Text bedeutete für ihn eine große Herausforderung, zum Glück bekam er viele nützliche Ratschläge von den berühmten literarischen Übersetzern und Dichtern der Zeit. Ich möchte hier nur drei Namen erwähnen, die ihm bei der Übersetzung wichtige Hilfe leisteten: Árpád Göncz, der literarische Werke aus dem Amerikanischen und Englischen übersetzte, und auch eine Zeit lang in Szeged Übersetzung unterrichtete, Pál Réz, der berühmte Redakteur im Szépirodalmi Kiadó, der Romanist und selber hervorragender Übersetzer ist und Ambrus Bor, der mit seinen kritischen Bemühungen viel geholfen hat. Während dieser Übersetzung musste Horváth sich auch den grundlegenden Fragen und Problematik der literarischen Übersetzung stellen: Was ist eigentlich die Aufgabe des Übersetzers? Ist das vielleicht "die Aufgabe" des Übersetzens selbst?

Die Problematik der Übersetzung
Jede Übersetzung ist auch eine neue Interpretation des Werkes. Es muss ein kohärenter Text entstehen, ähnlich wie z.B. bei der Aufführung eines geschriebenen Dramas auf der Bühne. Das Problem besteht darin, wie wir eigentlich übersetzen sollen, wie “treu“, “wortwörtlich“ soll unsere Übersetzung sein. Letzteres ist auch eine formale Frage, die damit zusammenhängt, was wir unbedingt übersetzen sollten und was eher nicht (z.B. bei Namen). Herr Géza Horváth hebt auch in seinen Seminaren zum literarischen Übersetzen immer wieder hervor, dass wir "das Gemeinte" wiedergeben sollten. Wir sollten möglichst z.B. Wortspiele, rhetorische Formen, selbst die Prosodie im Text beibehalten. Es ist auch sehr wichtig, auf die Forderungen der Zielsprache zu achten: z. B. die stilistischen Unterschiede zwischen Synonymen, den stilistischen Wert der einzelnen Wörter (z.B. ein fremdsprachlich, offiziell klingelndes Wort im Text), Wortstellung (das Hervorgehobene steht am Anfang des ungarischen Satzes), oder den Unterschied zwischen der ungarischen Verbalisierung und langen deutschen Nominalphrasen. Man muss auch lernen, wie man aus einem sehr langen Satz mehrere macht, und wann man das überhaupt tun kann. All diese typischen Probleme der literarischen Übersetzungen werden in den Seminaren von Herrn Horváth ausführlich diskutiert und geübt.

Sprachkompetenzen für die literarische Übersetzung
Herr Géza Horváth meint, dass man für die literarische Übersetzung sehr gute Sprachkompetenzen in beiden Sprachen braucht. Das bedeutet vor allem passive Kenntnisse in der Ausgangssprache und sehr gute, aktive Kenntnisse in der Zielsprache (sie sollte womöglich immer die Muttersprache sein). Deswegen spricht Kazinczy sogar von einer Bereicherung der ungarischen Sprache durch die Übersetzungen. Herr Horváth erwähnte János Arany als Beispiel für die hervorragenden passiven Fremdsprachenkenntnisse. János Arany soll einmal vor englischen Gästen der Ungarischen Akademie der Wissenschaften auf Englisch eine Rede gehalten haben. Die Gäste haben zwar kaum etwas mitbekommen, jedoch verwundert festgestellt, sie hätten nicht gedacht, dass die ungarische Sprache der englischen so ähnlich ist, weil sie meinten, Arany spreche Ungarisch. Und János Arany ist auch heute noch der beste ungarische Shakespeare-Übersetzer. Ein anderes interessantes Beispiel von ihm war, dass manche literarischen Übersetzer anhand von sog. “Rohübersetzungen“ arbeiten. Die Dichterin Zsuzsa Rakovszki lieferte z.B. vor kurzem eine neue Übersetzung von Peer Gynt, die sie zusammen mit László Kunos fertiggestellt hatte. Es gibt auch berühmte Nachdichtungen, “freie“ Übersetzungen in der ungarischen Literaturgeschichte, bei denen die Übersetzung vielleicht besser geglückt ist, als das Original (Ady: Sapphó szerelmes éneke; Kosztolányis japanische Gedichte). "Die Aufgabe" des Übersetzers (Walter Benjamin) bedeutet also nicht, die übersetzerische Tätigkeit völlig “aufzugeben“, weil eine morphologisch und syntaktisch hundertprozentige Entsprechung nicht existiert, viel mehr bedeutet es, dass man auf eine ideale Drittsprache zurückgreifen soll, die sowohl mit der Sprache des Originaltextes als auch mit der Sprache der Zielsprache zu vereinbaren ist. Unter einer "geglückten Übersetzung" versteht auch der in Ungarn verstorbene Romanist und Hermeneut, Fritz Paepcke, dass nicht "die Art des Meinens", sondern "das Gemeinte" zurückgegeben wird.

Geplante Spezialisierung „Literarisches Übersetzen“ für Germanistikstudenten
Diese wichtigen theoretischen und praxisbezogenen Probleme des Übersetzens sollen auch im Rahmen einer Spezialisierungsmöglichkeit des Faches Germanistik kennen gelernt werden können. Die Studenten sollen nämlich in der nahen Zukunft auch die Möglichkeit haben, nach dem dritten Studienjahr eine Art Spezialisierungsrichtung auszusuchen, und das literarische Übersetzen soll auch eine Art Alternative für die Spezialisierung darstellen. Die Veranstaltungen sollen einerseits aus der theoretischen Grundlage der traditionsreichen ungarischen (Mittelalter, Reformation, Nyugat-Generation) und europäischen Übersetzungswissenschaft, außerdem aus viel mehr praxisorientierten Seminaren bestehen, wo die Studenten z.B. auch über den Prozess der Veröffentlichung einer literarischen Übersetzung mehr erfahren können (Verlagskenntnisse, Edition, Redigieren, Lektorieren, etc.). Die Seminare werden sich vor allem danach orientieren, dass die Teilnehmer ein umfassendes Bild über die praktischen Probleme des Übersetzens bekommen. Herr Dr. Horváth erzählte mir auch, dass er auch schon früher während der Seminare junge Talente entdecken konnte, die teilweise an der ungarischen Hermann-Hesse-Werkausgabe mitgewirkt haben, oder später eine eigene literarische Übersetzer-Karriere anfingen. Herr Horváth erwähnte auch, dass das literarische Übersetzen vor allem von Wissenschaftlern oder Dichtern, bzw. Schriftstellern als ein “Nebenberuf“ ausgeübt wird, auch wegen der finanziellen Schwierigkeiten, und auch weil allein zu übersetzen mit der Zeit zu monoton sein könnte.

Géza Horváth als Übersetzer
Géza Horváth übersetzt vor allem gerne Werke, die ihn auf eine bestimmte Weise motivieren, z.B. weil sie eine große Herausforderung darstellen. Bis jetzt hat er vor allem Werke von Friedrich Nietzsche, Friedrich Dürrenmatt, Novalis und Hermann Hesse übersetzt. In Ungarn ist er als ein anerkannter Hesse-Übersetzer berühmt geworden. Seit 1995 arbeitet er an der ungarischen Gesamtausgabe der Werke von Hermann Hesse als Herausgeber und Übersetzer mit. Zuerst stellte er einen Plan von 11 Bänden für den Verlag zusammen, jetzt wird schon eine Werkausgabe mit 25 Bänden geplant, von denen bereits 14 Bände erschienen sind. Die literarische Übersetzung begleitet ihn auch bei den “Freizeitlektüren“. Wenn er eine ungarische Übersetzung liest, kontrolliert er oft ungewollt den Text als Übersetzung, und merkt ziemlich leicht, wo etwas in der Übersetzung misslungen ist.

Trotz der Schwierigkeiten des literarischen Übersetzens würde ich das Seminar zum literarischen Übersetzen und die spätere Spezialisierung jedem empfehlen, weil man auf diese Weise die Sprachkompetenzen in beiden Sprachen testen kann. Es ist auch interessant, auf kreative Weise neue Texte zu gestalten, die aber "das Gemeinte" noch immer beinhalten können. Seitdem ich etwas Neues über literarische Übersetzungen gelernt habe, finde ich es viel wichtiger, dass man nicht nur auf den Namen des Autors, sondern auch auf dem Namen des Übersetzers achtet, er kann ja auch wesentlich zum Erfolg eines Werkes beitragen.

Einige Übersetzungen von Géza Horváth:

Nietzsche, Friedrich: Ecce Homo. Hogyan lesz az ember azzá, ami. Önéletrajzi esszé. Németbõl ford., jegyz. Horváth Géza. Budapest: Göncöl, (1994), 1994, 1997, 2003. p. 157
Dürrenmatt, Friedrich: A színidirektor. Elbeszélések. Ford. Asztalos József, Horváth Géza, Németh Tibor György. Budapest: Európa, 1996, p. 25.
Hesse, Hermann: Gyermeklélek; Klein és Wagner; Klingsor utolsó nyara. Ford. Györffy Miklós, Horváth Géza. Elõszó: Horváth Géza. Budapest: Cartafilus, 1997, p. 264.
Hesse, Hermann: A fürdõvendég. Feljegyzések egy badeni gyógyüdülésrõl; A nürnbergi utazás. Ford. Horváth Géza. Budapest: Cartafilus, 1999, p. 234.
Hesse, Hermann: A pusztai farkas. Fordította: Horváth Géza. Budapest: Cartafilus, 2000, 2002, p. 285.
Hesse, Hermann: A varázsló gyermekkora. Mesék (Die Kindheit des Zauberers. Ausgewählte Märchen). Válogatta, fordította és az utószót írta: Horváth Géza. Budapest: Cartaphilus, 2002, p. 324.
Hesse, Hermann: A márványmalom. Válogatott elbeszélések I. Válogatta, fordította és az utószót írta: Horváth Géza. Budapest: Cartaphilus, 2003, p. 330.

1975-1980

Studium der Ungaristik und Germanistik an der Eötvös Loránd Universität Budapest (ELTE)

1980-1981

Studium am Institut für Dolmetschen und Übersetzen der ELTE

1980-1998

Dozent für deutsche Sprache und Literatur am Eötvös József Collegium der ELTE

1989-1990

DAAD-Stipendiat am Marbacher Deutschen Literaturarchiv (Forschungsthema: Hermann Hesses Prosawerk)

1990-1991

Gastdozent an der József Attila-Universität Szeged (JATE) (Seminare im Bereich Literarisches Übersetzen und Hermann Hesses Prosawerk)

1990-1998

Leiter des Deutschen Seminars am Eötvös József Collegium

1995- 2001

Direktor für Hochschulwesen am Osiris Verlag

1997-1998

Stellvertretender Direktor am Eötvös József Collegium

1997-

Herausgeber und Übersetzer einer auf 25 Bände geplanten Ausgabe von Hermann Hesses Werken in ungarischer Übersetzung

1999

Oberassistent für neuere deutschsprachige Literaur an der Universität Szeged

2000

Erlangen eines PhD-Titels an der Universität Szeged (Titel der Arbeit: Wege der deutschen Innerlichkeit am Beispiel von Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther, Hermann Hesses Siddhartha und Thomas Manns Doktor Faustus)

2002

Dozent am Institut für Germanistik der Universität Szeged