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Zeitung << 1/2004 << Sissi, Sachertorte und Sezession


Sissi, Sachertorte und Sezession
Das Wiener Café in Szeged

Autorin: Nikoletta Ferenczi

Gestern habe ich mit meiner Freundin beschlossen, das Wiener Café in der Innenstadt zu besuchen. Ich habe so viel Positives und Gemütliches über dieses Kaffeehaus gehört, dass ich es unbedingt mit meinen eigenen Augen sehen wollte. Es ist tatsächlich wunderschön und sehr gemütlich. In einer Ecke sitzt ein Klaviervirtuose und spielt still Klavier, in der anderen Ecke spielt eine Gesellschaft an einem Tisch Schach. Das gefällt mir gleich sehr. Die Kellner kommen und gehen in Uniform: sie tragen weiße Blusen, schwarze Hosen und bordeauxrote Schürzen, in derselben Farbe wie die Wände. Ich fühle mich so, als ob ich in einem Film wäre.

An einem Tisch sitzt der Eigentümer, der fast so alt ist wie ich. Er ist sehr sympathisch und sehr hilfsbereit. Ich fragte ihn, wie er so jung ein solches Café aufbauen konnte. „Wenn wir jung sind, versuchen wir alles zu verwirklichen, was wir wollen”, kommt die Antwort. Er arbeitet im Café mit vierzehn Angestellten und alle sind unter dreißig.
Das Wiener Café in Szeged liegt in der Mitte der Innenstadt in der Feketesas Straße. Das Gebäude, das das Café Wien beherbergt, wurde von Ede Magyar entworfen. Vor dem großen Szegediner Hochwasser 1879 fungierte dieses sogenannte Burghart-Haus als Kaffeeausschank und als Kaffeehalle. Das Bild des L-förmigen Gebäudes wird von der Straße her durch die mächtigen Bogenfenster geprägt, an denen die Vorhänge an Kupferkarniesen die Gäste vor den Blicken von draußen schützen. Die ästhetische Erscheinung wird durch den Sezessionsstil, die Gemälde von Alfonz Muna und die tiefbordeauxroten Oberflächen bestimmt. An allen Glasflächen erscheint das Wappen der Monarchie mit seinem zweiköpfigen Adler.
Das Gebäude diente bis 2000 als ein Bekleidungsgeschäft. Nach dem Verschaffen des Bestandsrechtes begann der Umbau des Geschäftes zum Café. Das Kaffeehaus wurde nach persönlichen Ideen und nach den zeitgenössischen Beispielen der Monarchie, entsprechend der heutigen Zeit eingerichtet. Die Beleuchtung erfolgt durch metallene Bogenlampen und die vielarmigen Kronleuchter an der Decke. Der Innenraum ist sehr hoch. 120 Gäste können an den Thonett-Tischen und Stühlen, den aus beigefarbenem Holz gemachten Möbelstücken nach M. Thonett, Kaffee trinken, Zeitungen lesen oder sich mit Schach, Domino und Gesellschaftsspielen die Zeit vertreiben. Der Privatraum, der zirka 30 Menschen fasst, bietet sich für alle an, die ein bisschen stiller die Zeit verbringen möchten. Die wunderschönen Dekorationen im Haus wurden nach dem zweiten Weltkrieg zerstört und sind verschwunden. Danach konnte man nur die adlerköpfigen Verzierungen der Stütze über dem Zentraleingang restaurieren.
Die Erscheinung des Cafés brachte in die Lokalszene von Szeged ein neues Licht. Zum ersten Mal gab es dem in Europa so beliebten Lokaltyp einen Platz. Das Café Wien vermittelt die Stimmung der Wiener Kaffeehäuser allen hierher einkehrenden Gästen. Am wichtigsten war und blieb heute auch noch die Kost. So kann man auf der Speisekarte Frühstücks- und Jausengetränke, Tee, Frühstücks- und Jausensgebäck, dann ein Frühstücksmenü bis 11 Uhr, natürlich Kaffee, Kaffeespezialitäten, Mehlspeisen, Torten, Kalte Küche, Erfrischungsgetränke, alkoholische und alkoholfreie Getränke und Cocktails finden. Und auch wir Studenten können uns das leisten. Es gibt auch Sonderaktionen, bei denen man noch billiger essen oder trinken kann, wie die Veranstaltungen, bei denen man z.B. einen Ballantines mit einem Red Bull Energiegetränk für 650 Forint kaufen kann, oder eine Sierra Tequila Promotion: Man bezahlt 2 Tequila, bekommt aber 3. Es gibt noch eine besondere Möglichkeit im Café. Junge und begabte Musiker und Darsteller können hier erstmals öffentlich auftreten. Ich kann das Café Wien jedem empfehlen. Im Gästebuch steht auch: „Das Café Wien ist für mich wie Rauschgift.” Diese metaphorische Formulierung ist sehr treffend, sogar besser als richtiges Rauschgift.