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Zeitung << 1/2004 << Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim


Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim
Aufenthalt von Szegeder Doktoranden im Institut

Autorin: Ildikó Mánássy

Die Doktorandenschule „Sprachwissenschaft” der Universität Szeged ermöglicht jedes Jahr auch Germanistikstudenten, die sich engagiert genug für verschiedene linguistische Fragen zeigen, am Doktorandenprogramm „Germanistische Linguistik“ teilzunehmen und sich dort auf ihre Dissertation vorzubereiten. In diesem Rahmen wohnen sie verschiedenen Seminaren bei, die von den Professoren dieses Programms veranstaltet werden. In jedem Semester hält ein promovierter Gastprofessor oder Gastdozent aus Deutschland eine Vorlesung oder ein Seminar für die Doktoranden, um den neuesten Stand der Germanistik „hautnah” vermitteln zu können. Manche Professoren können es sich aber von der Zeit her nicht leisten, sich einen Monat oder auch nur zwei Wochen im Ausland aufzuhalten, da sie oft auch im eigenen Land beruflich verpflichtet und gebunden sind. Im März 2004 hatte Prof. Dr. Gisela Zifonun, da sie aus ähnlichen Gründen nicht nach Ungarn fahren konnte, die Doktoranden-Gruppe zu sich nach Mannheim eingeladen, um für sie eine auf dem neuesten Stand ihrer Forschungen basierte Vorlesung über typologische Fragen europäischer Sprachen im Institut für Deutsche Sprache (IDS) zu halten.

Gisela Zifonun kann als Mitverfasserin des vierten Lesetextes der Zwischenprüfung („Grammatik der deutschen Sprache”) all denjenigen Germanistikstudenten der Universität Szeged bekannt sein, die die linguistische Zwischenprüfung schon absolviert haben. Im Rahmen der Vorlesung von Prof. Zifonun erfolgten auch zwei Fremdvorträge: Lutz Gunkels „Definite und indefinite Artikel in den europäischen Sprachen” und Gereon Müllers „Auffächerung der Kasus beim Substantiv”. Beide Vortragenden sind Mitarbeiter des IDS und auch des Grammatikprojektes von Gisela Zifonun „Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich”, das 1999 begonnen wurde.
Die Vorlesung fand eine Woche nach der jährlichen IDS-Tagung statt. Das Institut veranstaltet nämlich jedes Jahr eine dreitätige Tagung zu den aktuellsten linguistischen Forschungen, auf der Professoren deutscher und anderer Universitäten Vorträge zu einem vorangekündigten Thema halten. Der Titel der 40. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache war 2004 „Standardvariation – Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache?“. Die Tagung begann am 9. März mit einer Begrüßung des Institutsleiters Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger und endete am 11. März mit seinem Vortrag „Sprachnorm, Sprachkultur, Sprachpolitik”.
Zu dieser Problematik hat sich auch der Leiter des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik in Szeged, Prof. Peter Bassola unter dem Thema „Vielfalt der deutschen Sprache aus ungarischer Sicht” geäußert.
Ursprünglich hätte die Reise der Doktoranden zwei Wochen lang gedauert, was natürlich ermöglicht hätte, auch diesem Konferenz beiwohnen zu können. Am Ende musste aber diese Idee unverwirklicht bleiben. Umso mehr haben die „Gastdoktoranden“ und „Gaststudenten“ über das Institut und dessen Wirken erfahren können, dank Dr. Annette Trabold und Prof. Dr. Gisela Zifonun. Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim wurde 1964 gegründet und beschäftigt sich vorwiegend mit der Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache in ihrem gegenwärtigen Gebrauch und in ihrer neueren Geschichte. Hundert Mitarbeiter sind am Institut tätig, das in zwei Arbeitsbereiche aufgeteilt ist: in Wissenschafts- und Öffentlichkeitsarbeit. Der erste Bereich zählt siebzig, der zweite dreißig Mitarbeiter. Das Institut verfügt auch über eine Bibliothek, die für deutsche Verhältnisse zu den am besten ausgestatteten Bibliotheken gehört, weil das Institut alle Bücher und Publikationen kaufen darf, die es braucht, da die eingeführten politischen Sparmaßnahmen nicht gelten, die aber zum Beispiel andere Unibibliotheken enorm einschränkten. Auch zwei Recherche-Programme stehen mittlerweile auf der Homepage des Instituts für linguistische, kulturelle oder journalistische Zwecke zur Verfügung: Kosmos I und Kosmos II. Der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit betreut das Presse- und Publikationswesen des Instituts, das mit der Zeit einen immer größeren Wert zu bekommen scheint, sowie Dokumentation und Bibliothekverwaltung, aber auch Tagungsorganisation und Betreuung der Gastwissenschaftler. Zu diesem Bereich wird auch noch die Arbeit der Redaktion gerechnet, die für die Buch- und Zeitschriftenpublikationen verantwortlich ist. Im Wissenschaftsbereich gibt es drei Abteilungen: Grammatik, Lexik und Pragmatik, die überwiegend langfristige Projekte mit Hilfe von größeren Forschungsgruppen verfolgen.
Im Rahmen der Abteilung Grammatik laufen unterschiedliche Projekte zur deutschen Grammatik und zum Grammatikvergleich europäischer Sprachen, wie das Projekt von Gisela Zifonun, das sich auch mit Nachbarsprachen des Deutschen wie Englisch, Französisch, Polnisch, Ungarisch, aber auch mit anderen indoeuropäischen und nicht indoeuropäischen Sprachen beschäftigt. Im Vordergrund steht aber immer das Deutsche. Im Jahre 1997 ist die „Grammatik der deutschen Sprache” in drei Bänden, als Orientierungsrahmen für die Leistung der Abteilung erschienen. Das vollausgestattete Internetprogramm der Grammatikabteilung heißt GRAMMIS, das eine Art Multimedia-Grammatik ist, in der grammatisches Wissen systematisch vermittelt wird. Auch ein Valenzwörterbuch (VALBU) steht für Recherchen zu Verfügung, das wichtige Informationen zur Valenz und Verwendungsspezifik von über 600 Verben für deutschlernende Ausländer bereitstellt. Zur Abteilung Grammatik gehört auch der Arbeitsbereich von Graphie und Orthographie, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass sich die Rechtschreibreform im Jahre 1996 durchgesetzt hat.
Die Abteilung Lexik beschäftigt sich vorwiegend mit der jüngeren Geschichte des Deutschen, sie erforscht und beschreibt den Wortschatz der deutschen Sprache, besonders hinsichtlich der aktuellen Veränderungsprozesse. Weitere Arbeitsfelder der Abteilung sind der historische Fremdwortschatz, die Neologismen (z.B.: Potenzpille, Schlüsselloch-Chirurgie, Wohlfühlgewicht), die Sprechaktverben und die Sprache der frühen Nachkriegszeit. Eine breite Palette liefert die Wendezeit, wo mit der Wiedervereinigung Deutschlands neue Ausdrücke geprägt worden sind: Mauerspecht (Leute, die nach der Wende mit einer Keilhaue Stücke aus der Mauer herauspickten), Wendehals (jemand, der sich immer den aktuellsten politischen Verhältnissen anzupassen vermag) oder rote Socken (eine pejorative Bezeichnung für die Kommunisten oder PDS-Anhänger). Auch der politische Einfluss auf die deutsche Sprache bleibt nicht ohne Resonanz. Wörter wie Zigeuner oder Neger dürfen nicht mehr verwendet werden, weil deren Gebrauch heute pejorativ klingt. Weiterhin ist das Wort „Terrorist” strittig, da man sich darüber nicht einigen kann, was darunter verstanden werden soll. Aber auch die sog. Nazivergleiche stellen in der Wortschatzarbeit ein sehr heikles Gebiet dar, wie z.B. das Riesenplakat einer Handy-Firma mit der Aufschrift „Jedem das Seine!”. Da der Spruch ursprünglich in Bezug auf die Juden in der Nazizeit gebraucht wurde, mussten diese Plakate entfernt werden. Die wichtigsten Prägungen sind natürlich in das mehrbändige „Deutsche Fremdwörterbuch” aufgenommen worden. Auch die Abteilung Lexik hat sich vorgenommen, ein Internetprogramm (LEXIKO) demnächst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, in dem Interessierte in der nahen Zukunft unter zweihunderttausend Wörtern recherchieren können.
In der Abteilung Pragmatik werden sprachliches Handeln und sprachliche Variabilität (die Ausprägung und Entwicklung von Sprachunterschieden) genauer unter die Lupe genommen. Sie ist in drei Aufgabenfelder geteilt: sprachliche Handlungen und ihr Gebrauch in der gesellschaftlichen Kommunikation, die Beziehung zwischen Sprachverwendung und ihren medialen Bedingungen (Einfluss der Medien) und die Sprachvariation im Deutschen, sowie Sprachkontakterscheinungen in Mehrsprachigkeitssituationen. Die Abteilung Pragmatik erweitert ständig ihre Korpora gesprochener Sprache, deren Zentrum das Deutsche Spracharchiv (DSAv) darstellt, das fünfzehntausend Tonaufnahmen deutscher Dialekte und Umgangsprachen sowie Gespräche (von Alltagsgesprächen bis zu Schlichtungsgesprächen) inkorporiert.
Neben den akademischen Beschäftigungen hatte die „Mannheimer Delegation“ deren Teilnehmer die Doktoranden Dániel Czicza, Judit Gaál, Gabriella Gárgyán, Ildikó Hegedûs, Rozália Hum, Péter Kappel, Petra Molnár, Attila Németh bzw. zwei studentische Hilfskräfte Ildikó Mánássy und Eszter Zóka waren, natürlich Zeit genug, um sich Mannheim selbst und die umliegenden Städte anzusehen. So standen die Besichtigung der Burg und des berühmten Philosophenwegs in Heidelberg und die Ausflüge nach Worms und Schwetzingen auf dem Programm. So ergab sich also die Möglichkeit, den Wormser Dom, der zu jener Zeit renoviert wurde, außerdem die Schwetzinger Sommerresidenz der deutschen Kurfürsten des 19. Jahrhunderts und deren rieseigen Schlossgarten zu besichtigen. Eine heitere Stimmung, schönes Wetter und das Gefühl des Willkommenseins machten den Aufenthalt noch angenehmer.