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Zeitung << 1/2004 << Interview mit Univ.-Doz. Dr. Márta Baróti-Gaál


„Wir suchen ständig neue Wege in der Germanistenausbildung“
Interview mit der Lehrstuhlleiterin für österreichische Literatur und Kultur, Univ.-Doz. Dr. Márta Baróti-Gaál

Autorin: Szilvia Gál

Sie sind seit Jahren die Leiterin des Lehrstuhls für österreichische Literatur und Kultur. Was ist Ihre genaue Arbeit im Institut?
Einerseits arbeite ich am Institut als Lehrstuhlleiterin, andererseits unterrichte ich Geschichte der deutschen und österreichischen Literatur. Außerdem muss ich bestimmte Funktionen, bestimmte Arbeiten auf mich nehmen, die mit der Leitung im Zusammenhang stehen. Ich möchte die Betreuung der Österreich Bibliothek (ÖB) hervorheben. Die Entstehungsgeschichte dieser Bibliothek, die von den GeMa-Lesern bestimmt oft besucht wird, kann für sie vielleicht interessant sein. Sie wurde nämlich als erste in Ungarn von Österreich am Anfang der 90er Jahre als Anerkennung und Förderung der wissenschaftlichen Arbeit und Lehrtätigkeit des Lehrstuhls für deutsche Sprache und Literatur gegründet. Die Gründung der ÖB hat auch zur Spezialisierung innerhalb des Lehrstuhls beigetragen: 1993 wurde das Institut für Germanistik mit dem Lehrstuhl für germanistische Linguistik, dem Lehrstuhl für deutsche Literaturwissenschaft sowie dem ersten und bis jetzt einzigen Lehrstuhl für österreichische Literatur und Kultur, gegründet. Der jeweilige Lehrstuhlleiter ist damit beauftragt worden, die Arbeit der ÖB in Zusammenarbeit mit dem Direktor der Universitätsbibliothek, der Leiterin der ÖB und dem österreichischen Lektor zu betreuen.

Ihre wichtigsten Forschungsgebiete sind Romantik und die Literatur des 19. Jahrhunderts. Was forschen Sie zur Zeit und womit beschäftigen Sie sich?
Ich beschäftige mich zur Zeit vor allem mit der Theorie der Frühromantik, aber zu gleicher Zeit widme ich mich wieder, wie ich das vor Jahren schon getan habe, der Jahrhundertwende, nämlich dem Werk von Hofmannsthal.

Sie sind Spezialistin für Heinrich von Ofterdingen von Novalis. Wann sind Sie auf dieses Werk gestoßen und wie führte Ihr langjähriger Weg, verbunden mit Ihrem anderen Fach Slawistik, zu diesem Werk?
Als Studentin habe ich zuerst das Werk gelesen, aber damals hat mich das Werk nicht so stark ergriffen, sondern erst später. Ich habe mich als Studentin mit E.T.A. Hoffmann, mit seiner eigenartigen Welt, mit seiner Ironie beschäftigt, dann kam eine Periode, als ich auf dem Gebiet der Slawistik tätig war und mich besonders mit dem 19. Jahrhundert, der Jahrhundertwende, insbesondere mit Aleksander Blok beschäftigte. Ich habe ein Buch über das Thema geschrieben. In dieser Phase meines Lebens habe ich mein Wissen über die frühromantische Theorie mit meinen Kenntnissen auf dem Gebiet des russischen Symbolismus verbunden, so ist eine Dissertation und ein Buch aus diesem Thema entstanden. Das ist ein Beispiel dafür, wie ich die zwei Fächer, die ich studiert habe, miteinander verbunden habe. Ich habe mich eine lange Zeit mit vergleichender Literaturwissenschaft beschäftigt. Ich empfehle das auch meinen Studenten, denn solche Diplomarbeiten zu schreiben, in denen Vorkenntnisse ihrer beiden Fächer miteinander verbunden und neue Aspekte des Themas ausgearbeitet werden können, sind recht interessant, und dann gelingt auch die Arbeit. Wenn ich mein Interesse für Novalis begründen soll, dann kann ich sagen, dass die theoretischen Grundfragen der Frühromantik sowie die neue synthetische Romanform, die romantische Geschichtsauffassung, das Integrieren moderner Wissenschaften, der neuen Mythologie, der Sprachtheorie, um nur einige zu nennen, in künstlerischer Form dem Leser nahe gebracht werden.

Sie unterrichten seit Jahrzehnten. Wie finden sie das Wissen der heutigen Studenten? Sind Sie mit ihnen zufrieden? Gibt es einen Unterschied im Gegensatz zu den ehemaligen Studenten?
Es ist schwer etwas Allgemeines darüber zu sagen. Man ist nie zufrieden: sowohl mit den eigenen Kenntnissen als auch mit den Kenntnissen der Studenten. Man versucht diese Kenntnisse immer zu vertiefen, das ist mein Wunsch, mein Streben. Die früheren Studenten haben mehr Primärliteratur gelesen, die heutigen lesen dagegen mehr Theoretisches. Ich bin der Meinung, dass beide Bereiche wichtig sind, man darf aber die Primärliteratur auf keinen Fall vernachlässigen, weil die Fremdsprache gerade durch diese Texte viel tiefer erlernt werden kann. Gerade deswegen bin ich der Meinung, dass man nicht nur Fachsprachen zu erlernen hat, sondern auch die Eigenartigkeiten der literarischen Stile kennen lernen sollte.

Was ist Ihre Meinung über die Germanistik? Muss sie verändert werden?
Seitdem ich arbeite, nehme ich ständig an Reformen und Veränderungen teil und seitdem ich an diesem Institut arbeite, ist auch eine fortschreitende Entwicklung zu bemerken. Wir haben ständig neue und neue Elemente zu dem Grundsystem hinzugefügt und somit unsere Grundkonzepte weiterentwickelt. Wir suchen ständig neue Wege. Manches ist uns gelungen, manches ist aus materiellen Gründen nicht gelungen. Wir reden regelmäßig über das Konzipieren neuer Ausbildungsmöglichkeiten. Es gehört zu unserer Arbeit. Wir sind verantwortlich dafür, wie das Studium an unserem Institut ausschaut. Wir arbeiten ständig daran. Es ist also nicht nur ein Programm für ein Jahr oder aus gewissen konkreten Anlässen, sondern wir denken ständig darüber nach, wie das Studium weiter zu entwickeln wäre. Als Lehrstuhlleiterin ist es meine Aufgabe, die Eigenartigkeiten der österreichischen Literatur und Kultur, des österreichischen Sprachgebrauchs, die Kulturgeschichte usw. bei diesen neuen Plänen mit in Betracht zu ziehen. Wir haben schon vorgehabt, eine Spezialausbildung „Österreichische Literatur und Kultur“ mit den Studenten zu beginnen. Das ist aber aus materiellen Gründen nicht gelungen. Der Lehrstuhl ist viel zu klein, die Zahl der Lehrkräfte reicht für diese große Aufgabe nicht aus. Auch die Gastprofessoren, die dazu beitragen könnten, werden nicht regelmäßig finanziert, und deswegen haben wir mit der Arbeit bis jetzt nicht begonnen.

Es wird einige Veränderungen in der Universitätsbildung mit der Einführung des zweistufigen Hochschulsystems geben. Über diese Frage muss die ganze Universität und das Institut entscheiden. Sie haben zur Zeit in der Abwesenheit von Herrn Prof. Bernáth eine wichtige Rolle in der Entscheidung von Seiten der Literaturwissenschaft. Wofür müssen Sie sich entscheiden und wann und wie wird die Bologna-Vereinbarung bei uns in Kraft gesetzt?
Wie und wann genau das neue System eingeführt wird, wissen wir momentan nicht genau. Immer wieder werden Termine genannt. Bis jetzt wurde die Kommission, welche die Rahmen für unser Fach skizzieren sollte, nicht zusammengerufen. In dieser Kommission sollten Herr Prof. Bernáth von Seiten der Literaturwissenschaft und Prof. Bassola in Vertretung der Linguistik teilnehmen. Im Moment bin ich für die Literaturwissenschaft verantwortlich, aber bis jetzt ist keine Einladung eingetroffen. Auch ohne Einladung arbeiten wir aber schon seit Wochen an der Aufgabe, weil wir nicht im letzten Augenblick und nicht ohne Vorbereitung in diesen Prozess eintreten wollen. Als neue Tendenz versuchen wir innerhalb der Germanistik auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft nicht nur Literaturgeschichte, sondern auch Kulturgeschichte, nicht nur ein Medium, sondern mehrere Medien miteinander in Verbindung zu betrachten. Solche Forschungen gibt es schon an unseren literarischen Lehrstühlen. Wir versuchen Traditionelles mit Innovativem zu verbinden. Literarische Texte dürfen aber nicht außer Acht gelassen oder vernachlässigt werden, da das Germanistikstudium ohne Texte nicht vorstellbar wäre. Auf der anderen Seite gilt das Interesse der Studenten auch anderen Medien, und wir möchten schon jetzt durch unterschiedliche Kurse diesen Interessen entsprechen. Andererseits wollen wir nicht nur eine Richtung für die Ausbildung geben, sondern wir schlagen schon jetzt mehrere Richtungen vor. Auch wenn wir nur auf unserem Gebiet bleiben, kann zum Beispiel Textologie genannt werden, in dem Sinne, wie Texte für Werkausgaben bearbeitet werden. Die Studenten können sich unter Anleitung von Prof. Bernáth damit beschäftigen. Eine andere Richtung wäre Geschichte der Kultur, also Kultur im Zentrum, wo unterschiedliche Medien aufeinander treffen. Wir betrachten die Lehrerausbildung als eine Sparte der Ausbildung der Studenten, die zahlenmäßig schmaler wird als früher. Die neuen Ausbildungsrichtungen sollen auch nach drei Jahren, wie das der Bologna-Prozess uns vorschlägt, schon eine Arbeitsmöglichkeit ermöglichen. Die Studienrichtungen können nach unseren Vorstellungen nicht nach drei Jahren abgeschlossen werden, sondern sie müssen auch eine Weiterführung auf der Universitätsebene erhalten. Dadurch aber brauchen wir mehr Lehrkräfte, weil die Anzahl der Kurse erhöhen wird, und ob das möglich wird, wissen wir noch nicht. Wir wissen auch nicht, wie die Zweigleisigkeiten zwischen der Hochschulausbildung und der Universitätsausbildung auf dem Gebiet der Lehrerbildung im Weiteren gelöst werden. Wenn wir schon die Rahmen der Finanzierung kennen, wie viele Studenten an der Universität von dem Ministerium finanziert werden, erst dann können wir eigentlich unsere Pläne fertig stellen. Diese unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten für Germanistikstudenten sollten die Anziehungskraft der Szegeder Germanistik erhöhen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten die Studenten mehr Möglichkeiten auf unterschiedlichen Gebieten des Lebens ihre Deutschkenntnisse zu nutzen. Im Zusammenarbeit mit dem Europa-Studium kann z.B. österreichische Literatur und Kultur einen besonderen Akzent bekommen.

Was für Pläne haben Sie für die Zukunft?
Zwei Pläne kann ich Ihnen nennen, einerseits im Zusammenhang mit der Romantikforschung möchte ich über Novalis ein Buch schreiben, das Thema wäre „Literatur als Kommunikationsproblem“, wobei ich das theoretische Werk und die zwei Romanfragmente von Novalis aus dieser Sicht untersuchen möchte. Andererseits arbeite ich an einem Projekt in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl der deutschsprachigen Literatur in Budapest und dem deutschen Lehrstuhl in Pécs. Das Projekt bezieht sich auf die Jahrhundertwende sowie auf die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen und hat den Titel „Interkulturalität, Regionalität, kultureller Transfer in der deutschen und ungarischen Kultur“ Die Mitarbeiter des Lehrstuhls für österreichische Literatur und Kultur haben schon sich geäußert, dass sie gerne daran teilnehmen würden. Wir planen Quellenforschung, Publikationen sowie unterschiedliche Konferenzen, wobei die Beziehungen der ungarischen und der deutschen bzw. österreichischen Kultur unter die Lupe genommen werden. Die Eigenartigkeiten der Beziehungen der Kulturzentren und -peripherien, die Relativität dieser Begriffe stehen im Zentrum der geplanten Untersuchungen.

Wie gefällt Ihnen das GeMa?
Ich bin sehr froh, dass diese Zeitschrift existiert. Ich gratuliere den Mitarbeitern, weil sie wirklich eine große Arbeit leisten und ich bin glücklich, dass unsere Studenten so selbstständig und so schöpferisch arbeiten, wie diese Zeitung beweist.