Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 1/2004 << Interview mit Frau Dr. Katalin Petneki


„Ich arbeite wirklich mit großem Einsatz für die Fachdidaktik”
Interview mit Frau Dr. Katalin Petneki

Autorin: Szilvia Gál

Sie unterrichten seit mehr als zehn Jahren Fachdidaktik, zuerst am Germanistischen Institut der Eötvös Lóránd Universität (ELTE) in Budapest und seit 2002 bei uns in Szeged. Sie haben an der Erarbeitung und Erstellung von zahlreichen Lehrmaterialien und Lehrplänen teilgenommen und auch an Lehr- und Ergänzungsmaterialien gearbeitet. Wie finden Sie heute die Lage des ungarischen Fremdsprachenunterrichts und insbesondere des Deutschunterrichts?
Ich beschäftige mich nicht nur mit dem Deutschunterricht, mit Deutsch als Fremdsprache, sondern generell mit dem Fremdsprachenunterricht in Ungarn. Über die Lage kann ich kurz nur so viel sagen, dass alles im Umbruch ist. Dieser Umbruch dauert eigentlich schon etwa 15 Jahre. Es begann damit, dass Russisch als Pflichtfach eine der möglichen Fremdsprachen geworden ist. Es besteht eine freie Sprachwahl, aber diese Freiheit war nur eine relative oder theoretische Freiheit. Die Schüler lernen die Sprache, die die Schule bieten kann, d.h. welche Sprachlehrer zur Verfügung stehen. Ich arbeite auch im Auftrag des Landespädagogischen Instituts (ung.: OKI: Országos Közoktatási Intézet) und dort gab es eine große Umfrage unter den Grundschullehrern und den Lehrern in der Mittelschule. Sie sollten unter anderem die wichtigsten Probleme ihres Faches nennen, die es im Fremdsprachenunterricht gab. Das erste Problem war die Frage der Zeit: sie meinen, dass sie zu wenig Zeit für den Sprachunterricht haben. Das zweite Problem war, die – im Augenblick des EU-Beitritts wenig verständliche – mangelnde Motivation der Schüler. Sie sehen keinen konkreten Nutzen darin, irgendeine Sprache zu lernen. Wenn sie aber doch irgendwo motiviert waren, dann war die englische Sprache vorherrschend. Der Deutschunterricht ist dadurch jetzt gerade an einem Wendepunkt angekommen. Viele Lehrer und Germanisten sind ein bisschen in der Hinsicht bequem geworden, dass sie denken: Deutsch ist hier ein traditionell so beliebtes Fach, dass viele gerne Deutsch lernen. In den Schulen ist das aber nicht mehr der Fall. Man hat nicht genug und nicht intensiv für diese Sprache geworben und die Lücke macht sich gerade jetzt bemerkbar. Lange Zeit lagen Deutsch und Englisch Kopf an Kopf, aber schon vor zwei Jahren hat Englisch Deutsch überholt. Es geht hier eigentlich nicht um einen Wettkampf, sondern darum, dass die Schüler möglichst mehrere Sprachen lernen sollen. Eine Sprache macht einen bequem und meine Erfahrungen an ausländischen Universitäten haben gezeigt, dass es heute nicht mehr ausreicht, nur eine Sprache und nur Englisch zu können. Und ich bin auch überzeugt, dass Deutsch hier in unserer Region weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird.

Was sollte man in unserem Bildungssystem verändern, oder was ist veränderbar? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Es geht hier um eine große Umwandlung im Schulunterricht. Im Schulunterricht hat der Fremdsprachenunterricht eine riesengroße Unterstützung bekommen, es bestehen verschiedene Stipendienmöglichkeiten oder Bewerbungsmöglichkeiten zur Unterstützung und zu Austauschprogrammen. Es gibt zahlreiche Fortbildungsmöglichkeiten, auch die Zielsprachenländer unterstützen die Fremdsprachenlehrer mit verschiedenen Maßnahmen. Was nicht unterstützt wurde und was in diesem großen Umbruch lange Zeit vernachlässigt wurde, bzw. nicht gleichmäßig gefördert wurde, ist gerade die Lehrerausbildung. Als 1989 die freie Sprachenwahl ermöglicht wurde, wurden wir damit konfrontiert, dass nicht genug Sprachlehrer zur Verfügung standen. Aus diesem Grund wurde eine neue, die dreijährige Deutschlehrerausbildung (parallel mit Englisch) an der ELTE 1990 gestartet. Ich war an der Herausarbeitung dieses Programms beteiligt. Der große Unterschied in dieser Ausbildung war die Berufsorientierung des ganzen Programms, wobei die Fachdidaktik eine zentrale Rolle spielte. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Programm auch diejenigen dazu bewogen hat, an diesen Kursen teilzunehmen, die anfangs nur schnell ein Diplom erwerben wollten. Außerdem war der Unterschied zur gegenwärtigen Ausbildung, dass das Praktikum bei ausgewählten Lehrern, aber nicht in Praktikumschulen durchgeführt wurde: Wir haben mit durchschnittlichen, nicht mit ausgewählten Schülern gearbeitet. Dieses Programm wurde vor zwei Jahren eingestellt. Auch im Ministerium sieht man schon, im Februar dieses Jahres erschien auch eine ministeriale Unterbreitung, dass es höchste Zeit ist, die Lehrerausbildung und diesen Bereich irgendwie zu erneuern. Man müsste dies im Rahmen des Bologna-Modells zurückbringen, wo ja auf drei Jahren, dann noch auf weiteren Jahren aufgebaut wird. Es wäre ein Programm für diejenigen, die wirklich Lehrer werden wollen.

Gibt es eine entsprechende Lehrbuchauswahl, Lehrmaterialauswahl im ungarischen Deutschunterricht?
Es gibt ein großes Angebot an Lehrbüchern, eigentlich vom Kindergarten an, für alle möglichen Stufen. Das Problem ist, dass die Lehrbuchverlage den Autoren oft eine zu breite Zielgruppe vorzuschreiben versuchen, für alle Schultypen und für alle Altersgruppen. Wenn aber ein Lehrbuch für alle geschrieben wird, dann kann es kein gutes Lehrbuch mehr sein. Zum Beispiel wird das Lehrwerk „Start” schon in der Grundschule, dann in der Mittelschule und auch in Sprachkursen für Erwachsene verwendet. Das ist aber im Grunde genommen nicht gut. Der Schulunterricht sollte die Altersgruppe unbedingt berücksichtigen. Die Demotiviertheit vieler Schüler beim Sprachenlernen rührt oft daher, dass die Themen so behandelt werden, wie sie in den Lehrbüchern für Erwachsene thematisiert werden. 12-Jährige haben eben andere Interessen. Die Palette ist riesengroß, aber innerhalb dieser ist die Zahl der Lehrbücher, die zielgruppenspezifisch sind und dann gut aufeinander aufgebaut sind, relativ gering. Die Lehrbuchauswahl muss neu durchdacht werden, gerade weil das neue Abitur auch neue Anforderungen stellt.

Zum Abschluss des Studiums wird ein Portfolio verlangt, von dem man höchstens von den Studenten in den höheren Jahrgängen hört, aber viele wissen nicht, was das genau ist. Ist das Portfolio eine Neuigkeit im Fachdidaktikunterricht?
Vielleicht ist es in Ungarn etwas Neues. Die Lehramtsanwärter, die Studierenden in Deutschland, die Lehrer werden wollen, müssen seit Jahren bei der letzten Staatsprüfung ein Portfolio einreichen. Sie werden sicherlich, also alle, die zur Fachdidaktik kommen, von dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen hören, in dem die Sprachkenntnisse nach Niveaus beschrieben werden. Als dieser Referenzrahmen erstellt wurde, wurde dazu auch eine Form von Dokumentation erarbeitet: Lerner, Schüler, die eine Fremdsprache lernen, sollen ihren eigenen Lernprozess dokumentieren. In der EU wird diese Form von Leistungsnachweis sogar Sprachprüfungen ersetzen können. Man dokumentiert den ganzen Lernprozess in verschiedenen Phasen, wie lange, wann, wo, was gelernt wurde, also die einzelnen Leistungen. Es ist im letzten Studienjahr die Dokumentation des eigenen Schulpraktikums. Darin ist z.B. die Dokumentation des ganzen Lehrprozesses möglich. Ein Tagebuch, wann ich was gemacht habe und eigene Leistungen, wie z.B. Unterrichtsentwürfe, werden beigefügt. Ich hoffe von dieser Form der Leistungsmessung, dass eine Rückkoppelung zwischen der Ausbildung an der Uni und dem Praktikum in der Schule entsteht. Das Portfolio wurde ab diesem Jahr eingeführt und damit eine ministeriale Verordnung erfüllt, die die Anforderungen für den Lehrerberuf beschreibt.

Heute machen viele die Diplomprüfung in Fachdidaktik. Wie viele Studenten sind es und welche Erfahrungen hatten sie?
Ich habe jetzt noch nicht so viele Erfahrungen, weil ich erst seit anderthalb Jahren da bin. Im ersten Jahr waren es zwölf Personen, in diesem Jahr sind bei mir acht Studenten angemeldet. Diejenigen aber, die dieses Thema gewählt haben, mussten schon ernsthaft überlegen, ob sie wirklich zu diesem Thema eine Diplomarbeit schreiben wollen. Die Anforderungen an eine fachdidaktische Diplomarbeit sind nämlich identisch mit einer literaturwissenschaftlichen oder einer sprachwissenschaftlichen Diplomarbeit, d.h., sowohl formal als auch inhaltlich sollen bestimmte Kriterien erfüllt werden. Aber in Fachdidaktik bekommen die Studenten leider wesentlich weniger. Was in dieser einen Stunde Vorlesung und einer Stunde Seminar angeboten werden kann, das bewegt sich nur auf der Oberfläche. Die andere Schwierigkeit, womit die Studenten konfrontiert wurden, ist, dass eine gute Diplomarbeit zu einem fachdidaktischen Thema nur gemacht werden kann, wenn sie durch unterrichtspraktische Beispiele unterstützt werden kann. Das Unterrichtspraktikum ist hier äußerst beschränkt. Es gibt kaum eine Möglichkeit, im Rahmen der 15 Stunden eigene empirische Untersuchungen durchzuführen.

Die meisten Studenten wählen das Lehramt, wollen aber später keine Lehrer werden. Was meinen Sie, was ist der Grund dafür?
Ich glaube, die Auffassung über den Lehrerberuf ändert sich wesentlich langsamer als der Beruf selbst. Lange Zeit war es so: wenn jemand Fremdsprachenlehrer ist, kann er mit dem Diplom überall durchkommen. Dieses Diplom war also quasi ein „Mädchen für alles“. Der Lehrerberuf hat sich aber inzwischen sehr stark verändert. Es gibt keinen Lehrermangel mehr. Man wartet nicht mehr auf die neuen Lehrkräfte, einige werden sogar entlassen. Ich glaube, wenn die Fachdidaktik stundenzahlmäßig stärker repräsentiert wäre, würden sich viele überlegen: Warum soll ich das machen? Ich hoffe, dass bei dieser Umstellung auf den Bologna-Prozess realisiert wird, dass die Universitäten Richtungen anbieten können, die eine Alternative sind, z.B. Dolmetschen, Übersetzen usw. Ich habe den Eindruck, dass man deshalb so oft die Lehrerausbildung wählt, weil man meint: „Diese paar Stunden kann ich schaffen und sie schaden nicht.”

Sie halten jetzt ein Seminar mit dem Titel „Leistungsmessung und Leistungsbewertung”. Wovon handelt dieser Kurs eigentlich?
Sie kennen sicherlich den Begriff „Leistungsnachweis”: sie bekommen in mehreren Seminaren eine Note für irgendeine Leistung. Die Frage ist, wonach diese Leistung bewertet wird. Wenn sie dann in die Schule gehen, müssen sie dort auch die Leistungen der Schüler irgendwie messen und bewerten. Lange Zeit dachte man, dass es eine sehr einfache Sache sei: Ich frage etwas ab und fertig. Das geht heute nicht mehr. Leistungsmessung und Leistungsbewertung sind ein pädagogisches Teilgebiet, das sehr ernsthaft erforscht wird. In diesem Seminar versuchen wir zu untersuchen, was, von wem, wann und wie im schulischen Deutschunterricht gemessen werden kann. Die Frage ist deshalb sehr aktuell, weil im nächsten Jahr das neue Abitur kommt. Es ist eine Zumutung, wenn neue Lehrkräfte die Uni verlassen und keine Ahnung von dem neuen Abitur haben. Hier helfen die bisherigen Prüfungserfahrungen nicht mehr. Das neue Abitur ist eine Prüfung, welche die kommunikativen Fertigkeiten misst. Wir können in dem Seminar lernen, mit welchen Testtypen und wie verschiedene Leistungen gemessen und bewertet werden können.

Was ist Ihr Ziel im Bereich des Fachdidaktikunterrichts?
Ich hoffe, dass auch klar geworden ist, dass ich wirklich mit großem Einsatz für die Fachdidaktik arbeite. In diesem Fachgebiet sind für diejenigen sehr viele nützliche Fakten zu lernen, die wirklich Lehrer werden wollen und um später Deutsch als Fremdsprache wettbewerbsfähig in den Schulen unterrichten zu können bzw. sich selbst als Lehrer wettbewerbsfähig zu machen. Wenn in der EU z.B. aus Deutschland Praktikantinnen oder junge Lehrer kommen, wie können wir sonst unsere Fachkompetenz durchsetzen, als nicht muttersprachliche Deutschlehrer. In diesem Bereich macht die Fachdidaktik sehr viel. Mein Ziel wäre es, dass man dieses Fach mindestens so ernst nimmt, wie alle anderen Fächer, die auf einen Beruf vorbereiten.