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Zeitung << 1/2004 << Verschwende Deine Jugend


Verschwende Deine Jugend
Eine Komödie über die Neue Deutsche Welle

Autorin: Anita Fekete

Regie: Wolfgang Becker, Produzenten: Stefan Arndt für X-Filme/WDR/Arte, Drehbuch: Bernd Lichtenberg, Wolfgang Becker, Filmmusik: Jan Tiersen, Kamera: Martin Kukula, Darsteller: Daniel Brühl, Katrin Saß, Chulpan Khamatova, Maria Simon, Florian Lukas, Alexander Beyer, Christiane Schorn, Burghart Klaußner, Michael Gwisdek. 2003, 120 Minuten

Der Film beginnt 1978 in Ostberlin. Der 11-jährige Alex Kerner (Daniel Brühl) und seine Schwester Ariane (Maria Simon) sitzen vor dem Fernseher und sehen Sigmund Jähn, den Kosmonauten, der als erster Deutscher ins Weltall fliegt. Er wird für Alex zu einem großen Vorbild, dessen Foto Alex an die Wand hängt. Später sieht er ihn 1990 als Taxifahrer wieder. Während der Sendung erfährt Alex' Mutter (Katrin Saß) von zwei Mitarbeitern der Stasi, dass ihr Mann bei einer Dienstreise in Westberlin geblieben sei. Die Mutter bricht zusammen und kommuniziert mit niemandem. Sie verbringt einige Wochen in einer psychiatrischen Klinik, gibt aber nicht auf und kommt nach Hause. Sie setzt sich neue Ziele, sie wird eine leidenschaftliche Kämpferin für eine sozialistische Gesellschaftsordnung. Herbst 1989: Die Selbstauflösung der DDR beginnt. Überall gibt es Demonstrationen. Am 40. Jahrestag der DDR ist die Mutter auf dem Weg zu einer Feier im Palast der Republik, als sie ihren Sohn bei einer Demonstration gegen das Regime sieht. Sie erleidet einen Herzinfarkt und fällt ins Koma. Auf einer Intensivstation verschläft sie den Fall der Mauer, sie erfährt also nichts von der Wende. Alex besucht seine Mutter im Krankenhaus regelmäßig und verliebt sich inzwischen in die Krankenschwester russischer Herkunft Lara (Chulpan Khamatova). Die Mutter erwacht im Sommer 1990. Es hat sich sehr viel geändert. Deutschland wird bald wiedervereinigt (3. Oktober). Alex hat seine Arbeit bei der Fernsehreparatur verloren und arbeitet bei einem Westberliner Unternehmen, wo er Sat-Anlagen installiert. Ariane arbeitet in einem Burger King und hat einen Westberliner Freund. Alex entschließt sich, der Mutter zu verschweigen, was passiert ist. Er spielt mit den anderen, dass die DDR immer noch existiert. Aber es gibt große Hindernisse. Die von der Mutter sehr geliebten DDR-Produkte, wie Spreewald-Gurke oder Mokkafix sind nicht mehr zu kaufen, Alex muss sie fälschen. Die Mutter will auch fernsehen und zwar ihre Lieblingssendung „Aktuelle Kamera”. Alex hat aber Glück, sein Kollege Denis (Florian Lukas) ist ein Videofilmer, der mit Hochzeitsvideos Geld verdient und Regisseur werden will. Er dreht für ihn die Fälschungen der Sendung „Aktuelle Kamera”. Wir können viel Archivmaterial sehen. Der Mutter geht es besser und ihr gelingt es, auf die Straße zu gehen. Sie sieht eine Menge von westlichen Autos, ein viel schnelleres Leben und sogar die Statue von Lenin am Himmel fliegen, die Statue wird nämlich abtransportiert. Sie versteht einfach gar nicht, was los ist, ihre Kinder finden sie aber noch zur rechten Zeit. Alex und Denis machen eine umgekehrte Geschichte 1989/1990 für die Mutter. Sie behaupten in der Tagesschau, dass viele Menschen vor dem Kapitalismus nach Ostberlin geflohen seien. Die Mutter ist stolz und will sofort einem Asylanten Unterkunft gewähren. Man kann aber nicht bis in alle Ewigkeit lügen. Der Mutter geht es wieder schlechter und sie muss ins Krankenhaus. Sie will zum letzten Mal ihren Mann sehen. Alex sucht nach seinem Vater, der schon eine andere Familie hat und erfüllt den letzten Wunsch der Mutter. Sie stirbt am Abend der Wiedervereinigung.
Zwar sorgen die Bemühungen von Frau Kerners Kindern und deren Freunden schon für einige vergnügliche Verwirrungen, doch den Hauptakzent legt das Drehbuch auf die Veränderungen, die den Alltag eines Ost-Berliner Jugendlichen innerhalb weniger Monate vollkommen auf den Kopf stellen. Überhaupt wird beinahe jeder politische Aspekt dieses größten politischen Ereignisses unserer Zeit ausgeblendet. Beobachtet wird nur der Mikrokosmos der Hausgemeinschaft in Ost-Berlin, deren Mitglieder die Veränderungen ganz unterschiedlich aufnehmen. Während alte Parteifunktionäre der guten alten Zeit nachtrauern oder dem Alkohol verfallen, passen sich die Jugendlichen dem Wandel unheimlich schnell an. Alexander beginnt zudem, die Schein-DDR in seiner Mutter so zu formen, wie er sie gerne gehabt hätte. Mit offenen Grenzen statt Mauern und Stacheldraht, ohne den totalen Boykott von Westprodukten und mit Handelsabkommen. Für ihn bestand das größte Manko des Sozialismus in der Abgrenzung. Die Darsteller überzeugen unterdessen allesamt, vor allem Katrin Saß als engagierte Genossin. Fünf Jahre nach dem Überraschungserfolg „Das Leben ist eine Baustelle” hat Regisseur Wolfgang Becker wieder eine bitter-süße Tragikomödie geschaffen (vgl. die GeMa-Rezension zum Film „Das Leben ist eine Baustelle“ im GeMa 1/2002). Zwar kann man im Kino sehr viel lachen, der Film ist aber keine Komödie, die Hauptbedeutung liegt auf den schnellen Veränderungen. Der Film erhielt den deutschen Drehbuchpreis. Es ist kein Zufall, denn es gibt keine Leerläufe in dem zweistündigen Film. Außerdem ruft der Film die Wiedervereinigung auf überwältigend emotionale Weise ins Gedächtnis.
Ich kann den Film recht empfehlen, man kann damit viele Dinge aus der Geschichte erfahren. Ich habe den Film im Kino Belvárosi in Szeged gesehen, aber er lief auch im Grand Café. Hoffentlich nehmen diese Kinos den Film mehrmals ins Programm und jeder kann sich diesen Film ansehen.