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Zeitung << 2/2004 << Arbeit in der EU


Arbeit in der EU
Ungarische Dolmetscher und Ärzte sind begehrt

Autorin: Renáta Récsi

In der Europäischen Union wäre es ein Grundrecht, dass ein EU-Bürger ohne Arbeitsgenehmigung arbeiten kann, aber wenn er mehr als drei Monate in einem Mitgliedsstaat verbringen möchte, muss er trotzdem eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Zwar ist diese "freie" Arbeit in den meisten EU-Mitgliedsstaaten nicht ganz frei, doch wurde es für uns Ungarn durch den EU-Beitritt leichter, in Westeuropa zu arbeiten. Eins ist sicher: Wir müssen kein Visum mehr für die Mitgliedstaaten beantragen, wir können ruhig losfahren, ohne die Botschaften in Budapest aufzusuchen. Es genügt, die amtlichen Papiere in dem betreffenden Land zu besorgen.

Was bieten die „alten“ EU-Mitgliedsstaaten ihren neuen Partnern? Ohne allerlei Beschränkungen öffneten nur Großbritannien und Irland ihren Arbeitsmarkt. Die Arbeitnehmer der neuen Mitgliedsstaaten müssen hier keine Arbeitserlaubnis beantragen, brauchen jedoch nach drei Monaten eine Aufenthaltsgenehmigung. Das ist keine Diskriminierung, dasselbe müssen alle EU-Staatsbürger tun. Die Schweden überprüfen ihr Sozialversicherungssystem. Wenn zum Beispiel bis jetzt jemand aus Deutschland nach Schweden arbeiten ging, erhielt nicht nur er, sondern auch seine in Deutschland gebliebene Familie die Sozialleistungen. Das ist nun nicht mehr so. Die Dänen vergeben eine Arbeitserlaubnis nur dann, wenn der Antragsteller zusammen mit dem Stellenangebot auch die Lohnbedingungen vorzeigt. Sie versuchen damit die EU-Bestimmung zu befolgen, nach der niemand nach seiner Nationalität diskriminiert werden darf. Hier kann man mit englischen und deutschen Sprachkenntnissen punkten; die meisten Stellen werden jedoch nur dann besetzt, wenn der Bewerber gut dänisch spricht. Genauso können die Ausländer nur mit Arbeitserlaubnis in den Niederlanden, in Finnland, Italien, Spanien, Belgien und Frankreich eine Arbeit bekommen.
Zwischen Ungarn und Österreich besteht ein Abkommen über die Praktikanten und Arbeitnehmer entlang der Grenze fort. Die Quote wurde aber erweitert. Da der Anspruch viel größer ist als diese Quote (je 2000 Personen), gibt es immer noch die Möglichkeit, als Einzelunternehmer zu arbeiten. Die Einzelarbeitserlaubnis ist aber sehr schwer zu bekommen. Die Zeit der Praktika dauert ein Jahr. In die andere Gruppe gehören die Leute, die mindestens eine Nacht pro Woche in Ungarn verbringen.
Es gibt ein ähnliches Abkommen auch zwischen Ungarn und Deutschland. Das bezieht sich auf die Praktikanten und auf die Leute, die auf Grund eines Vertrages zwischen einer ungarischen und einer deutschen Firma arbeiten wollen.
Es kann nützlich sein, einige Arbeitsregeln der EU zu kennen. Das Diplom wird beispielsweise nur bei den folgenden Berufen automatisch anerkannt: Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Krankenschwester, Apotheker, Geburtshelfer, Anwalt, Architekt. Es ist auch eine Grundregel, dass die Arbeitnehmer nicht unterschieden werden dürfen. EU-Ausländer bekommen nicht weniger Gehalt und die Arbeitsbedingungen sind für sie nicht anders als für die Staatsbürger, des arbeitgebenden Landes.
Unser Beitritt zu der „mehrsprachigen“ Europäischen Union vervielfältigt die Arbeitsmöglichkeiten der Dolmetscher und Übersetzer, obwohl es auch so nicht sehr leicht ist, eine Arbeit zu bekommen, wie man es sich vielleicht denken könnte. Brüssel und Strassburg brauchen sehr viele Übersetzer, aber die Auswahl der Übersetzer erfolgt nicht immer so, wie man es sich vorstellt. Ich habe beispielsweise in einer ungarischen Zeitung gelesen, dass in Brüssel Anfang 2004 ein Wettbewerb für die Übersetzung eines Textes über die Gesetze der Union in der Sprachrichtung Englisch-Ungarisch ausgeschrieben wurde. Was dann jeden überraschte, war, dass die Arbeit schließlich kein ungarisches, sondern ein griechisches Übersetzungsbüro bekam. Ein Dolmetscher muss neben der ausgezeichneten Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift auch über seine Heimat und die EU sehr gut informiert sein und selbstbewusst auftreten können. Er muss die ethischen Regeln des Berufs kennen und braucht auch juristische Kenntnisse. Wenn jemand bei irgendeiner Institution der EU eine Stelle finden möchte, muss er oder sie außer diesen Kriterien auch noch die bisherige, ganze Geschichte der Europäischen Union, ihr verzweigendes Institutionssystem usw. kennen. Das Fach Europastudien z.B. an der Universität Szeged vermittelt dieses Fachwissen.
Der andere Beruf, der in der EU besonders populär ist, ist der Beruf des Arztes. Außer in Spanien, wo zu viele Ärzte ausgebildet werden, warten alle Staaten der EU, besonders Großbritannien und Irland, mit offenen Armen auf qualifizierte Ärzte aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten. Wir können darauf stolz sein, dass das ungarische Fachwissen überall hochgeschätzt ist. Doch es ist keineswegs so einfach, eine Stelle zu bekommen. Die Arbeitgeber sind wählerisch, sie fordern sehr gute Sprachkenntnisse, Anpassungsfähigkeit und Entschlossenheit von den Bewerbern. Viele schrecken vor den Sprach- und Ansiedlungsschwierigkeiten, der zwangsmäßigen Abwesenheit von der Familie oder der unüberschaubaren Bürokratie zurück. Nach einer Umfrage des ungarischen Gesundheitsministeriums im Sommer 2004 überlegte sich ein Fünftel der ungarischen Ärzte die Ausreise. Neben dem Medizindiplom ist auch die Praxis eine Voraussetzung. Vor allem die Medizinstudenten spielen mit dem Gedanken, im Ausland zu arbeiten. Ich sprach darüber mit Szilvia Bertók, Medizinstudentin im fünften Studienjahr an der Universität Szeged.

Mit dem Beitritt öffneten sich die Tore der Europäischen Union für uns. Die Arbeit im Ausland wurde erleichtert. Vor allem werden Ärzte, darunter hochqualifizierte ungarische Ärzte, in der Union erwartet. Interessieren sich tatsächlich viele Ärzte für die Arbeit im Ausland?
Ich kann in erster Linie über die Studenten sprechen. Die Mehrheit der Medizinstudenten spielt natürlich mit dem Gedanken, irgendwo im Ausland innerhalb der EU zu arbeiten, nicht zuletzt wegen der besseren Bezahlung. Die Ärzte verdienen in Ungarn am Anfang ihrer Praxis besonders wenig. Sowohl die Arbeitsverhältnisse als auch die Bezahlungen sind im EU-Ausland besser als bei uns.

Hast du persönlich Interesse dafür?
Ich bin eine echte „Lokalpatriotin“. Ich möchte also auf jeden Fall hier in meiner Heimat arbeiten. Ich will in Ungarn heilen. Jedoch möchte ich in einigen Jahren ein oder zwei Jahre in einem deutschsprachigen Land verbringen. Mein Ziel wäre es, dort Erfahrungen zu sammeln und zu forschen. Für einen unerfahrenen Arzt ist es im Ausland nicht leicht, eine Stelle zu finden, weil die Mitgliedstaaten vor allem Fachärzte mit mehrjähriger Praxis erwarten, nicht Anfänger bzw. Residenten. Und später, wenn man schon einen eigenen Patientenkreis hat, will man dieses Leben nicht aus Abenteuerlust opfern. Das ist meine Meinung, aber die 8-10 Ärzte, die sich jede Woche bei der Kammer bewerben, beweisen das Gegenteil.

Was wäre für dich die ideale Lösung?
Für mich und allgemein für die Studierenden wäre ein besser ausgebautes Stipendienprogramm am besten. Das Stipendium bedeutet im Allgemeinen eine sehr niedrige Unterstützung und viele können es sich nicht leisten, mit dem Geld der Eltern ins Ausland zu fahren. Mit einem Auslandsstipendium könnten die Studierenden Einblick in das ausländische Bildungs- und Medizinsystem nehmen.