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Zeitung << 2/2004 << Das vereinigte Europa hat gewählt


Das vereinigte Europa hat gewählt
Oppositionsparteien im Vorsprung

Autor: András Mucsi

Der 13. Juni 2004 war ein historischer Tag in der Geschichte Europas. In den 15 alten und den 10 neuen Mitgliedsstaaten der EU hatte man die Möglichkeit, die gemeinsame Vertretung der Bürger der Union zu wählen. Es ist jedoch ein Defizit der Demokratie, dass sich ein wesentlicher Teil der Wahlberechtigten der Stimme enthielt und nicht zu den Urnen ging. In den zehn neuen Ländern nutzten durchschnittlich nur 26% das Wahlrecht. In den fünfzehn anderen Staaten waren die Zahlen der Wahlstatistik auch nicht viel besser. Warum zeigt man so wenig Vertrauen gegenüber dem Europäischen Parlament?

Das Europäische Parlament hat wenige Befugnisse, kann in den meisten Fragen nur mitbestimmen. Die wichtigsten Dinge werden in der Kommission, dem Rat oder auf nationaler Ebene entschieden. Das EP stimmt dem EU-Haushalt zu, was ausgesprochen wichtig ist. Die Bürger denken, dass sie mit ihrem Parlament kaum etwas anfangen können. Es kostet enorme Summen aus dem Haushalt, hat jedoch wenig Aufgaben und Gewicht. Die EP-Stimmen gelten traditionell als „Strafstimmen“: die Bürger wählen bei dieser Wahl auch solche Parteien, für die sie bei nationalen Parlamentswahlen die Stimmen nicht abgäben. Man denke an die Anti-EU-Parteien. Mit ihrer Stimme wollen sie die traditionellen und regierenden Parteien auf etwas aufmerksam machen. Deshalb gibt es bei EP-Wahlen so viele Siege für die oppositionellen Parteien. Diesmal war es auch nicht anders. In den meisten Ländern haben die politischen Kräfte der Opposition gewonnen und die Anti-EU-Parteien konnten auch bedeutende Gewinne erzielen.
In Ungarn war die bürgerliche oppositionelle Unionspartei Fidesz – Ungarischer Bürgerbund mit 47% der Stimmen besonders erfolgreich (12 Mandate). Die regierenden Sozialisten (MSZP) sollten sich mit 34% zufrieden geben (9 Mandate). Die mitregierenden Liberalen (SZDSZ) erzielten mit ihren 7,73% zwei Mandate. Die kleine konservative Partei MDF (z.Z. in Opposition) übersprang mit 5,5% die Fünfprozent-Hürde, was für sie ein Mandat bedeutete.
In Österreich triumphierte auch die Opposition. Die oppositionelle Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) bekam 33,33% aller Stimmen (7 Mandate), damit wurden sie vor der regierenden christdemokratischen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) die Partei Nr. 1 des Landes (6 Mandate für die Volkspartei). Mit 12,89% wurden die ebenfalls oppositionellen Grünen nun zur drittstärksten Partei Österreichs (2 Mandate). Die Haider-Partei, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) verlor die Mehrheit ihrer ehemaligen Wähler: nur 6,3% der Bürger wählten freiheitlich, was weitere Konflikte in der kleineren Regierungspartei verursachte. Sie haben weiterhin nur einen Abgeordneten in Brüssel, den 51-jährigen Andreas Mölzer, der der Besitzer des Blattes „Zur Zeit“ ist und als Vertreter des nationalen Flügels der FPÖ gilt. Überraschenderweise erreichte die Liste des ehemaligen SPÖ-Abgeordneten Dr. Hans-Peter Martin beinahe 14%. Er machte sich dadurch bekannt, dass er in mehreren Artikeln die Verschwendung im EP enthüllte und über viele Abgeordnete unangenehme Dinge veröffentlichte. Die Wähler honorierten seine Arbeit mit zwei Mandaten im Parlament der Union. Martin ist die „echte Kontrolle“ in Brüssel.
Die Deutschen wählten diesmal schwarz. Die CDU-CSU-Listen (Christlich-Demokratische Union und Christlich-Soziale Union) bekamen zusammen 44% (49 Mandate), die regierende Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) nur bescheidene 21%, was für sie 23 Mandate bedeutete. 11,9% der Stimmen fiel auf die Grünen (13 Abgeordnete), 6,12% auf die postkommunistische Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) (7), 6,07% auf die liberale Freie Demokratische Partei (FDP) (7). Die Rechtsparteien erzielten insgesamt weniger als drei Prozent.
Nach den Wahlen erfolgte die Bildung der Fraktionen. Die gewählten Abgeordneten der Parteien hatten die Möglichkeit, sich den politischen Fraktionen im EP anzuschließen oder als Fraktionslose zu arbeiten. Die EP-Fraktionen sind nicht nach Ländern, sondern nach politischen Richtungen organisiert. Die größte Gruppe bilden die Konservativen, deren Partei die Europäische Volkspartei (EVP) ist. Sie zählen 268 Abgeordnete (36,6% aller Mandate). Die Partei der Sozialisten ist die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE; 27,3%), sie haben 200 Abgeordnete. Die Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) hat 88, die Grünen – Europäische Freie Allianz (GRÜNE-EFA) 42, die Vereinigte Europäische Linke – Nordische Grüne Linke (VEL-NGL) 41 Mitglieder. Es ist einfach zu sehen, dass die Abgeordneten der aufgelisteten Parteien Fidesz, MDF, ÖVP, CDU, CSU zur EVP, MSZP, SPÖ, SPD zur SPE, SZDSZ, FDP zur ALDE, die zwei grünen Parteien zur GRÜNE-EFA, die PDS zur VEL-NGL gehören. Interessante Phänomene des EP sind die zwei Fraktionen Unabhängigkeit und Demokratie (UN-DEM) und die Union für ein Europa der Nationen (UEN). Die UN-DEM ist stark anti-europäisch. So sitzt eine Fraktion im Parlament der EU, die für die Auflösung der Union kämpft. In dieser Fraktion arbeiten die Abgeordneten solcher Parteien miteinander wie Lega Nord (Italien), Lega Polnischer Familien (Polen), Staatkundig Gereformeerde Partei (Niederlande), die englische Unanhängigkeitspartei. Die UEN setzt sich aus Abgeordneten aus sechs Ländern zusammen (z.B. die Abgeordneten der Alenaza Nationale (Italien) und Dansk Folkepati). 29 Abgeordnete sind fraktionslos, sie gehören keiner Fraktion an. Unter ihnen befinden sich die Vertreter der französischen Front National, Vlaams Blok (Belgien), FPÖ, Selbstverteidigung (polnische radikale Bauernpartei), Lista Mussolini (Italien). Im Allgemeinen kann man feststellen, dass die Abgeordneten der radikalen Rechtsparteien an den Sitzungen kaum teilnehmen, sie üben keine Tätigkeit aus. Die wichtigsten Fragen werden von den drei größten Parteien entschieden.