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Zeitung << 2/2004 << In einer Reetkate an der Ostsee


In einer Reetkate an der Ostsee
Die deutsche Gastronomie in einem Schnellimbiss

Autorin: Anita Szalai

Meine Freundin und ich entschlossen uns im Sommer 2001, etwas Nützliches zu machen. Wir beide wollten einmal nach Deutschland fahren, um dort zu arbeiten. Es ergab sich eine Chance dank des Kontakts der Arbeitsämter zwischen Budapest und Bonn, unseren Sommer mit der Arbeit in einer Reetkate in Scharbeutz an der Ostsee zu verbringen. 2004 hatte ich wieder die Möglichkeit nach Scharbeutz zu fahren, um im Sommer dort zu arbeiten. Diesmal war ich allein dort. Es war trotzdem leichter, in einem schon bekannten Ort zu arbeiten.

Was ist eigentlich eine Reetkate? Im Norddeutschen bedeutet das ein Haus mit Schilfdach. Am Urlaubsort „Ostseeheilbad Scharbeutz“ (Schleswig-Holstein) steht so eine Reetkate direkt an der Ostsee. Diese Reetkate fungiert als Imbiss, der im Sommer den Touristen die Möglichkeit bietet, ihren Durst und Hunger stillen zu können. Während ihres Aufenthaltes können hier die Urlauber eine herrliche Aussicht auf die Ostsee genießen, solange sie zu Mittag essen oder Eiscreme verspeisen oder wenn sie beim Zeitungslesen ihren Kaffee bzw. Cappuccino trinken. Das Wetter wurde im Juli beide Male erst langsam schön, infolgedessen die Touristen allmählich zur See kamen, um ihren Urlaub zu verbringen, was mir zugute kam. Ich musste zuerst alles gründlich kennen lernen. Obwohl ich schon seit mehr als zehn Jahren Deutsch lernte, hatte ich beide Male Probleme, alles zu verstehen: die Namen der deutschen Gerichte, der Getränkemarken, der Eissorten, die Titel der Zeitschriften und der Zeitungen, wie die Spielzeuge heißen und vor allem die Preise. Dazu kamen noch viele verschiedene Dialekte, die unsere Gäste sprachen. In Schleswig-Holstein wird Plattdeutsch gesprochen, das auch in der Begrüßung zum Ausdruck kommt: die Leute grüßen einander morgens mit „Moin, Moin“, was „Guten Morgen“ bedeutet.
Die Reetkate an diesem weiten Strand ist für ihre Selbstbedienung bekannt und dafür, dass man das Essen auch zum Strand mitnehmen kann. Das ist für die Urlauber an den heißen Sommertagen ein großer Vorteil. Sie können ihr Mittagessen in ihrem gemieteten Strandkorb am Meer sitzend verzehren. Die Bedienung der Gäste findet so statt, dass der liebe Gast zur Kasse kommt, sein Gericht und Getränk bestellt und anschließend seine Quittung mit einer Nummer darauf erhält. Die Nummer dient dazu, die Bestellungen zu identifizieren. Falls die Getränke und später die Gerichte fertig sind, reicht es einfach, die Nummer zu rufen und der Gast kommt, um sie abzuholen.
Es gibt ein großes Angebot an Gerichten in diesem Imbiss. Es gibt Milchreis mit Zimt und Zucker oder auch mit heißen Kirschen, Fischstäbchen mit Pommes und Majo oder Ketchup oder eben Kartoffelpuffer mit Apfelmus. Der Kartoffelpuffer ist ein Pfannkuchen, der aus Kartoffeln, Ei, und Mehl besteht und in heißem Öl gebacken wird. Aber es gibt auch Folienkartoffeln mit Sour-Creme (Quark und Gewürze), mit Tzatziki (Quark, Knoblauch und Gurke) oder mit Heringsdipp (Sahnesoße mit Zwiebeln, Äpfeln und Heringsstücken). Wer sich nach italienischen Gerichten sehnt, kann eine Portion Spaghetti Bolognese bestellen. Es gibt auch viele Fischgerichte, die im Kreis der Urlauber sehr beliebt sind, wie zum Beispiel Schollenfilet, Dorschfilet oder Backfisch. Dazu kann der Gast Beilagen wählen, wie Bratkartoffeln (die vorher gekochten Kartoffeln werden mit Zwiebelstücken und Gewürzen mit etwas Öl in der Pfanne gebacken), die sehr beliebten Pommes mit Majo, Ketchup oder Kartoffelsalat (Kartoffeln, Speck, Essig und Gewürze). Ein schmackhaftes Fischgericht ist noch Calamares (Tintenfisch) mit Tzatziki und Zitrone für diejenigen, die etwas Besonderes essen möchten. Mag der Gast keinen Fisch, kann er unter mehreren Wurstsorten wählen: Currywurst mit starker Currysoße, Bockwurst, Bratwurst und Schinkenwurst, auch mit gewählter Beilage je nach Geschmack. Auch die Auswahl der Getränke ist groß. Es gibt nicht nur die gewohnten Getränke wie Cola oder Fanta, sondern auch Apfelschorle (Apfelsaft mit Mineralwasser mit Kohlensäure), Spezi (Fanta mit Cola), O-Saft (Orangensaft) und A-Saft (Apfelsaft). Für die Biertrinker sind die folgenden speziellen Biere als Durstlöscher zu haben: Wittinger Premium vom Fass, Wittinger Stackmanns Dunkel vom Fass, Weltenburger Kloster vom Fass (Weizenbier), Vitamalz (ein alkoholfreies Getränk aus Malz und Hopfen). In der Kaffeezeit können unsere Gäste die Ruhe auf unserer Terrasse bei einem Kaffee, Milchkaffee, Cappuccino, Espresso, Latte Macciato (Espresso mit viel Milch) mit einem Stück Apfel-, Pflaumen- oder Rhabarberkuchen genießen.
Im Laufe meines Aufenthaltes probierte ich fast alle Gerichte, infolge dessen ich neue Geschmäcker kennen lernte. Ich aß gerne Folienkartoffeln mit Sour-Creme oder mit Tzatziki, Calamares mit Tzatziki und Zitrone. Mein Lieblingsgericht, das mir am besten schmeckte, ist Dorschfilet mit Bratkartoffeln. Sehnte ich mich nach Gerichten, die ich auch in Ungarn esse, wählte ich zu Mittag Milchreis mit Zimt und Zucker, Pommes frites oder eben Spaghetti Bolognese. Ich stillte meinen Durst meistens mit Apfelschorle oder Spezi, die ein bisschen säuerlich sind.
Während der Arbeit in der Reetkate erfuhr ich, was es bedeutet, in einem Imbiss zu arbeiten, was für Aufgaben es dort gibt. Die wichtigste Aufgabe ist es, an der Kasse zu sein. Hier trägt man eine große Verantwortung bei der Aufnahme der Bestellungen wegen der Quittung, die die bestellten Getränke und Gerichte beinhaltet. Macht man hier einen Fehler, geht alles durcheinander. An der Kasse muss man gleich die bestellten heißen Getränke mittels einer Kaffeemaschine fertig machen. Bei den Anlagen neben der Kasse, wo man Bier zapft und die Getränke fertig macht, muss man auf das richtige Hohlmaß achten, was für eine Größe (0,3 oder 0,5) bestellt wurde. In der Küche die Gerichte zubereiten ist eine andere verantwortungsvolle Arbeit: alles muss lecker und schnell gemacht werden und zugleich einwandfrei sein. Zu der Gastronomie gehört es natürlich, das Geschirr von der Terrasse zu räumen, in die Spülmaschine zu legen, abzutrocknen und schließlich in die Regale zu stellen. Die Terrasse muss immer gepflegt sein, was von großer Bedeutung ist, denn die Gäste kommen erst auf die Terrasse der Reetkate, wenn da große Ordnung herrscht.
In der Reetkate kann man auch Eiscreme, Spielzeuge, Ansichtskarten, Zeitungen und Zeitschriften kaufen. Das ist für die Touristen wichtig. Sie kamen so früh wie möglich zu uns, um ihre Bildzeitung jeden Tag zu kaufen. Und sie waren enttäuscht, wenn keine mehr da war. Es gibt ein riesiges Sortiment an Zeitungen, so dass man sich kaum entscheiden kann zwischen z.B. Lübecker Nachrichten, Hamburger Nachrichten, der Spiegel, Bild, Bild der Frau, Sport-Bild, Neue Revue, Brigitte, Bravo, Yacht.
Als es langsam wärmer wurde, konnte ich alles gründlich kennen lernen. Am Anfang hatte ich die Aufgabe, das Geschirr zu sammeln und zu spülen, die Terrasse in Ordnung zu bringen. Später musste ich beim „Straßenfenster“ Eiscreme, Zeitungen und Spielzeuge verkaufen oder die Getränke fertig machen und Bier zapfen. Je mehr Zeit verging, desto schwerere Aufgabe bekam ich. Schließlich stand ich mit größter Verantwortung an der Kasse. Es hing stark vom Wetter ab, wie viele in der Reetkate arbeiteten. Wenn es regnete, waren wir nur zu fünft. Wir hatten nur wenige Gäste, die beim Regen die schöne Aussicht auf die Ostsee genießen wollten. Bei Strandwetter arbeiteten wir zu elft, was sich nicht immer als ausreichend erwies. Dann hatten wir aber eine Arbeit! Hunderte von Touristen kamen zu uns, um etwas zum Mittag zu kaufen. Danach noch ein Eis als Nachtisch. Ohne Ende. Trotzdem machte es mir immer mehr Spaß, wenn wir viel zu tun hatten, als beim Regen auf die Gäste zu warten.
Wenn man eine Arbeit am Strand hat, ist man sich darüber im Klaren, seinen Urlaub nicht bei herrlichem Wetter verbringen zu können. Mein Chef, Manfred Ludwig, gab mir trotzdem die Möglichkeit, die Gegend so gut wie möglich kennen zu lernen. So machte ich eintägige Ausflüge nach Neustadt bei Scharbeutz, nach Lübeck, wo ich das berühmte Holstentor im Stil der „Backsteingotik“ besichtigte. Ich war auch in Berlin am Brandenburger Tor, im Schloss Charlottenburg, im Ägyptischen Museum und auf dem Fernsehturm. Ich sah auch den Hafen von Hamburg, den „Hansa Park“ von Sierksdorf, Deutschlands einzigen Erlebnispark am Meer und Kopenhagen in Dänemark. Für mich war aber jeder Tag Urlaub, weil ich nach Feierabend an der Ostsee spazieren gehen und die frische Ostseeluft genießen konnte. Die Ostsee hatte eine riesige Wirkung auf mich, so dass sie mir noch immer fehlt. Ich bin froh, dass ich zweimal die Möglichkeit hatte, in der Reetkate in Scharbeutz an der Ostsee zu arbeiten. Ich lernte tolle Leute kennen und bekam eine Einsicht in die deutsche Gastronomie. Es war für mich auch eine Art von Wortschatzerweiterung, ganz zu schweigen davon, dass ich ein kleines Stück von einem anderen Land mit seinen Landschaften, Gewohnheiten und Leuten kennen lernen konnte.