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Zeitung << 2/2004 << Zugleich gehasst und geliebt werden


Zugleich gehasst und geliebt werden
Elfriede Jelinek, die Literatur-Nobelpreisträgerin 2004

Autorin: Szilvia Gál

2004 wurde nach fünf Jahren wieder der deutsche Sprachraum mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. 1999 wurde mit dieser Auszeichnung die literarische Tätigkeit des Deutschen Günther Grass gewürdigt. Jetzt bekam die Österreicherin Elfriede Jelinek den ehrenvollen Preis für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen“.

Die Beurteilung der Schriftstellerin und besonders die Verleihung des Nobelpreises sind widersprüchlich, hauptsächlich in ihrer Heimat Österreich. Die künstlerische Tätigkeit der am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag (Steiermark) geborenen Autorin ist ziemlich vielfältig und produktiv. Ein Beweis dafür soll sein, dass sie Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und auch Musik (Orgel, Blockflöte, Komposition) studierte. Wie ihrer Biographie zu entnehmen ist, hat sie ihr Studium an der Wiener Uni nach einigen Semestern wegen einer „zu kritischen psychischen Verfassung“ beendet. Trotzdem hat sie in den letzten vierzig Jahren ein mächtiges Lebenswerk geschaffen. Sie bekam mehr als zwanzig wichtige literarische Preise und Auszeichnungen nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern auch im Ausland. Sie ist nicht nur Romancier, sondern auch Essayistin, Dramatikerin, schreibt Drehbücher, übersetzt aus dem Englischen und Französischen und hat interessanterweise eine klare politische Einstellung, die sie nicht müde wird zu äußern.
Für sie war es immer wichtig, das Recht auf die freie Meinungsäußerung zu haben, außerdem hält sie sehr an ihrer Überzeugung fest. Sie benutzte dabei oft einen sarkastischen, provokativen Stil, der von anderen (besonders von ihren Gegnern) als vulgär, obszön, aggressiv, skandalös oder irritierend abgestempelt wurde. Ihre politischen Ansichten und Gefühle – sie war 20 Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs – dienten im österreichischen politischen Leben der FPÖ als Zielscheibe und besonders Jörg Haider. Ihre nicht ungetrübte Beziehung verriet 2000 die Bewegung „Das Lebewohl“, die Jelinek gegen Haider in Wien auf dem Heldenplatz organisierte. Dabei wurden einige Fragmente aus dem Werk „Oresteia“ des Griechen Aischylos mit der Gestik und dem Stil von Jörg Haider dargestellt. Aber es war nicht die erste solcher Aktionen der Jelinek. Seit 1983, der Uraufführung ihres Dramas „Burgtheater“, benutzte sie „den großen Skandal“, um ihre feste Meinung und Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. In der Folge wurde Jelinek in ihrer Heimat von der rechten politischen Seite als eine Hysterikerin apostrophiert, ihre Werke wurden in Österreich nicht herausgegeben und gespielt, standen sogar unter Verbot. Von der anderen Seite wurde sie aber als Sprachkünstlerin gefeiert. Ein weiteres Problem bedeuteten für sie die weiter lebenden nazistischen Parteien, die sie irritierten. In ihrer künstlerischen Tätigkeit und in ihren Werken erschienen ständige Verweise auf die alltägliche Politik.
Die meisten ihrer Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Ihr ganzes Lebenswerk ist beispielsweise auf Französisch zu lesen. Auf Ungarisch sind nur zwei ihrer Romane erschienen: „Die Liebhaberinnen“ (in Ungarn mit dem Titel „Kis csukák“) und Die Klavierspielerin („A zongoratanárnõ“). Damals, als der jetzt preisgekrönte Roman in Ungarn erschien, wurde er in einem Artikel in der bekannten ungarischen literarischen Zeitschrift „Élet és Irodalom“ ganz negativ bewertet. 2001 wurde „Die Klavierspielerin“ von Michael Haneke verfilmt, was eine ganz andere Perspektive der Interpretation des Romans bot (vgl. GeMa 1/2003). Die verschiedenen Rezensionen konnten kein eindeutiges Urteil abgeben. Der Roman wurde mit den Attributen aggressiv, pornographisch, krank, bitter, kalt, psychopatisch, unparteiisch, meisterhaft, künstlich versehen. Bezüglich ihrer Werke hat man über eine „Frauensprache“ gesprochen, aber sie leugnete die Annahme, dass sie Feministin sei. Ihre Auszeichnung wurde mehrmals diskutiert, besonders weil ihre Werke einen ganz anderen Gesichtspunkt der Darstellung und Auffassung der Welt vertreten. Auch der Vatikan hat ihren Nobelpreis verurteilt und die Schwedische Akademie scharf kritisiert. In der Akademie sei ein „degenerativer Prozess“ zu bemerken und Jelinek sei eine Fahnenträgerin des „absoluten Nihilismus“. Jörg Haider, der jetzige Kärntner Landeshauptmann, äußerte sich zu Jelineks Preis: „Jelinek ist nur deshalb berühmt geworden, weil sie gegen Österreich gewettert hat.“ Sie bekam trotzdem den Nobelpreis, als Anerkennung ihres ganzen Lebenswerks und des damit zusammenhängenden Systems ihrer Werke. Ob Jelinek am 7. Dezember 2004 an der offiziellen Verleihung des Nobelpreises in Stockholm teilnimmt, war bis zu dem letzten Moment fragwürdig, weswegen sie auch auf Kritik stieß. Wegen ihres sensiblen psychischen Zustandes konnte sie schließlich nicht nach Schweden fahren, aber sie konnte ihre Nobelpreis-Urkunde später persönlich in der Residenz der schwedischen Botschaft in Wien in Empfang nehmen. Der ständige Sekretär der Akademie Horace Engdahl betonte in seiner Rede bei der offiziellen Zeremonie, dass Elfriede Jelinek „Die Kunst der Literatur erweitert“.