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Zeitung << 2/2004 << Sopron


Sopron
Ein Museum ohne Dach

Autorin: Katalin Lackó

Sopron (auf Deutsch: Ödenburg) spielt eine interessante Rolle in der Geschichte Ungarns. Dies betrifft nicht nur die Geographie, die Geschichte und die Kultur der Stadt, sondern auch ihre Bürger selbst.

Sopron und seine Umgebung sind seit mehreren tausend Jahren besiedelt. Der älteste bekannte Volksstamm, der sich hier niederließ, waren die Illyrer. Dann kamen die Kelten, die das Klima zum Weinbau nutzten. In den ersten Jahrzehnten v. Chr. gelangte das Gebiet unter die Herrschaft der Römer. Sie nannten die Stadt Scarabantia und bauten ihre Häuser absichtlich an der berühmten Bernsteinstraße, die hier vorbeiführte. Die Kaufleute von Scarabantia zogen über häufig befahrene Wege, als sie hin zur Nordsee aufbrachen, um sich Halbedelsteine zu beschaffen, mit denen sie dann bis zur Adria hinunterzogen. Die Route dieser berühmten Bernsteinstraße ist bis heute zu verfolgen. Außerdem war der Marktplatz, das Straßennetz, das römische Bad, die Thermen, eine Reihe von Tempeln und Hallen schon am Anfang unserer Zeitrechnung fertig. Zur Römerzeit war die Siedlung von Erdschanzen umgeben, welche ständig verstärkt wurde. Im Mittelalter wurde die Erdschanze innen und außen mit einer Steinmauer gestützt. Es entstand eine 6 m hohe und 20 m breite Festung mit dem vorderen Tor, an dessen Platz heute der Feuerturm steht, und dem hinteren Tor. Der fast vollständig erhaltene, mittelalterliche Kern der Altstadt gibt uns auch den Eindruck, als wären wir in einem Museum.
Sopron erhielt 1277 für seine Treue die Stadtrechte. Die Tat, für die die Einwohner der Stadt diese Rechte erhielten, war die, dass sie gegen den die Stadt belagernden König Ottokar von Böhmen Sopron für den ungarischen König hielten. Für seine Treue wurde Sopron mit den Privilegien einer freien königlichen Stadt belohnt. Diese Rechte bedeuteten Selbständigkeit, das Recht der Rechtsprechung und Unabhängigkeit von den Großgrundbesitzern. Sopron trat so langsam – durch seine Leibeigendörfer – schon als königliche Freistadt in die Reihe der Großgrundbesitzer. Die Stadt verfügte über Handwerker und wurde durch den Verkauf der Produkte ihrer Weinberge reich.
Die wahren Weinbauern waren die im 13. und 14. Jahrhundert hier angesiedelten Deutschen, vor allem die Bayern, die anfangs „Poncichter“ („Bohnenzüchter“) genannt wurden. Dieser Begriff ist auch heute bekannt, weil die Bauern sehr sparsam waren und die kleinen freien Flächen zwischen den Reihen der Weinreben nutzten und dort Obststämme oder Bohnen anpflanzten. Bis heute ist die bekannteste von den hiesigen unterschiedlichen Rebsorten, neben Merlot, Zweigelt, Tramini, Leányka, Zöldveltelini und Chardonnay, der Blaufränkische. Was seine Benennung betrifft, gibt es mehrere Vermutungen. Eine lautet folgendermaßen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Stadt von französischen Truppen besetzt. Die französischen Soldaten besetzten die Stadt monatelang und tranken dabei gern die besondere, herbe Flüssigkeit und zahlten dafür mit guten Franken. So wurde aus dem blauen Wein „blaufränkischer Wein“. In Friedenszeiten wurden die Ödenburger Weine in ferne Lande geliefert. Die damaligen Bürgermeister und Ratsherren brachten den Fürsten und Kaisern die Weine als Geschenk mit, um ihre politischen Ziele erreichen zu können.
Danach kamen die schwierigen Zeiten: Geldentwertung, die von Österreich ausgeübte wirtschaftliche Unterdrückung. Mit dem Beginn der Reformbewegung und mit der Tätigkeit Széchenyis begann ein neuer Aufschwung im Handel und in der Industrie. Sopron blieb in allen Bereichen eine wichtige Stadt. Dies ging auch aus seiner geographischen Lage hervor. Deswegen erhoben die Österreicher auch Anspruch auf dieses Gebiet nach dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sie wollten Ödenburg zur Hauptstadt des neuen Bundeslandes Burgenland machen. So gab 1921 die Stadt erneut einen Beweis ihrer Treue, zumindest aus ungarischer Sicht: Die erkämpfte aber auch umstrittene Volksabstimmung durchkreuzte die Pläne der Österreicher. Am 14. Dezember 1921 wurde in der Stadt Sopron, am 15. Dezember in Brennberg und am 16. Dezember in den angrenzenden acht Gemeinden über die Zugehörigkeit entscheiden. Die Bohnenzüchter stimmten auch für Ungarn. So erhielt die Stadt 1922 den Titel der Civitas Fidelissima, der treuesten Stadt.
Die Stadt spielte noch eine große Rolle in der Geschichte: sie war am 19. August 1989 beim „Paneuropäischen Frühstück“ die erste große Lücke im Eisernen Vorhang und ein Grenztor nach Österreich, durch das 600 DDR-Bürger in den Westen flüchteten.
In dieser Stadt hat die Geschichte ihre Spuren sehr stark hinterlassen. Sopron konnte bis heute sein Stadtbild, das vom Mittelalter und Barock geprägt ist, exzellent bewahren. Außerdem wird in der Stadt auch heute noch Deutsch verstanden und gesprochen. Noch heute kommen sehr viele Touristen aus dem benachbarten Österreich, weil sie sich hier wie zu Hause fühlen. Es empfiehlt sich ein Besuch in dem heutigen Sopron, verbunden mit einem bunten, inhaltsreichen Spaziergang in der Vergangenheit.