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Zeitung << 2/2004 << Anorexie und Bulimie


Anorexie und Bulimie
Essstörungen auch bei Studentinnen

Autorin: Barbara Tüske

Essstörungen wie Anorexie und Bulimie kommen in der westlichen Zivilisation offenbar mit zunehmender Häufigkeit vor. Beide Krankheitsbilder betreffen überwiegend junge Frauen. Die meisten Patientinnen erkranken zwischen dem 12. und 25. Lebensjahr. Nach Schätzungen leidet jede 100. Frau an dieser Krankheit. Es ist interessant und auch erschreckend, dass 25 Prozent der Kranken, die an Anorexie leiden, 12-13 Jahre alt sind. Ich habe viele Bekannte in meiner Umgebung, die schon beide Krankheiten hinter sich haben. Es ist ihnen gelungen, diese Krankheiten zu überwinden. Sie arbeiten in verschiedenen Berufen: Lehrerinnen, Ärztinnen, Verkäuferinnen und Studentinnen.

Bei Anorexia nervosa (Magersucht) will eine junge Frau immer dünner und dünner werden. Sie hat das Gefühl, dass sie immer dicker wird. Je schlanker sie ist, desto dicker sieht sie sich im Spiegel. Bei Bulimia nervosa (Bärenhunger) geht es um eine ähnliche Sache. Die kranken Frauen essen sehr viel und dann haben sie Gewissensbisse, dick zu werden und deshalb übergeben sich. Beide Krankheiten können sehr gefährlich sein, wenn man nicht rechtzeitig zum Arzt geht. Die Ursachen können verschieden sein, z.B. die Mode: Die Betroffenen sehen im Fernsehen immer dünne Frauen und sie wollen sie nachahmen oder wollen damit Aufsehen erregen. So wollen sie erreichen, dass sie von der Familie geliebt werden. Bei Anorexie essen sie sehr wenig oder gar nichts. Bei Bulimie haben sie keine Kontrolle und essen immer sehr viel.
Diese Krankheiten gefährden auch junge Frauen, die an einer Uni studieren. Sie können sich allein fühlen, weil sie zum Beispiel im Gymnasium die Besten waren und an der Uni gar nicht mehr zu den Besten gehören. Viele verstehen ihre Gefühle nicht. Sie glauben, dass es eine Hysterie sei. Das kann sehr lange dauern, bis die Studentin nicht mehr gesund ist. Der Verlauf der Krankheiten ist unterschiedlich. Insbesondere die Anorexie ist eine potenziell tödliche Erkrankung. Man braucht eine riesige Willenskraft, um diese Krankheit zu überwinden. Die Ärzte können nur mit Medikamenten helfen, aber das allein ist nicht genug. Der Kranke muss sich selbst wünschen, gesund zu sein. Die Arznei ist nur eine Krücke. Man muss immer an positive Sachen denken. Die Familie sollte die Kranken unterstützen. Auslöser sind in der Regel Konflikte mit den Eltern oder anderen verantwortlichen Erwachsenen. Die Patientinnen versuchen sich über die Manipulation des Essverhaltens zu jener Person zu entwickeln, die sie werden wollen. Gleichzeitig wird dabei an die Eltern appelliert, sich zu ändern, das Kind bei der Entwicklung zu unterstützen und ihm damit Konflikte zu ersparen. Die meisten Patientinnen beschreiben rigorose und normierte Erwartungen der Eltern, denen sie sich ausgesetzt fühlen: Vorschriften, wie sie leben sollen, und sie können diesen Erwartungen nicht entsprechen. Bei magersüchtigen Patientinnen finden wir eher den Kampf gegen Normen und Vorschriften. Hauptgefühl der Patientinnen ist deshalb der Zorn.
Bei bulimischen Patientinnen finden wir eher das Gefühl der emotionalen Vernachlässigung, die Ablehnung der Eltern für die bedürftige Seite des Kindes und die Forderung an die Patientinnen nach früher Selbstständigkeit. Hauptgefühle sind Trauer und Einsamkeit. Sie verlieren den Kontakt zu ihrem eigenen Ich. Die Kranken beantworten bestimmte für sich selbst unerträgliche emotionale Zustände (Zorn, Trauer, Leeregefühle) mit einem süchtigen Verlangen nach ihrer Essstörung, mit der sie ihre Gefühle manipulieren und die Entstehung der Gefühle zumindest zeitweise verhindern können. Magersüchtige Frauen beispielweise können Gefühle von Unsicherheit, Scham, ohnmächtigem Zorn mit Hilfe der Essstörung in Gefühle von Überlegenheit und Macht verwandeln, indem sie hungern und damit über Körper, Emotionen und Erwachsene triumphieren. Bulimische kranke Frauen können ihr unerträgliches Verlangen nach einer sie emotional und körperlich nährenden mütterlichen Gestalt im Essanfall befriedigen und dabei für kurze Zeit auch alle Scham- und Schuldgefühle ausschalten. Diese kommen dann erst nach dem Essanfall und dem folgenden Erbrechen umso heftiger wieder.
Eine kranke Frau kann nur dann gesund werden, wenn sie mit den Ärzten zusammenarbeitet. Das ist ein sehr langer Vorgang. Man braucht dazu viel Geduld, sowohl von den Freunden als auch von der Familie.