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Zeitung << 2/2004 << Christoph Schlingensief


Christoph Schlingensief und seine Parsifal-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen
oder ist Demokratie „der Versuch, die Dinge intelligent scheitern zu lassen“?

Autor: Balázs Kiss

Er ist wohl einer der extravagantesten Künstler Deutschlands: Christoph Schlingensief. Der 1960 in Oberhausen als Sohn eines Apothekers geborene Theater-Provokateur betreibt immer die „etwas andere Kunst“. Nicht das, was wir schon gewohnt sind, keine konventionellen Ausstellungen, keine Theaterinszenierungen mit der klassischen Auffassung des jeweiligen Stückes, sondern immer etwas Schockierendes, etwas verdreht, etwas schräg.

Im Mai 2001 brachte das „enfant terrible“ der deutschen Theaterszene z.B. den Klassiker „Hamlet“ auf besondere Art auf die Bühne. In Zürich ließ Schlingensief aussteigewillige Rechtsradikale auftreten, um sie in ihrem Wunsch nach Resozialisierung zu bestärken. Nachher gründete er auch einen Verein für rechtsradikale Aussteiger: „Ziel des Vereins ‘REIN e.V.’ sei die Reintegration von Neonazis, Skinheads und Hooligans in die Gesellschaft“, sagte der Skandal-Regisseur.
Ein Jahr zuvor, im Sommer 2000 inszenierte der deutsche Regisseur im Auftrag der Wiener Festwochen eine etwas andere Version von „Big Brother“. In einem Wohncontainer neben der Wiener Staatsoper wurden zwölf „Asylanten“ untergebracht. Unter dem Motto „Ausländer raus!“ durften die Zuschauer ihren Ausländer abwählen und nach Hause schicken.
Einer großen Öffentlichkeit wurde Schlingensief mit seiner zwischen 1989 und 1992 entstehenden „Deutschlandtrilogie“ bekannt – erstmals wurde sein Schaffen nicht nur wahr-, sondern auch ernst genommen. Sie setzt sich aus den Filmen „100 Jahre Adolf Hitler – Die Letzte Stunde im Führerbunker“, „Das Deutsche Kettensägenmassaker“ und „Terror 2000. Intensivstation Deutschland“ zusammen. In „100 Jahre Adolf Hitler“ (1989), der innerhalb von 16 Stunden mit minimalem formalen Aufwand in einem Weltkriegsbunker nahe Mülheim gedreht wurde, geht es um Inzest und Intrigen, Drogen, Selbstmord und Blasphemie. Die Kritik nahm die Trilogie belustigt bis angewidert abweisend an: „so grell, so geschmacklos, so brutal, das einem das anfängliche Lachen bald vergeht.“ (Roth, Wolfgang: 100 Jahre Adolf Hitler. In: epd Film, 8/89, S. 44).

Wagner-Festspiele in Bayreuth
Das wichtigste deutsche Festival von internationalem Rang, die Bayreuther Richard Wagner-Festspiele, lockte auch 2004 wieder fast 60.000 Besucher in die Wagnerstadt, rund ein Drittel davon aus dem Ausland. Auf die Bühne gebracht wurde auch „Der Ring von Nibelung“ unter dem Dirigienten Ádám Fischer. Es dauert übrigens im Durchschnitt sieben Jahre – Politiker und Prominente ausgenommen – bis man an eine der begehrten Karten kommt. Das Festival dauert jedes Jahr vom 25. Juli bis zum 28. August und 30 Vorstellungen stehen jährlich auf dem Programm.
Von der Gründung des Festivals an blieb die Leitung bis heute stets in den Händen der Familie Wagner. Seit über 50 Jahren widmet sich Wolfgang Wagner dem Vermächtnis seines Großvaters. Nach dem Zweiten Weltkrieg bereitete er gemeinsam mit seinem Bruder Wieland den Neubeginn der Festspiele vor und bemühte sich um die Rehabilitation des Festivals. Die Nazis hatten das Werk Richard Wagners und die Bayreuther Festspiele ideologisch für sich vereinnahmt. Die Brüder traten damit auch das problematische Erbe ihrer Mutter Winifred an, einer glühenden Verehrerin Adolf Hitlers, die die Festspiele von 1931 bis 1944 leitete.
Das Eröffnungsspiel 2004 am Grünen Hügel war Christoph Schlingensiefs inzwischen berüchtigt gewordene Parsifal-Inszenierung. Der Opernvortrag wurde unterschiedlich beurteilt, Gründe dafür gab es genug. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sagte zum Beispiel, die Schlingensief-Inszenierung sei „gewöhnungsbedürftig“. Mit Hinblick auf sein vorheriges künstlerisches Schaffen hat Schlingensief im Juni 2003, als er den Auftrag bekommen hat, Befürchtungen entgegengetreten und versprochen, er werde „keinen Sänger zwingen, nackt auf einem Eisblock zu tanzen“. Der erwartete Skandal ist zwar ausgeblieben, es gab aber auch heftige Buhrufe, als der Regisseur nach der Premiere vor den Vorhang trat. Doch überwog insgesamt die Zustimmung. Frechheit siegt, schrieb die österreichische Tageszeitung Die Presse über ihn. Der provokante Regisseur machte die Bühne mit verwesenden Hasen, Voodoo-Figuren und Videos bunter, was Tenor Endrik Wottrich mehrfach scharf kritisierte. Auf Pressekonferenzen und in Interviews lieferten sie sich einen heftigen Schlagabtausch, bei dem auch gegenseitige Rassismus-Vorwürfe geäußert wurden. Wottrich, Sänger der Titelpartie, warf Schlingensief vor, er habe keine Ahnung vom Werk und orientiere sich grundsätzlich nur an Filmen. Festival-Leiter Wagner erklärte, Schlingensiefs Inszenierung mute den Sängern viel zu und der Regisseur sei völlig unvertraut mit den Gesetzmäßigkeiten der Oper und den Gegebenheiten in Bayreuth. „Der das Publikum oft schockierende Theaterregisseur fasste in seiner ersten Opernregie das Werk Richard Wagners als ein heidnisch-christliches kulturelles Schaffen von Geburt, Tod und Erlösung auf. Zur Inszenierung verwendete er uralte Mythen sowie afrikanische Überlieferungen.“ (Magyar Nemzet, 27.07.2004)

Bayreuth als Schrottplatz der Mythen ...
Die österreichische Tageszeitung Der Standard nannte das Bühnenbild einen „Schrottplatz des Weltmythos“: „eine verwirrende und sich ständig verändernde Deponie von Paramenten und Kultgegenständen aller nur denkbaren Religionen und Sekten […]. Zelte, Säulen, Grabsteine, Totemstangen, Leitern, ein Wachturm, Stangen, Zäune“. Der Feuilletonist der Presse bezeichnete das Bühnenbild als „den gesamten Regie-Müll des deutschen Regietheaters der vergangenen Jahrzehnte“. Schlingensief „verwandelt die christlichen Gralsritter während des Abendmahls in eine Multi-Kulti-Truppe von Vertretern sämtlicher Weltreligionen, die während einer Voodoo-Zeremonie hinter einem Hasen hertrotten, der im Käfig über die Bühne getragen wird.“ Zum Schluss zeigt Schlingensief ein Video, in dem der Hase als Symbol des Werdens und Vergehens verwest. Ein Leser schrieb im Internetforum vom Verlieren des Maßstabes und fügte mit etwas Ironie hinzu, ein Kasperl dürfe sich alles erlauben. Ein Anderer meinte über Schlingensief, den Wottrich einen „Luxus-Anarchisten“ nannte, und sein Publikum: „Wenn Du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie!“, und erläutert, „er bevölkert die Bühne immer mit viel mehr Zubehör als die klassischen Theatermacher. Es ist bezeichnend, dass Schlingensief in den Tempeln der Hochkultur mit Projektionen, Aktionismus und bunt gemischten Verkleidungen die Zuschauer und Kritiker überraschen und überzeugen kann. Denn das sind Komponenten jeder besseren Party von Jugendlichen.“

... und danach
Festspielchef Wolfgang Wagner, mit dem Schlingensief manchen Streit ausgetragen hatte, sprach beim anschließenden Staatsempfang von einer „geglückten Aufführung“. Schlingensief selbst zog eine positive Bilanz: „Parsifal war Punktlandung“, sagte er. Das gespaltene Echo des Premierenpublikums habe ihn nicht überrascht, aber einen Skandal habe er nicht gewollt. „Es war eine schöne Zeit, wir sind sehr erleichtert und sehr stolz“, sagte der Regisseur. „Wir haben viel gekämpft, und das hat sich gelohnt. Wir wollten Bayreuth andere Bilder als gewöhnlich zeigen, und das haben wir geschafft.“ (APA/dpa). Am Samstag, den 28. August gingen die 93. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth zu Ende. Zum Abschluss war die Oper „Tannhäuser“ zu sehen.