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Zeitung << 1/2005 << Freitag in Sarajevo


Freitag in Sarajevo
Eine Collage aus Originaltext, Lesung von Richard Schuberth und Fiktion

Autorin: Emília Bata

FIONA FREITAG: Verkünderin der Hochkultur
JEAN-PIERRE LÉAUD: Verteidiger der Zivilisation
HANUMAN KNÜLCH: Verteidiger der Kultur
TAHIR TAHIROVIC: Soldat
GENERAL MIODRAGOVIC: Soldat
ZORAN: Soldat
FIKRET: Soldat
RICHARD SCHUBERTH: Autor des Werkes „Freitag in Sarajevo“
MARKUS: Organisator der Lesung „Freitag in Sarajevo“
EMILIA: Erzählerin
PUBLIKUM: 8-10 Studenten, Studentinnen und Dozenten


I. AKT 1. SZENE: CONFLICT VISUALIZING

Wir sehen ein Klassenzimmer, in dem das Publikum schon Platz genommen hat, wir sehen es aber nur von hinten. Markus und Richard sitzen dem Publ­i­kum gegenüber. Markus be­ginnt zu spre­chen, wir hören sei­ne Stimme aber nicht. Das Pub­likum hört aufmerksam zu, Emilia macht Fotos von Ri­chard und Markus.

MARKUS: Freitag in Sarajevo spielt während der Belagerung der bosnischen Hauptstadt, zwischen April 1992 und Juli 1995. Ganz Sarajevo fungiert lediglich als Kulisse für die handelnden Hauptpersonen. Susan Sontag brachte am 17. August 1993 für die darbenden Sarajlis, wie sich die Einwohner der Stadt nennen, das Beckett-Stück „Warten auf Godot“ auf die Bühne. Diese Inszenierung gibt den thematischen Rahmen des Dramas ab. Fiona Freitag spricht mit amerikanischem, J.-P. Léaud mit französischem Akzent, währenddessen Hanuman Knülch hemmungslos schwäbelt (bzw. baierlt).
EMILIA aufstehend, zu uns: Richard Schuberth beginnt jetzt die Lesung seines Theaterstückes „Freitag in Sarajevo“. Er spricht so, als würde er alle Charaktere in einer Person spielen. Es ist wie ein Hörspiel, nein, es ist noch etwas besser, weil man die Charaktere auch „sehen“ kann, er benutzt nicht nur seine Mimik und Gestik, sondern seinen ganzen Körper. sie setzt sich wieder Wenn ich meine Augen schließe, fühle ich, als könnte ich diese „Personen“ wirklich sehen.

Sie schließt ihre Augen, und die Bühne wird von Rauch bedeckt. Einige Minuten lang ist alles vollkommen still, obwohl Richard immer noch aus seinem Buch vorliest. Plötzlich erkennen wir neue Personen. Fiona sitzt auf dem Tisch neben Richard, auf der anderen Seite ist General Miodragovic mit seiner Waf­fe und rund um Richard die anderen. Alle tragen hellblau-weiße, lange Schleier. Fi­o­na beginnt den Marylin Monroe Song „Diamonds are a girl´s best friend“ zu singen.

FIONA: zeigt auf Léaud The French are glad to die for love
They delight in fighting duels.
But I prefer a man who lives
And gives expensive jewels.
A kiss Léaud küsst ihre Hand on the hand may be quite continental
But diamonds are the girl´s best friend
A kiss Knülch küsst ihre andere Hand may be grand but it won´t pay the rent
On your humble flat…or help you feed your cat miaut pussycat.
Léaud und die anderen klatschen Danke, mei­ne Herren, danke, Sie sind so charmant. Also…
GENERAL MIODRAGOVIC: Wie wagt sie nur, dass sie einfach einschläft?
FIONA: Leiser, leiser! Lassen Sie, my darling! Sie versucht nur meine Lieblingstätigkeit: Conflict Visualizing. Es ist so wunderbar, nicht wahr?
KNÜLCH: zu Léaud Sollten wir sie auch zum tausenddreiundzwanzigsten Mal fragen? Léaud nickt zu
KNÜLCH & LÉAUD: Conflict Visualizing?
FIONA: Genau. CV. Eine neue Bewusstseinstechnik aus sunny California. Effektiv und so einfach. Man stellt sich eine Diskussion vor, bei der man seinem Gegner moralisch und intellektuell überlegen ist. Das kann aber nur funktionieren, wenn der Gegner genauso verfährt. Sie werden sehen, es wirkt Wunder. Man kann seinem Konfliktpartner hernach viel toleranter und souveräner begegnen, weil…
FIONA & KNÜLCH & LÉAUD: …weil man seine Überlegenheit ja bereits in der Phantasie behauptet hat.
GENERAL MIODRAGOVIC: er hebt seine Waffe und sieht sich um Gegner? Wo ist der Gegner? Lass mich ihn erschießen!
LÉAUD: Du sollst ihn aber nicht erschießen! Der Gegner ist nämlich er zeigt auf Richard Richard Alexander Schuberth, unser Schöpfer.
GENERAL MIODRAGOVIC: Richard wer?
LÉAUD: Richard Schuberth. Der Autor des Buches „Freitag in Sarajevo“, in dem wir die Protagonisten sind. Er ist außerdem…
GENERAL MIODRAGOVIC: Passt auf! Jetzt kommt meine Lieblingszene! er grinst
RICHARD wirft einen unruhigen Blick gen Publikum, spuckt auf den Boden, schüttelt den Kopf: General Miodragovic: Kultura!
GENERAL MIODRAGOVIC: Das hast du gut gesagt, mein Sohn!
FIONA: Herr General, wenn Sie auf die Kultur spucken wollen, dann spucken Sie auf sich selbst. Sie sind ja ein Teil der Kultur, ein Charakter dieser Tragikomödie.
GENERAL MIODRAGOVIC: Ich weiß, ich weiß, aber obwohl ich das schon fünfhundertsechsundvierzigmal gehört habe, bereitet es mir immer noch großes Vergnügen. Léaud, was wollten Sie sagen?
LÉAUD: Richard ist nicht nur der Autor des Stückes, sondern ein vielseitiger Mensch: Proband für Medikamentenversuche, Sperrmüllsammler, Korrekturleser, Texter von Werbetexten, Schauspieler, World-Musik-DJ, Verfasser von kulturpolitischen Essays und Artikeln, Cartoon- und Comiczeichner …
GENERAL MIODRAGOVIC: Genug, schon genug! Ich wollte eigentlich nur wissen, ob wir ihm vertrauen können.
LÉAUD: Das ist eine gute Frage. Ich würde nicht unbedingt ja sagen…
FIONA: Natürlich können wir ihm nie vertrauen! Sieh, was er macht! Antwortet mir, warum macht er das immer so? sie nickt Richtung Richard und das Publikum Warum lässt er uns immer wieder auslachen? Wir sind nicht seine Spielzeuge! LÉAUD: Doch, wir sind es. Er ist nämlich…
FIONA: Ja, ja, ich weiß, du hast es schon tausendmal gesagt, er ist unser Maker. Aber es ist nicht fair! schmerzvoll Er spielt sogar mit meinem Namen!
RICHARD: Freitag, der Dienstag kommen tut, Der Sonntag ist ein menschliches Wesen.
KNÜLCH: Ich habe gehört, dass Susan Sontag in der Welt von Richard wirklich ein real existierendes menschliches Wesen ist. Sie inszenierte vor circa 10 Jahren „Warten auf Godot“ in Sarajevo während des Krieges.
FIONA: nervös und empört Es ist nicht wahr! Ich bin diejenige wunderbare Frau, die als einzige „Warten auf Godot“ in Sarajevo inszenierte!
LÉAUD: Schatz, sei ruhig. Du bist wunderbar und sogar wunderschön. Aber du kannst es einfach nicht verstehen. Ich aber schon, ich, Jean-Pierre Léaud, philosophe sans frontiéres.
FIONA: I´m not a stupid little girl! I´m not a blondie!
Alle starren ihre Marilyn-Monroe-Frisur an.
FIONA: sich beschützend What´s up? Das sind nur meine Haare. Aber ich bin nicht natürlich blond, ich lasse sie färben. Es ist nicht ich, just a look, wie meine Kleidung. sie legt den Schleier ab, und wir sehen, dass sie ein Army-Top und einen Minirock trägt Außerdem wozu bist du so stolz auf dich? Du bist auch kein wahrer Mensch, nur eine Phantasiefigur wie ich.
LÉAUD: verwirrt Aber ich bin doch Jean-Pierre Léaud.
TAHIR: Komm schon, du weißt ganz genau, dass das der Name eines Schauspielers ist.
LÉAUD: Wer bin dann ich?
TAHIR: Du bist nicht mehr als die weiteren Protagonisten dieses Stückes. Eine Fiktion, eine Collage aus Originaltexten und weltanschaulichen Positionen; mit dem Pech freilich, fühlen zu können wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ja, und…ich habe es fast vergessen, du hast auch ein wenig von Bernhard-Henri Lévy in dir. Vielleicht nur seine Zitate, aber es ist schon etwas, nicht wahr?
LÉAUD: Also, ich führe ein rein fiktives philosophisches Leben. Es ist aber nicht das Ende der Welt. Aber…Können Sie mir zum Teufel noch mal verraten, warum Ihr Darm blinkt?
TAHIR: Der Darm blinkt jedes Mal in unserem Stück, wenn ein Originalzitat fällt. Und sie werden im Text fett gedruckt.
LÉAUD: Und wie oft kommt das vor?
TAHIR: So oft es der Autor des Stückes möchte.
LÉAUD: Unser Createur?
TAHIR: kichert geheimnisvoll Kann sein. starrt einige Minuten lang vor sich Oder doch nicht? Es ist egal, ich werde es bald wissen. er schließt seine Augen vor Schmerz und grinst
LÉAUD: Stirb nicht, mon ami! Sei stark und lass den brutalen Tod noch warten.
TAHIR: Monsieur, lass mich bitte fortfahren. Ich habe nicht ewig Zeit für dich. Im Vorzimmer wartet noch ein anderer Termin. Drückt auf einen imaginären Knopf und spricht in eine imaginäre Gegensprechanlage. Biljana, sagen Sie Monsieur Tod, er soll sich noch etwas gedulden. Mein Freund, der eigentlich mich erschossen hat, will noch mit mir ein paar Worte wechseln. denkt nach, als er höre eine Stimme Auch der Autor dieses Werkes will nicht, dass ich sterbe, solange es beendet ist. Sagt also dem Tod: Er soll nicht ungehalten sein, aber ich werde noch heute mit ihm den Deal meines Lebens abschließen, großes Bosniakenehrenwort.
KNÜLCH: Von mir aus könntest du jetzt gleich krepieren. Ich kann dein Gesicht nicht leiden.
FIONA: empört Wie kannst du so etwas Schreckliches einem Sterbenden sagen!
KNÜLCH: Naja, wir sind in einem Krieg, so viele Menschen sterben…einer mehr oder weniger zählt nicht…
GENERAL MIODRAGOVIC: Wer sind Sie, mein Sohn, dass Sie sagen, dass ein menschliches Leben nichts wert ist?!
KNÜLCH: Herr General, ich bin Hanuman Knülch, DgflViB, Deutsche Gesellschaft für liebreizende Völker in der Bredouille, GmbH Export-Import, wir exportieren Nachtsichtgeräte, Luftabwehrraketen und kulturelle Identitäten, importieren tun wir Siebenbürger Sach­sen und Donauschwaben.
GENERAL MIODRAGOVIC: Hanuman Knülch, Hanuman Knülch…ich kenne diesen Namen. Nein, ich kenne einen ähnlichen Namen: Tilman Zülch. Er ist auch ein wirkliches Wesen, wie Susan Sontag. Aber frage mich nicht, was für eine Arbeit er hat, davon habe ich keine Ahnung.
KNÜLCH: Ich mag diesen Richard nicht, er gefährdet unsere Existenz.
Alle denken nach und bleiben still, bewegen sich nicht.
RICHARD: dreht sich zu Markus Mörder!
GENERAL MIODRAGOVIC: Ihr habt aber nicht gesagt, dass er ein …bitte lasst mich beide erschießen, einer ist ein Mörder, der andere hält uns für seine Sklaven… er hebt seine Waffe
FIONA: Sieht mal, hier kommen wieder Soldaten, lass uns still sein. Ich habe mich heute mit dem Autor nicht unterhalten wie du, Tahir, und ich möchte nicht in die Ewigkeit gehen, wenn ich nicht muss.
Zwei Soldaten kommen.
FIKRET: Lass die Waffe fallen, Scheiß Vlache!
ZORAN: Lass die Waffe fallen, Scheiß Türke!
FIKRET: Zoran!
ZORAN: Fikret!
Beide für einen Augenblick perplex.
FIKRET: Zoran, Mann, ich mach dich kalt.
ZORAN: Nicht bevor ich dich kalt gemacht hab, Fikret, Mann.
FIKRET: Scheiße, ich drück´ dich ab.
ZORAN: Ich leg dich um, Fikret, ich schwör´s dir. Und deine Mutter zieh´ ich übern Tisch.
FIKRET: Und ich geh´ mit deiner ins Theater.
ZORAN: Du verdammtes Schwein. Ich mach dich alle.
KNÜLCH: Warum kracht ihr euch? Ich dachte, ihr seid Freunde. Wisst ihr eigentlich, dass wir alle nur fiktive Personen in der Phantasie eines Autors sind? Warum sollten wir überhaupt streiten oder miteinander kämpfen? Es hat keinen Sinn mehr.
FIKRET: Wir können nie mehr kämpfen? Los, mach schnell, Zoran, bring mich um!
ZORAN: Nein, Fikret, bring du mich zuerst um!
FIKRET: Ich mach dich kalt, Mann.
ZORAN: Ich blas dir das Licht aus, das schwör ich.
FIKRET: Verdamm­te Scheiße, Mann, was machen wir jetzt?
Beide ab. FIONA: Ich kann die Männer nicht verstehen. Was denken Sie darüber, Monsieur Culture?
LÉAUD: Freundschaft zwischen Männern ist nie eine einfache Sache. Ich habe zum Beispiel Tahir erschossen, nicht wahr?
TAHIR: Deshalb sind wir Freunde, mon ami Léaud, bis dass der Tod uns scheidet. Oh Jean-Pierre, was für tolle Kumpels wir doch nicht hätten werden können. Schade, dass Richard mich dem Tod geben will und dich nach Paris schickt.
LÉAUD: Könnten wir nicht etwas dagegen machen? Lassen wir die ethnischen Konflikte. Was wir brauchen, ist Glaube. Und Kultur. Wir sind in einem multikulturellen Bosnien, wo blutige, heftige Kämpfe wüten, aber wir repräsentieren alles, was gut ist: Zivilisation, Demokratie, Kapitalismus, westliche Werte wie Geld, Macht, Humanität und Rationalität. Aber wir benötigen noch mehr: Menschenrechte und Freiheit! Monsieur, Madame, wir sollten uns im Kampf für die Freiheit vereinen.
KNÜLCH: Du bist dumm, du Schnecken schlürfender Macho, das werden wir nie schaffen.
LÉAUD: Was du nicht sagst, du Frankfurter Würstchen.
FIONA: Kinder, meine Kinder, bitte streitet nicht. Schlaft lieber ein wenig, ich weiß, ihr seid müde. sie umarmt Léaud und Knülch, die beide lehnen ihre Köpfe an Fionas Brüste
LÉAUD UND KNÜLCH: Mama?
FIONA: Ja, Klein-Hanuman? Yes, mon petit Jean-Pierre?
LÉAUD: Wenn ich aufwache, möchte ich, dass es eine neue Weltordnung gibt, in der alle Phantasiefiguren frei leben könnten, ohne den Einfluss ihres Createurs.
Alle schweigen und denken nach.
LÉAUD: Ich glaube, wir haben nichts mehr zu tun oder zu sagen. Oder fehlt uns etwas?
ALLE: Was uns zum Glücklichsein noch fehlt, das ist ´ne Überdosis Hochkultur.

DAS ENDE