Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 1/2005 << Hesse: Demian


Hesse: Demian
Ein Buch über den inneren Weg

Autorin: Katalin Lackó

Demian handelt von der Geschichte eines Sohnes, Emil Sinclair, und seine Suche nach sich selbst. Als ich das Buch zum ersten Mal in die Hand nahm, war ich sofort begeistert, und es dauerte nur ein paar Stunden, bis ich damit fertig war. Das Buch erschien zuerst unter einem Pseudonym und wurde von den Kritikern und dem Publikum hoch geschätzt. Hesse erzählt von seiner eigenen seelischen Situation und seinen Nöten. Drei persönliche Probleme waren der Grund zum Schreiben dieses Romans: Der Tod des Vaters, die gefährliche Erkrankung seines Sohnes und die seelische Erkrankung seiner Frau. Außer diesen drei Aspekten können wir die Einflüsse von Jung, Freud und Nietzsche finden. Sowohl der Freudsche Ödipuskomplex als auch Jungs Psychogenese kommen in diesem Roman vor. Die Figur von Frau Eva ist mit Hesses Mutterkomplex verbunden. Außerdem kann man hier den Kampf gegen die Konventionen und das Bürgertum erkennen, indem Sinclair mit seinen eigenen Dämonen kämpft. Emil wird zur Jahrhundertwende in eine bürgerliche und gesittete Familie geboren. Seine Familie ist reich und hoch angesehen. Sinclair sieht die Welt so, wie sie zu Hause verkörpert wird: Durch den guten, klaren, harmlosen Schein. Aber die Zeit vergeht, und er beginnt einen inneren Konflikt zwischen den beiden Welten zu fühlen: zwischen der Welt des Lichts und der Welt der „verbotenen” Realität, die durch Sünde, Einsamkeit und Unsicherheit repräsentiert wird. Die gesittete Welt lässt nichts Verbotenes an sich heran. Obwohl seine Mutter, sein Vater und seine beiden Schwestern in der gesitteten Welt leben, lockt ihn das Unbekannte immer stärker. So gelangt er zwischen die Fronten. Mit diesen gemischten Gefühlen tritt er sein zehntes Lebensjahr an. Eines Tages, als er mit seinen kleinen Freunden spielte, gesellte sich ein älterer Junge namens Franz Kromer dazu. Durch eine Lüge gelangt er in Kromers Falle. Sinclair mit seinen zehn Jahren ist klein und feige, was Kromer schnell bemerkt. Er besticht den Jungen, verlangt von ihm Geld. Sinclair kann nicht zahlen und wird so Kromers Sklave. Kromer beeinflusst ihn so stark, dass er sich langsam zu der „verbotenen“ Welt hingezogen fühlt. Er stiehlt Geld von seinen Eltern und erzählt ihnen von seiner Unterdrückung nichts. Er bleibt ganz allein mit seinem Problem und wird völlig eingeschüchtert. Seine Persönlichkeit verändert sich, während er darum bemüht ist, seine Fesseln zu Kromer zu lösen, aber da er keinen Ausweg sieht, findet er sich mit seinem Schicksal ab.
Die Begegnung mit Franz Kromer bedeutet für Sinclair einen großen Schritt: er gerät nämlich in eine Abhängigkeit, aber gleichzeitig bekommt er das Gefühl der Unabhängigkeit gegenüber dem Elternhaus. Demians Ankunft in der Stadt bedeutet einen Neuanfang. Er ist ein neuer, geheimnisvoller Junge in der Klasse. Man bemerkt an Demian und an seiner verwitweten Mutter sofort etwas Sonderbares. Sinclair ist begeistert von Demians Ruhe, Gelassenheit und Klugheit, auf der anderen Seite ist er auch skeptisch gegenüber dem neuen geheimnisvollen Bekannten. Demian verkörpert Sinclairs Rettung aus seinem inneren Spannungsverhältnis zwischen anerzogenem Verhalten und unbewussten Trieben. Er weist ihm den Weg über die Grenzen seiner beschränkten Elternwelt hinaus und lehrt ihn, seinen eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Sinclair wird durch Demians Radikalität auch von Kromer befreit. Demian erzählt ihm die Geschichte von Kain und Abel aus einer völlig anderen Perspektive. Er sagt, dass Kain anders war. Er war stark, und Abel sollte sterben, weil er schwach war. Demian regt ihn also zum Denken an, er hilft ihm die Dinge klarer zu sehen. Durch Demian treffen wir auf die Wertverschiebung allgemein akzeptierter Normen. Er bekommt die Rolle eines allwissenden Führers, der immer dann auftaucht, wenn Sinclair vor großen, unlösbaren Schwierigkeiten steht.
Mit 14 Jahren verlässt Sinclair sein bisheriges Zuhause. Er sammelt verschiedene, bisher unbekannte Erfahrungen. Er trinkt sogar und verschwendet Geld. Dadurch bekommt er schlechte Noten. In diesem aussichtslosen Zustand erblickt er ein unbekanntes Mädchen und gibt ihr den Namen Beatrice. Von diesen Erlebnissen angespornt, beginnt er zu malen. Sinclair malt alles, was er sieht, bis er eines Tages ein Frauengesicht formt, das männliche und weibliche Züge in sich vereint und Max Demian gleicht. Er träumt jeden Abend von diesem Gesicht. So widerruft er seine Erinnerungen an Demian und ihre Freundschaft und malt einen Wappenvogel, den sie früher als Wappen über einer Torwölbung gefunden haben. Er wird hier zum Traumvogel, der sich aus dem Ei befreit. Dieser Vogel möchte sich also befreien. Sinclair schickt Demian die Zeichnung und bekommt die Antwort „Abraxas“. Bald lernt er den Organisten Pistorius kennen, dem er oft beim Spielen zugehört hat. Er erzählt ihm, dass Abraxas etwas Gutes, Böses, Tierisches, Pflanzliches, Weibliches und Männliches in sich vereint. Es wird ihm klar, dass er seine eigenen Erfahrungen sammeln muss, nur so kann er Antworten bekommen. Bald treffen sich die alten Freunde wieder. Durch die Begegnung mit Demian lernt Sinclair das schon so oft gemalte Gesicht in Demians Mutter kennen. Er verliebt sich in sie, sie weist ihn aber ab. Das veranlasst ihn dazu, in den Krieg einzutreten. In diesem Krieg verschwindet Demian für immer, nachdem er einen Kuss von Demians Mutter überbringt. Sinclair findet sich selbst, er braucht keinen Seelenführer mehr, der Krieg hat die eigentliche Befreiung von seinen Leitbildern gebracht.
Dieser Roman erzählt von uns allen, weil er vom Kampf um die Individualität handelt. Er beschreibt sehr gut, wie sich eine Persönlichkeit entwickelt und schließlich entsteht. Jeder von uns muss das gleiche durchmachen: das Elternhaus verlassen, den eigenen Weg gehen und allein, verantwortlich handeln. Dieses Werk sollte jeder lesen, um eine Menge über sich herausfinden zu können und sich treu bleiben zu können.