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Zeitung << 2/2005 << Ihr welle also besser Elsässisch lehre?


Ihr welle also besser Elsässisch lehre?
Die deutsche Sprache im östlichen Teil Frankreichs

Autor: András Mucsi

„Ihr wollt also Elsässisch lernen?” – diese Frage wird im Elsass immer seltener gestellt, denn heute sprechen wenige Menschen Elsässisch. Die Situation ist sehr schwer, die jüngere Generation beherrscht die Sprache der Ahnen kaum noch, die Jugendlichen unterhalten sich auf französisch. Im letzten Sommer verbrachte ich anderthalb Wochen im französischen Schlettstadt/Selestat, einer Stadt südlich von Straßburg, wo ich mich mit der Frage Mundart und kulturelle Vielfalt auseinandersetzen konnte und einige Bücher im örtlichen Dialekt anschaffte.

Die Landschaft kommt denen ganz bekannt und freundlich vor, die Deutschland oder die Schweiz kennen. Die alten Städte und Dörfer mit ihren mittelalterlichen Kirchen und Fachwerkhäusern aus alten Zeiten machen auf einen den Eindruck, als wäre man auf deutschem Gebiet. Das ist so falsch nicht: diese östliche Provinz Frankreichs ist eine Region mit deutlichen Spuren der deutschen Vergangenheit. Heute hört man auf der Straße Leute in einer ganz merkwürdigen Sprache plaudern, die weder Französisch noch Hochdeutsch ist. Elsässisch ist im Grunde genommen ein alemannischer Dialekt, ist also mit der Sprache der Schweizer und der Badener in Deutschland eng verwandt. Sie können sich gegenseitig gut verstehen. Sie enthält aber heute schon viele Ausdrücke aus dem Französischen. Im Elsass spricht man Niederalemannisch. Im Süden, also im Sundgau ist Hochalemannisch beheimatet. Die Einwohner des Gebietes betrachten sich heute als Franzosen, höchstens als Elsässer, aber keinesfalls als Deutsche. Die Sprache ist auch Alsacien, d.h. Elsässisch, nicht Deutsch.
Die germanisch-deutsche Geschichte dieser Region begann im 4.Jahrhundert, damals wurde das Gebiet germanisiert. Im Zentrum der Region, Straßburg, wurde 843 der Friedensvertrag zwischen Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen geschlossen, ihr Eidtext wurde in altfranzösischer und althochdeutscher Sprache verfasst. Das Elsass gehörte mehr als 1000 Jahre zum deutschen Sprachraum. Durch den Westfälischen Frieden (1648) wurde das Gebiet Teil des Französischen Königreiches. Ludwig XIV. wollte das Gesicht der Region durch Assimilationspolitik nicht verändern, so blieb das Elsässische Anfang des 19. Jh. die dominierende Sprache. Die Französische Revolution, die Freiheit und Menschenrechte verkündete, nahm weniger Rücksicht auf die Rechte und Freiheiten der Minderheiten: Die Regierung wollte ihr Land durch die Schaffung einer französischen Einheitssprache vereinheitlichen. So war im Elsass die erste Hälfte des 19. Jh. die Zeit der Assimilierung. Französische Sprache und Lebensart wurden feste Bestandteile der elsässischen Identität, obwohl die Bevölkerung auf dem Lande weiterhin ihre Mundart weitersprach. 1871 wurde das Elsass Teil des Deutschen Kaiserreiches. Deutsch wurde als Amtssprache eingeführt, obwohl in einigen französischen Dörfern im Vogesen und Lothringen die örtliche Sprache als Verwaltungssprache im Gebrauch blieb. Wirtschaft und Kultur erlebten eine Blütezeit. In dieser Zeit wurde als Sohn eines reformierten Pfarrers in Kaysersberg der weltberühmte Theologe, Organist, Philosoph und „Arzt des Regenwaldes” Albert Schweizer (1875-1965) geboren, der in Straßburg studierte. Das Jahr 1919 bedeutet einen neuen Bruch in der Geschichte der Region: Das Elsass wurde wieder an Frankreich angeschlossen. Die Regierung betrieb weiterhin die intolerante Sprach- und Kulturpolitik, die Autonomiebewegung konnte nichts erreichen. Französisch war die einzig erlaubte Amtssprache dort, wo 90% der Einwohner den deutschen Dialekt sprachen. 1940-44 gehörte es erneut zum Deutschen Reich, die Haltung der Nazis erschütterte die Elsässer schwer, so wagte es niemand, die offizielle Sprachpolitik nach 1945 in Frage zu stellen.
Deutsch wurde nach der „Liberation” als Sprache des Feindes aus Schulen vertrieben, die Mundart wurde als „bäuerlich” gering geschätzt. Man redete den Menschen ein, Französisch zu sprechen sei modisch, das Elsässische habe keine Zukunft mehr. Die Ortsnamen wurden verändert, die Siedlungen bekamen einen neuen, französisch klingenden Namen (Schlettstadt – Selestat), sie wurden in die Variante im Dialekt umbenannt (Bischweiler – Bischwiller), die Endungen –ingen und –dorf wurden auf –ange und –troff verändert. 1968 bedeutete einen Wendepunkt: immer mehr Menschen unternahmen es, im Dialekt zu schreiben. Theaterstücke wurden aufgeführt, Gedichte, Bücher veröffentlicht, elsässische Grammatikbücher und Wörterbücher verfasst und publiziert, kulturelle Veranstaltungen organisiert. 1972 wurde Deutsch als Fremdsprache an den Schulen wieder eingeführt. Schließlich wurden Ende der 80er Jahre die ersten zweisprachigen Schulen gegründet.
Oft wird die Rolle der Kirche vergessen. Die katholische und reformierte Kirchen sind französischsprachig, die evangelisch-lutherische Kirche ist jedoch zwei- oder dreisprachig und konnte die deutsche Identität stärker bewahren. Ein wesentlicher Teil der Pfar­rer predigte und pre­digt auch heute teilweise auf deutsch, es gibt deutsche Gesangsbücher, Bibeln, kleinere Publikationen, die kirchlichen Zei­tungen enthalten auch einige deutsche Sei­ten. Im Rahmen des Konfirmanden­un­terrichts wird der Katechismus Luthers vielen Ju­gend­lichen deutsch beigebracht. Die Anzahl der Deutschsprechenden nimmt ab, so werden deutsche Gottesdienste an mehreren Orten eingestellt. Das kirchliche Leben bietet jedenfalls den Deutsch- und Dialektsprechenden einen Raum.
Die Sprachgrenze lief vor 50 Jahren am Vogesenkamm, westlich von diesem sprach man Französisch, östlich Deutsch. Heute ist es schon wesentlich anders. 40-50 % der Bevölkerung sprechen die Sprache der Vorfahren, Dialekt wird im familiären Bereich verwendet, vor allem die ältere Generation beherrscht das Elsässische. Die Großeltern sprechen untereinander deutsch, mit den Eltern deutsch, die Eltern miteinander deutsch und französisch, genau so wie die Enkelkinder mit den Großeltern. Die jüngeren, also die Eltern und Kinder unterhalten sich in der Landessprache, die Mehrheit versteht auch Elsässisch, jedoch sprechen nur 5% der Schulanfänger die Mundart. Nur ein Drittel der Eltern sind bereit, mit ihren Kindern in der Mundart zu sprechen, die Hälfte der Schüler versteht sie. Etliche behaupten, Elsässisch sei „museumsreif”, die Pfleger der Sprache wollen den Kampf aber nicht aufgeben.
Die Bewegung „E Friehjohr fer unseri Sproch” (Ein Frühling für unsere Sprache) strebt bewusst an, den Dialekt zu bewahren. Diesem Zweck dienen die wissenschaftlich verfassten Grammatiken, Wörterbücher, Veranstaltungen. Erwähnenswert sind zwei Bücher, beide mit französischer Erklärungssprache. Die „Précis practique de grammaire Alsacienne” von Alphonse Jenny und Doris Richert (erschienen 1984) beschreibt auf 100 Seiten ausführlich die Grammatik der Mundart, bringt jedoch wenige Belege. Das andere Werk von Raumond Matzen und León Dual „Wie geht’s? – Le dialecte á la portée de tous” (2003) gibt nur eine kürzere Darstellung des Elsässischen im Umfang von 40 Seiten, enthält aber eine große Anzahl von Dialogen, Situationen und eine Vokabularliste im Dialekt.
Die EU unterstützt die Erhaltung und Pflege von kleinen Sprachen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt Europas sollte bewahrt werden, so würde praktisch die Möglichkeit bestehen, dass das Elsässische weiterlebt. Die Zukunftsaussichten sind nicht allzu gut: nur 20% der heutigen Jugendlichen werden fähig sein, das Elsässische an ihre Kinder weiterzuvererben, die anderen verstehen es nur und sprechen es nicht. Die Grundlagen für die Überlieferung sind in den Dörfern und vor allem im Norden besser als in den Städten und im Süden. Elsässisch wird weiterhin nicht nur gesprochen, sondern auch geschrieben, zur Erhaltung ist die Literatur lebenswichtig. So ist es möglich, dass das Elsässische sich in eine Richtung wie das Luxemburgische entwickelt und sich auch in der Zukunft behaupten kann.