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Zeitung << 2/2005 << Interview mit Dr. Katalin Petneki


Das neue Abitur in Ungarn
Interview mit Dr. Katalin Petneki, Mitglied der ungarischen Abitur-Arbeitskommission in Deutsch

Autorin: Mariann Lovas

Im Bildungswesen nahmen in den neun­ziger Jahren Reformbestrebungen in zahl­reichen Ländern Europas ihren An­fang. Der alles bewegende Prozess begann mit einer Erklärung, die an der Pariser Sorbonne 1998 von vier Staaten unterzeichnet wurde. Darin verpflichteten sich die Unterzeichner-Staaten, das europäische Hochschulsystem zu harmonisieren. Im folgenden Jahr entschieden sich in Bologna zusammen mit Ungarn weitere 29 europäische Staaten für den Beitritt zum Bologna-Prozess. Das Ziel – die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulsystems –, das nach der Erklärung bis spätestens 2010 verwirklicht werden soll, ist mit der Einführung eines Hochschulsystems, in dem die Abschlüsse leicht verständlich und vergleichbar sind, durchzusetzen. Das bisherige einstufige Studiensystem wird durch dreistufige Studiensysteme abgelöst. Zur gleichen Zeit gab es auch im Abitursystem in Ungarn tief greifende Änderungen vor. Damit wir über die Entwicklung des neuen Abiturs mehr er­fahren, hat GeMa mit Frau Dr. Katalin Petneki, Mitglied der Abitur-Arbeitskommission in Deutsch, gesprochen.

Sie sind Mitglied der Abitur-Arbeitskommission. Wann ist diese Kommission zustande gekommen? Seit wann arbeiten Sie daran, dass die Absolventen im Jahre 2005 ihre Abschlussprüfung nach dem neuen System ablegen konnten?
Diese Arbeit ist schon über neun Jahre im Gange. 1996 wurde diese Arbeitskommission ins Leben gerufen und seitdem arbeitet dieses Team an der Abiturreform am Landesinstitut für Unterrichtswesen in Budapest.

Wie haben Sie sich an die Arbeit herangemacht? Was waren die wichtigsten Phasen der Prüfungsentwicklung?
Wie gesagt, es hat sehr lange gedauert. Vielleicht versteht man nicht sofort, warum das so viel Zeit in Anspruch genommen hat. Zuerst musste ein Prüfungsmodell erarbeitet werden. Wir haben verschiedene internationale Prüfungen, Abitursysteme in verschiedenen Ländern studiert und anhand dieser Erfahrungen, sowie anhand davon, wie sich die Sprachpädagogik und Sprachdidaktik entwickelt haben, was der kommunikative Unterricht verlangt, wurde das erste Prüfungsmodell erarbeitet. Während dieser Zeit wurde eigentlich das Gesetz zur Abiturreform verabschiedet. Dieses Gesetz heißt 100/1997. Das erste Prüfungsmodell war ein Jahr später 1998 fertig. Dann hat diese Kommission die erste Erprobungsphase mit Modellaufgaben entwickelt. 1998 wurde die erste Erprobung durchgeführt. Anhand der Erfahrungen wurde dann das Prüfungsmodell modifiziert. Inzwischen kam aber eine neue Regierung. Bei jedem Regierungswechsel wurde das Gesetz verändert. Inzwischen wurde dieses Gesetz 32 Mal verändert. So musste auch das ganze Modell immer wieder neu modifiziert werden. Das Prüfungsmodell bzw. die Prüfungsbeschreibung mit detaillierten Anforderungen ist 2003 erschienen. Diese Angaben sind alle im Internet auf der Homepage des Bildungsministeriums (www.om.hu) zu finden.

Was gehört zu Ihrem eigenen Aufgabenbereich?
Am Anfang hat unser fünfköpfiges Team eigentlich als Mädchen für alles gearbeitet, wir haben alle Bereiche gleichwertig betreut und ausgearbeitet. Aber in der letzten Zeit habe ich schon einen Prüfungsteil allein betreut, das war Grammatik und Wortschatz. Früher habe ich auch teilweise beim Hörverstehen mitgearbeitet, aber das mache ich heute nicht mehr. Andere Kolleginnen betreuen jeweils das Leseverstehen, die Schreibfertigkeit und Sprechfertigkeit.

Wahrscheinlich konnte nicht alles ohne Hindernisse ablaufen. Mit welchen Schwierigkeiten wurden Sie im Verlauf der Entwicklung konfrontiert?
Die größte Schwierigkeit war natürlich, dass die Vorgaben des Ministeriums oft modifiziert wurden und danach das ganze Modell und die Modellaufgaben immer wieder überarbeitet werden mussten. Anfangs hatten wir auch noch den Widerstand der Lehrkräfte gespürt, aber als wir dann mit den Fortbildungen begonnen haben, konnten wir die Deutschlehrer in Ungarn davon überzeugen, dass das neue Modell doch eine positive Rückwirkung auf den Unterricht haben wird.

Das Abitur in Deutsch als Fremdsprache besteht aus fünf Teilen, nämlich aus Leseverstehen, Grammatik und Wortschatz, Hörverstehen, Schriftlicher Ausdruck und Sprechfertigkeit. In welchem Geist wurde die Prüfung erarbeitet? Was war das hauptsächliche Anliegen bei der Aufgabenentwicklung?
Das Anliegen war seitens des Bildungsministeriums, dass das Abitur das messen soll, was in der Schule unterrichtet wird. So mussten bei der Entwicklung des Abiturkonzepts der Nationale Grundlehrplan und der Rahmenlehrplan sehr gründlich berücksichtigt werden. Selbstverständlich wurde bei Fremdsprachen auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen berücksichtigt, sowie „Profile Deutsch” als Arbeitsinstrument dabei auch verwendet. Das ist ein Material, wo man nachschlagen kann, welche Ausdrücke, Strukturen auf welchem Schwierigkeitsgrad liegen. Unser Anliegen war noch, den kommunikativen Unterricht zu fördern. Dass heißt: diese neue Prüfung versucht, kommunikative Aufgaben zu geben, sprachliche Leistungen in kommunikativen Situationen zu messen. Authentische Texte spielen dabei eine wichtige Rolle.

Was charakterisiert das neue Abitur?
Das neue Abitur ist standardisiert. Es ist ein Messinstrument, mit dem die Leistungen schulunabhängig – also egal wo man diese Prüfung ablegt – nach dem gleichen Standard gemessen werden. Dabei hilft die zentrale Bewertungsanleitung. Es ist zweistufig. Es gibt einmal die sogenannte Mittelstufe, die die Mittelschule abschließt, und es gibt die Oberstufe, die als Einstiegstest für das Hochschulstudium gilt. Bei Fremdsprachen ist diese Oberstufe als Bedingung zur Aufnahme an eine Uni oder Hochschule anzusehen. Bei den Fremdsprachen gibt es noch ein weiteres Merkmal, sie sind einsprachig. Man hätte auch natürlich anders entscheiden können, aber in der Europäischen Union werden nur solche Sprachprüfungen anerkannt, die einsprachig sind. Wenn also Schüler dieses einsprachige Prüfungsmodell kennen lernen, können sie vielleicht später in Zielsprachenländern auch so eine Prüfung leichter ablegen.

Sind Sie mit der Entwicklung fertig oder gibt es noch etwas, das verändert werden muss?
Man kann damit einfach nicht fertig sein. Wir haben die erste echte Probe hinter uns. Die ersten Angaben bekommt das Landesinstitut für Unterrichtswesen erst jetzt. Jetzt werden diese Angaben ausgewertet und anhand dieser Auswertung werden dann die weiteren Aufgaben verbessert. Einerseits können wir feststellen: wir können zufrieden sein, denn im Deutschen gab es bei dieser ersten Prüfung überhaupt keine Beschwerden. Im Vergleich zu Englisch, dort gab es über hundert Beschwerden. Offenbar war das Modell doch gründlich erarbeitet. Auch die Bewertungsanleitung, mit der die Lehrer die Aufgaben korrigiert haben, funktionierte gut. Aber an dieser Bewertungsanleitung müssen wir auch weiterarbeiten. Weiterentwicklung bedeutet, dass wir dafür sorgen müssen, möglichst viele erprobte Aufgaben für das Prüfungsinstitut vorzubereiten.

Worauf lässt sich aus den bisherigen Prüfungsergebnissen folgern?
Die Probeprüfungen im Jahre 2003 und 2004 haben gezeigt, dass die Hörverstehensaufgaben sehr leicht waren, aber es gab sehr große Probleme mit der Schreibfertigkeit. Es stellte sich heraus, dass die Schüler diese Fertigkeit zu wenig üben.

Kann man schon wissen, wie die erste echte Prüfung gelungen ist?
Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Prüfungen im Mai 2005 gut gelungen sind, die Testaufgaben der Oberstufe waren sogar zu leicht. Es war also unberechtigt, so viel Angst vor der Oberstufe zu haben.

Es wurden neue Lehrmaterialien in den Fächern Englisch und Deutsch speziell für das neue Abitur erarbeitet. Wie beurteilen Sie diese?
Es gibt Verlage, die jetzt solche Trainingsbücher, Übungsbücher herausgeben. Da muss man natürlich ein bisschen aufpassen, da ein Verlag alle möglichen Bücher herausgeben kann und nicht an das Prüfungsgesetz gebunden ist. Es ist schon vorgekommen, dass ich in diesen Büchern solche Aufgaben gefunden habe, die den Prüfungsanforderungen nicht entsprechen.

Was empfehlen Sie den Abiturienten? Worauf würden Sie sie aufmerksam machen?
Was ich eigentlich Schülern bzw. Lehrern in dieser Hinsicht rate, sie sollen kommunikativen Unterricht machen, Lehrmaterialien verwenden, in denen vielfältige Übungen vorkommen, denn im Abitur werden authentische Texte verwendet und es gibt eine Übungsvielfalt, das heißt es geht nicht nach einem Schema, sondern es wird in unterschiedlicher Form gemessen. Wenn die Lehrer vielfältige Lehrmaterialen verwenden, können sie die Schüler auf das neue Abitur gut vorbereiten.