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Zeitung << 1/2006 << Das beliebteste Seminar aller Zeiten: „Schweigeübung“


Das beliebteste Seminar aller Zeiten: „Schweigeübung“
Aktivität und Passivität der Germanistikstudenten

Autorin: Emma Sajben

„Und was denkt ihr darüber?” – fragt endlich der Dozent nach seinem langen Monolog. Aber seine neugierigen Augen sehen gar nicht das, was er wirklich will. Die Studenten fallen einander nicht ins Wort, um ihre Meinung fieberhaft den anderen mitzuteilen. Was aber typischer ist: verstummt starren sie ihre Hefte an (es ist auch fraglich, ob sie überhaupt die relevanten Seiten anstarren) oder sie bemühen sich, ein Loch mit einem scharfen Blick in die Wand zu bohren. Können sie die Antwort wirklich nicht in Worte fassen oder interessieren sie sich einfach nicht für das Thema? Ist das Wetter zu schlecht, als dass man einen korrekten, sinnvollen Satz formulieren könnte?
Ich habe im Februar 2006 eine kleine Meinungsforschung unter den Germanistikstudenten der Universität Szeged über ihre Aktivität während des Unterrichts durchgeführt. Leider ist sie nicht repräsentativ, denn von den 160 Befragten haben nur 40 Personen die Fragebogen ausgefüllt und mir zurückgeschickt. Obwohl wir daraus schon einige Konsequenzen ziehen könnten, schlage ich vor, uns in das Thema ein bisschen mehr zu vertiefen.
Von den 40 Germanistik-Studenten sind 13 im ersten Studienjahr und 27 im zweiten und dritten. 30 % der Interviewten sind Männer. In dem „Test“ versuchte ich zu enträtseln, wie die Studenten ihre Arbeit in den Seminaren bewerten, womit sie ihre eventuelle Passivität begründen können, womit sie sich gerne im Rahmen der Sprachübungen beschäftigen würden und schließlich, was sich positiv und negativ auf ihre Teilnahme auswirkt.
In welchen Seminaren sind die Studenten am aktivsten? Was schon auf den ersten Blick auffällt:

Die Mehrheit der Studierenden im 1. Studienjahr (etwa 90%) ist angeblich im Phonetik-Seminar am fleißigsten.

Es folgen: Sprachübung (70%), Einführung in die Literaturwissenschaft (60%), Einführung in die Linguistik, Grammatik (40%) und schließlich Schriftlicher Ausdruck/Wörterbuchbenutzung (10%). Die Ergebnisse der höheren Semester können in der Tabelle betrachtet werden. Diese Prozentangaben zeigen, wie viele Studenten sich als aktiv in den bestimmten Lehrveranstaltungen bezeichnen.
Was sind die Gründe für diese großen Unterschiede? Was motiviert die Studenten? Welche Maßnahmen können zur aktiven Mitarbeit der Seminarteilnehmer beitragen?

Ich habe Angst, dass ich fehlerhaft Deutsch spreche“ – begründen 50% der befragten Germanisten im ersten Studienjahr ihre Bescheidenheit im Unterricht.“

„Ich möchte auch nicht etwas Falsches sagen“ – setzen sie fort. Was überrascht, ist die Tatsache, dass die Angst vor Fehlern auch für ein Drittel der schon im vierten oder sechsten Semester befindlichen Studenten ein bestehendes Problem ist.
Die Reaktion des Seminarleiters auf die Sprachvergehen ist entscheidend dabei, ob die Studenten ihre Meinungen sich zu äußern wagen und ob sie in den Kursen kooperativ sind oder nicht. Es hat sich ganz eindeutig herausgestellt:

Die Person und die Persönlichkeit der Lehrenden gehören zu den wichtigsten Faktoren, die die Aktivität der Studenten ohne Zweifel beeinflussen.

Laut der Umfrage wählen 30% der Befragten eher die Kurse von ungarischen Dozenten, vermutlich weil die Benutzung ungarischer Wörter beim Verstehen von komplizierten grammatischen, linguistischen Prozessen oft helfen kann. Das andere Drittel argumentiert für die Seminare der deutschsprachigen Lektoren – besonders bei Sprachübungen – damit, dass sie sich nicht so strikt wie ihre ungarischen Kollegen auf die grammatischen Fehler konzentrieren. Sie ermutigen die Studenten nämlich mehr ohne Angst Deutsch zu sprechen. Was die Art und Weise der Fragestellungen betrifft, teilen sich die Meinungen. Wahrscheinlich aus Mangel an Antworten hat sich kein eindeutiges Bild darüber zusammengesetzt, ob von den Germanisten die direkten (z.B.: Wer ist XY?) oder die allgemeinen Fragen (z.B.: Was denkst du von XY?) bevorzugt werden. Herausgestellt hat sich trotzdem:

Für den Erfolg eines Seminars ist es unentbehrlich, dass der Dozent die Fragen klar und deutlich formuliert.

Welche Eigenschaften eines Pädagogen haben den größten Einfluss auf die Aktivität der Germanistikstudenten? Der Umfrage entsprechend, zählen Alter und Geschlecht fast nicht. Doch ist es bemerkenswert, dass 20% der befragten Frauen in den Lehrveranstaltungen von Dozentinnen viel interaktiver und tapferer sind. Das Fachwissen von Dozenten ist schon ein bedeutender Faktor, aber ihr guter Sinn für Humor und ihre Aufgeschlossenheit wird unter den interviewten Studenten vielmehr ausgezeichnet. Ich möchte hier die Äußerung einer Studentin zitieren: „Es können nicht alle Fragen mit Zahlen beantwortet werden. Meine Tätigkeit in den Seminaren hängt vor allem von dem Thema ab, aber die Partner sind auch sehr wichtig, und jetzt denke ich nicht nur an die Seminarleiter, sondern auch an die Teilnehmer.“
Was die Vorstellungen von dem Inhalt der Sprachübungen betrifft, ist für das Interesse der Germanisten eine große Vielfalt charakteristisch. Für besonders fesselnde Themen werden Filme, Kino, Theater, die Jugendlichen betreffenden Fragen und Aktualitäten gehalten, daneben wurden Medien, Bildende Kunst, Literatur, sogar Sport und Musik als zu diskutierende Stoffe vorgeschlagen. Leider führen diese Antworten zu keinem eindeutigen Ergebnis. Was dagegen als Konsequenz gezogen werden kann, ist, dass hier ein Problem besteht. Obwohl die Studenten am meisten ihre Mitarbeit von den Dozenten abhängig machen, möchte ich sie selbst in den Mittelpunkt stellen. Meines Erachtens sind die Studenten genauso dafür verantwortlich, ob die Seminare in einem guten Tempo erfolgreich ablaufen und ihre Ziele erreichen.
„Wenn man zwei Stunden lang mit einem netten Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.“ (Albert Einstein). Etwas Ähnliches fühlt man oft in langweiligen Seminaren. Man kann einen schlechten Tag haben, das Wetter mag auch regnerisch sein und es ist immer bequemer, wenn die anderen anstelle von uns die Fragen beantworten. Wenn immer alle so denken würden, wären die Seminare wirklich Schweigeübungen, und die Germanisten würden am Ende ihres Studiums ein Diplom für die ausgezeichneten Schweigkenntnisse im Deutschen bekommen. Deshalb hoffe ich auf eine bessere Kooperation sowohl zwischen Dozenten und Studenten als auch unter den Studenten selbst.