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Zeitung << 1/2006 << Schulgrammatik auf den Kopf gestellt


Schulgrammatik auf den Kopf gestellt
Syntax-Vorlesung von Dr. Mathilde Hennig und Prof. Dr. Vilmos Ágel

Autorin: Emma Sajben

Im Sommersemester 2005/2006 mangelte es nicht an Gastprofessoren. Nicht nur die Besucher der Ringvorlesung, sondern auch die der Syntax-Vorlesung hatten das Vergnügen, sich die Vorträge von bekannten ausländischen Professorinnen und Professoren anzuhören. Die Namen der Gast-Linguisten sind wahrscheinlich vielen Germanistik-Studenten in Szeged nicht unbekannt, weil Frau Dr. Mathilde Hennig und Herr Prof. Dr. Vilmos Ágel einst als aktive Mitarbeiter an der Universität Szeged tätig waren. Die deutsche Lektorin und der Professor für Linguistik setzten ihre Karriere im September 2004 in Kassel fort. Nun kamen sie kurz zurück, um im Rahmen einer Vorlesung die Syntax aus einer neuen Perspektive zu präsentieren.
Die Syntax-Vorlesung wurde in zwei Blöcken veranstaltet, der erste Anfang März, der zweite im April 2006. Es gilt als eine Besonderheit, dass die Vorlesung von sogenannten Tutorien begleitet wurde (siehe entsprechender Begleitartikel). Über die Teilnehmerzahl konnte man sich nicht beschweren, weil die Studenten sehr zahlreich gekommen waren. Lobenswert ist ebenfalls, dass trotz des Uni-Sporttags, der ein unterrichtsfreier Tag ist, der Raum fast voll von Interessenten war.
Die Vorlesungsreihe wurde von Herrn Ágel im März begonnen. Von der Definition der Grammatik, durch die Bestimmung von traditionellen Grundbegriffen der Syntax sind wir zur Bildung von Regeln gelangt. Während der systematisch aufgebauten Vorträge haben wir solche Problembereiche berührt, die wir früher nicht für problematisch gehalten haben. Die traditionelle oder anders genannt Schulgrammatik, die wir in der Grundschule und im Gymnasium büffeln mussten, scheint an bestimmten Stellen nicht so eindeutig zu sein. Zum Beispiel auf die Frage, ob die reflexiven Verben ein Passiv bilden können, antwortet man automatisch mit ‚Nein’. Die Studenten aber, die die Argumente von Herrn Ágel gehört haben, würden schon mit ‚Ja, in manchen Fällen’ antworten. Die intransitiven reflexiven Verben, wie z.B. ‚sich waschen’ gehören zu diesen besonderen Fällen. Wenn wir die Sätze a) Er wäscht sich. und b) Er beobachtet sich. miteinander vergleichen, können wir sehen, dass im Fall a) das Wort sich ebenso ein Objekt des Satzes ist wie im Fall b). So kann man die folgende Passivkonstruktion für richtig halten: Hier wird sich gewaschen. Das Objekt des Aktivsatzes wird zum Subjekt des Passivsatzes. Professor Ágels Vorlesung war auch den zukünftigen Deutschlehrern eine Hilfe, weil er eine Palette an Kriteriumsvorschlägen angeboten hat, mit denen man die verschiedenen Grammatikbücher gezielt bewerten kann.
Die kritische Denkweise war auch für die Vorträge von Frau Hennig typisch. Sie nahm die traditionelle Satzdefinition unter die Lupe und verglich sie mit der Sprachwirklichkeit. Natürlich war nicht alles damit vereinbar, was uns in den Schulbänken beigebracht wurde. Zum Beispiel ist ein traditionelles Kriterium für den Satz, dass er ein finites Verb beinhaltet. In folgendem Beispiel können wir bemerken, dass die Situation in der Praxis manchmal davon abweicht: Das Mädchen hat die Puppe gekämmt und bekleidet. In dem ersten Teil Das Mädchen hat die Puppe gekämmt ist es eindeutig, dass es um einen Satz geht, aber der zweite Teil bekleidet, der gar kein finites Verb (und außerdem kein Subjekt und Objekt) beinhaltet, widerspricht der Definition. Nach mehreren zusammengesetzten Beispielen sind wir zu der Konsequenz gekommen, dass die sprachliche Wirklichkeit nicht nur aus Sätzen, sondern auch aus Nicht-Sätzen besteht. Doch haben diese Nicht-Sätze Bedeutung, und es gibt oft Relationen zwischen den Bestandteilen, was uns folgern lässt, dass sie analysiert werden können. Für diese Analyse bietet aber die Schulgrammatik keine Alternativen an. So kommt man zu der Schlussfolgerung, dass die Grenzen und der Gegenstand der Syntax erweitert werden sollten.
Sowohl Frau Hennig als auch Herr Ágel haben sehr interessante und fesselnde Vorlesungen gehalten und unser Wissen nicht nur im Bereich der Syntax erweitert. Den Teilnehmern wurde bewiesen, dass das kritische Verhalten auch im Fall von klassischen Regeln oft nützlich sein kann. Natürlich geht es hier nicht darum, dass die guten alten Regeln völlig falsch sind, aber man sollte nicht alles für bare Münze halten.


Neuheit in Szeged – Routine in Kassel
Jenny Schönrock erzählt von dem Tutoriensystem

Das Tutorium, das an der Universität Szeged noch in den Kinderschuhen steckt, funktioniert in Kassel ganz reibungslos. Deshalb haben wir Jenny Schönrock, die Tutorin, die für fast einen Monat im März 2006 unser Gast war, gebeten, den GeMa-Lesern über dieses System Auskunft zu geben.
In Kassel werden die wichtigen Pflichtvorlesungen, Einführung in die Linguistik, Einführung in die Literaturwissenschaft, von sog. Tutorien begleitet. Diese sind sehr hilfreiche Seminare, die sich mit dem Stoff einer Vorlesung beschäftigen. Im Rahmen dieser Veranstaltungen werden besonders die Problemfälle, die Pflichtlektüre und die erwähnenswerten Themen, die in der Vorlesung nicht berührt werden konnten, besprochen. Das Ziel dieser Lehrveranstaltungen ist, den Studenten die Möglichkeit zu geben, nachzufragen, Texte zu lesen und über sie zu diskutieren. Deshalb sind sie als Hilfe und nicht als eine weitere Belastung der Studenten zu verstehen. Andererseits sind die Tutorien seit diesem Jahr Pflichtveranstaltungen, also in dem Vorlesungsverzeichnis bereits fest integriert. Damals, als sie noch freiwillig zu besuchen waren, war die Nachfrage an Tutorien ganz groß, weil die Studenten den aktiven Besuch dieser Seminare für nötig hielten, um die Prüfung bestehen zu können.
Die Tutoren/Tutorinnen, Studenten/Studentinnen, die schon die Zwischenprüfung bestanden haben, also min­destens im vierten Semester sind, werden von den jeweiligen Professoren ausgewählt. Andernfalls werden Anmeldungsformulare ausgehängt, und die Studenten können sich um diese „Stellen“ bewerben. Es ist natürlich für sie auch nützlich, sie können Erfahrungen sammeln, besonders diejenigen, die nach dem Studium als Lehrer arbeiten wollen.
Das System läuft bei uns leider noch nicht so reibungslos, was Jenny damit begründet, dass es hier noch etwas Neues ist, worüber man noch wenige Informationen hat. So konnte es vorkommen, dass ihre Tutorien nur von 2-3 Personen besucht worden sind. Trotz der geringen Teilnehmerzahl war sie zufrieden und ist dankbar für die Kooperation der Studenten. Ihrer Meinung nach ist es nicht nur in Szeged sondern auch in Kassel ein generelles Problem, dass die Seminarteilnehmer schwer zu bewegen sind, aber die Diszipliniertheit der Germanisten hier hält sie für lobenswert.
Abschließend verabschiedet sie sich noch mit einigen ermutigenden Worten von den Germanisten: „Es hat mir hier Spaß gemacht, ich habe viele Erfahrungen gesammelt, und ich hoffe, dass nächstes Mal an den Tutorien mehr Studenten teilnehmen werden. Also, bitte, kommt nächstes Mal zahlreich, besucht die Tutorien, es lohnt sich!“