Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 1/2006 << Deutsche Minderheiten in Europa


Deutsche Minderheiten in Europa
Frage der Autonomie

Autor: András Mucsi

Heutzutage hört man besonders viel über die Autonomiebestrebungen der Szekler, der Ungarn im östlichen Teil Siebenbürgens (eigentlich im Herzen Rumäniens). Die Rumänen, die sich weiterhin als Nationalstaat bezeichnen, wollen davon nichts hören. In Rumänien gibt es nur eine einzige Nation: die Rumänische. In Europa findet man jedoch eine große Tradition des Schutzes der Minderheitenrechte, bzw. der Autonomie. Ich möchte den Lesern bekannt machen, wie es mit den deutschen Minderheiten in Europa aussieht.

Diejenigen, die mit der Geschichte vertraut sind, wissen wohl, dass die Frage der deutschsprachigen Minderheiten aus historischen Gründen eine besonders heikle ist. Leute deutscher Muttersprache betrachten sich in Österreich als Österreicher, in der Schweiz als Schweizer, in Frankreich als Elsässer. Die Europäische Union legt besonders großen Wert auf den Erhalt der Vielfalt der Sprachen Europas, so ist es im zivilisierten Teil Europas keine Frage, ob eine Minderheit ihre Sitten und Bräuche (und natürlich ihre Sprache) pflegen darf.

Südtirol
Vielleicht ist die bekannteste deutsche Minderheit das Volk der Südtiroler. Südtirol war bis zum Ende des ersten Weltkrieges Teil Tirols, also Österreichs. 1919 wurde die Region an Italien angeschlossen. Die faschistische Zeit brachte eine Italisierung mit sich, die deutsche Sprache wurde verboten, die deutschen Schulen geschlossen und italienische Siedler ins Land gerufen. Während des Zweiten Weltkrieges erlaubte man den Südtirolern, ins Reich umzusiedeln. Wenige machten davon Gebrauch. Nach 1945 wurde darüber gesprochen, dass Südtirol mit Tirol in Österreich wieder vereinigt werden könnte, da aber Italien Istrien abtreten musste, konnte es Südtirol behalten. Die Verhandlungen zwischen Österreich und Italien führten zu dem Ergebnis, dass die Region Trentino-Südtirol den Status der Autonomie bekam. Sie hatte das Recht, Gesetze zu verabschieden und sich selbst zu verwalten. Die Mehrheit der Bevölkerung machten die Italiener aus. Die deutschen Schulen wurden wieder eröffnet und Deutsch als Amtssprache eingeführt. Da die Zuwanderung kein Ende nahm und die versprochenen Rechte nicht vollständig eingehalten wurden, forderten die Deutschen eine Veränderung des Abkommens. Als Folge dessen wurde das neue Südtirol-Paket 1972 ratifiziert. Man erhielt die Autonomie, die Südtiroler haben einen eigenen Landtag, Landeshauptmann und Institutionen mit deutscher und italienischer Amtssprache. Südtirol gilt heute als Muster der Autonomie in Europa, sowie des Zusammenlebens der Deutschen, Italiener und Ladiner. Südtirol hat eine eigene Partei: die Südtiroler Volkspartei (SVP), die sowohl im italienischen, als auch im Europäischen Parlament vertreten ist. Die Südtiroler diskutieren heute darüber, ob sie als eine deutsche oder österreichische Minderheit bezeichnet werden sollten. Für Österreich sprechen die Mundart und die geschichtlichen Wurzeln (Zu Südtirol vgl. auch GeMa 2/2003: Who the **** is DJ Ötzi).

Ostbelgien
Die Deutsche Gemeinschaft (DG) in Ostbelgien hat nur ca. 70.000 Bürger, genießt jedoch dieselben Rechte, die auch die Flamen und Wallonen haben. Das Gebiet um Eupen und Sankt Vith gehört seit 1919 zu Belgien und ist seit 1983 autonom, als der Zentralstaat in drei autonome Regionen aufgeteilt wurde. Die Region hat zwar nur neun Siedlungen, verfügt aber über ein eigenes Parlament, eine Regierung, eigene Institutionen sowie Schulen und Medien. Die deutsche Bevölkerung hat eigene Parteien, die auch im belgischen und dem Europäischen Parlament über eine Vertretung verfügen.

Polendeutsche
Das Deutsche Reich verlor nach 1945 alle Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze. Die deutsche Bevölkerung floh oder wurde zwangsweise ausgesiedelt und vertrieben. Es blieb jedoch eine beträchtliche Zahl von Deutschen in Polen, vor allem in Oberschlesien und in den Masuren, die Sprache der Ahnen ging mit der Zeit verloren. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges nahmen die BRD und der polnische Staat gegenseitige Kontakte auf und unterschrieben 1990 einen Vertrag über die Unverletzlichkeit der Grenze zwischen den beiden Staaten. Die deutsche Minderheit wurde von Polen anerkannt. Deutschland gab bis 2005 den 288.000 Deutschen in Polen die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Die schlesische deutsche Bevölkerung spricht größtenteils polnisch, die Mundart erlernten die jüngeren Generationen nicht mehr. Die Deutschen im ehemaligen Ostpreußen gründeten Vereine und organisieren kulturelle Veranstaltungen. Die deutsche Minderheit hat zwei Abgeordnete im polnischen Abgeordnetenhaus, verfügt aber über keine territoriale Autonomie.

Sudetendeutsche
Auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik lebten vor dem Zweiten Weltkrieg 3 Millionen Menschen deutscher Nationalität. Man bezeichnete sie als Sudetendeutsche. Während des Weltkrieges gehörte ihre Heimat zu Deutschland; nach dem Krieg wurden sie in den Westen vertrieben. Nur wenige sind geblieben, sie haben keine Autonomie, obwohl die deutsche Sprache in vielen Schulen unterrichtet wird und sie Zeitungen und Vereine haben.

Elsass
Der französiche Staat ist bekannt dafür, dass er kein großes Verständnis für die Minderheiten zeigt. Die Politik der Assimilation war in Frankreich jahrhundertlang vorherrschend und Frankreich gibt den Minderheiten auch heute keine Autonomie. Als das Elsass zum Deutschen Reich gehörte, hatte es ein eigenes Parlament, eine eigene Flagge, Hymne und Autonomie. All dies wurde nach 1919 abgeschafft und die deutsche Sprache zurückgedrängt. In den letzten Jahrzehnten konnte nur infolge der milderen Politik die deutsche und elsässische Sprache und Kultur gepflegt werden. Das Gebiet hat keine Autonomie, d.h. Selbstverwaltung. Die Bewegung “Fer’s Elsass/Pour l’Alsace” kämpft um politische und kulturelle Autonomie innerhalb Frankreichs (Zu Elsässisch vgl. auch GeMa 2/2005: Ihr welle also besser Elsässisch lehre?).

Nordschleswig
Die in Dänemark lebende deutsche Volksgruppe zählt nur 15.000 Seelen, kann aber ihre Identität dank des guten Verhältnisses zwischen ihr und dem Staat bewahren. Obwohl Nordschleswig keine territoriale Selbständigkeit hat, haben die Deutschen eigene Vereine, Schulen, Museen, Bibliotheken, eine Tageszeitung und eine eigene Partei.

Ungarndeutsche
Man darf Ungarn nicht vergessen, obwohl wir die Situation der Ungarndeutschen sowieso kennen. Eines der größten Probleme ist der Verlust der Sprache und damit der Identität. Eine spezielle Lösung für Minderheitenfragen ist in Ungarn das System der Minderheitenselbstverwaltungen. Es gibt auch schlechte Erfahrungen im Zusammenhang damit, aber viele organisieren ein buntes kulturelles Leben der Minderheit. Die Volksgruppe hat Schulen, Vereine und eine eigene Presse.

Die angeführten Bespiele zeigen, dass es in jedem einzelnen Land andere Lösungen für die Minderheiten gibt. Territoriale oder nur kulturelle Autonomie – vieles hängt von geschichtlichen Gegebenheiten ab. Die Autonomie und Selbstverwaltung ist jedenfalls die beste Lösung für eine Minderheit, die eine geschlossene Einheit in einem Land bildet.