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Zeitung << 2/2006 << Drei Tage über SEA mit Kapitän Kruse


Drei Tage über SEA mit Kapitän Kruse
Drei Methoden für didaktisch verbesserte Stunden

Autorin: Emília Bata

Professor Norbert Kruse besuchte unser Institut von 25. bis 27. September 2006, um Didaktikveranstaltungen zu halten, in denen er über seine eigenen Erfahrungen als Grundschullehrer und Professor an der Universität Kassel erzählte. Als Forscher ist er Mitarbeiter der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Grundschulpädagogik (IAG) in Kassel. Er hat uns einige Probleme seines Forschungsgebietes mitgebracht und diese mit deren möglichen Lösungen vorgeführt.

Die Didaktik sollte induktiv und nicht deduktiv sein – glaubt Herr Kruse – d.h. die alte Reihenfolge „lerne zuerst Theorie, erst dann starte mit der Praxis“ darf nicht zugelassen werden. Man soll zuerst eigene Erfahrungen sammeln, dann eine dazu passende Theorie aufbauen und aufarbeiten; aus den induktiven Versuchen kann man nämlich die besten Modelle herstellen. Er selbst hat seine Arbeit an der Universität folgendermaßen angefangen: er arbeitete zehn Jahre lang als Deutschlehrer in einer Grundschule, wo er sich mit immer mehr Fragen und Problemen konfrontiert sah, auf die er keine guten Antworten hatte. Diese kann man aber mit Theorien über Orthographie, Rechtschreibung oder Psychologie beantworten. Seine Studenten sollen ihre Projekte auf diese Art und Weise realisieren: erstens in einer Schule praktische Fälle sammeln, zweitens im Seminar mit der Hilfe von Büchern passende (grammatische, orthographische, morphologische) Modelle herstellen und drittens für zukünftige ähnliche Stunden Materialien anfertigen.

Erster Tag
Didaktik und Schriftspracherwerb. Oder wie man seinen Matrosen die Kritzelschrift des Klecksreiches beibringen kann. Statt Lerntechniken und Lernstrategien – glaubt Professor Kruse – sollte man Spracherfahrung als Grundstein des Lernprozesses wählen. Das heißt: nicht die Schüler, sondern der Lehrer soll zuerst lernen. Er muss Erfahrungen darüber sammeln, was die Schüler schon wissen, weil die neuen Informationen erst dann angeeignet werden können, wenn die Kinder diese zu dem Vorhandenen binden können. Wenn der Lehrer mit diesem Teil des Prozesses fertig ist, kann er lehren und dann nachfragen, was die Schüler gelernt haben, was sie vorher noch nicht wussten. Der Prozess (Können – Lehren – Lernen) heißt SprachErfahrungsAnsatz (SEA), der die frühere Reihenfolge (Lehren – Lernen – Können) vertauscht.
Das schönste Beispiel, wie man sich neues Wissen mit der Hilfe von SEA erwerben kann, sieht man in dem folgenden Memory-Spiel. Wir bekamen kleine Karten, aus welchen wir Paare bilden sollten. Die Karten – meint Professor Kruse – dienen zum Schriftspracherwerb in der ersten Klasse der Grundschule, wenn die Kinder noch keine Buchstaben kennen. Kartenspielen mögen ja alle, aber auf den Karten standen nicht die lateinischen Buchstaben, sondern komische Zeichen! Was für ein Tumult! Man konnte Wörter wie „Panda“ schnell identifizieren, aber „Panzernashorn“, das hat gedauert. Zum Erkennen der fremden Wörter musste ein Umstrukturierungsprozess der Zeichen entstehen, wozu die Schüler fähig sind; sie benutzen ganz natürlich ihre Erfahrungen mit Tieren bzw. Zeichen. Der soziale Prozess der Aufgabe entsteht dadurch, dass sie einander Hilfe bieten, sogar die „Abguckstrategie“ verwenden. Das Ziel dieser Aufgabe ist, dass die Kinder Aussprache und Orthographie vergleichen können und so später statt „Muta“ auch „Mutter“ schreiben.

Zweiter Tag
Was ist deutschdidaktische Forschung? Oder wie man ein kohärentes Gedicht zum verborgenen Schatz dichten kann. Man muss zwischen didaktischer Forschung und Praxis Deutsch einen Unterschied machen. Praxis Deutsch bedeutet, dass die Studenten Ideen bekommen, wie man Texte bearbeiten kann, Unterrichtsvorschläge lesen kann, Arbeitsblätter benutzen kann. Es ist aber keine Didaktik, sondern eine Methode. Didaktische Forschung ist dagegen der Entwicklungsprozess von Theorien, mit deren Hilfe man Methoden erstellen kann.
Zur Erklärung nahm Professor Kruse ein Bespiel aus dem Teilbereich Schreiben (Textproduktion). Der Schreibprozess funktioniert nach folgenden Schritten: Planung – Formulierung – Überarbeitung – Editieren (Veröffentlichung). Die Überarbeitung eines Textes ist die entscheidende Dimension für die Textkompetenz. Prof. Kruse zeigte uns zwei von Schülern angefertigte Texte und deren Überarbeitungen. Überarbeitungen, die oft noch schlechter waren als die originalen Texte. Also, aus dem praktischen Fall bekommt man die Aufgabe, es zu verbessern. Dann kommt die eigentliche deutschdidaktische Forschung, die oft mehrere Jahre dauert. Die Antwort ist die Theorie der Stationenarbeit (Rechtschreibung, Satzanfänge, Wortwiederholung, Adjektive, Satzbau, wörtliche Rede, Zeit, Satzzeichen, Überschrift). Teil der Forschung ist auch die Kontrolle der Theorie und ihre Änderung, falls es nötig ist.

Dritter Tag
Deutschdidaktik und Lehrerbildung. Oder wie man die geheime Piratenschrift entziffern kann.
Unser Thema an diesem Tag war die Lernbeobachtung „Lesen“: wir konnten eine Aufnahme hören, wo ein Schüler und seine Lehrerin Lesen lernten. Ihre Aufgabe scheint leicht zu sein, der Schüler sieht ein Bild von einem Mädchen an einem Tisch, und unter dem Bild steht der Satz: „Uta malt ein rosa Rad.“ Der Schüler kennt die Wörter rosa und Rad nicht. Die Lehrerin versucht zu helfen, ist aber hilflos, sie begeht sogar einen typischen Fehler und sagt die Vokale vor. Professor Kruse glaubte, dass das Kind – wie alle anderen Kinder – eine Hypothese aufstellte, was die nächsten Buchstaben sein könnten, deshalb sagte er immer andere Wörter. Er zeigte uns nicht nur die Fehler der Methode der Lehrerin, sondern wie man richtige Fragen zur Korrektur sammeln kann: Was kann das Kind? Was muss es noch lernen? Was kann es als Nächstes lernen? Diese Fragen kann man nicht nur in diesem Fall, sondern im Allgemeinen sehr gut nutzen.

Wer mit dem Unterricht schon begonnen hat, kann gleich erkennen, dass – obwohl die Idee, eigene Aufgaben herzustellen und sich um alle Kinder zu kümmern, gut ist – es in dieser Form in keiner Schule richtig zu schaffen ist. Es gibt nämlich Lehrpläne und andere Richtlinien, an die man sich streng halten muss. Soll man also nicht beachten, was vorgeschrieben ist? Nein, man soll einen gangbaren Mittelweg finden. Richtlinien sind „schön“, man braucht sie, aber man soll auch offen genug sein, falls Probleme auftauchen, die man nicht auf dem herkömmlichen Weg lösen kann. Der Universitätsunterricht – meint Professor Kruse – sollte eine Fähigkeit vermitteln, alles kritisch zu überprüfen und nicht nur Wort für Wort umzusetzen.