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Zeitung << 2/2006 << Drogen in der Gesellschaft


Drogen in der Gesellschaft
Das Leben von Christiane F.

Autorin: Anita Rácz-Romsics

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von Christiane F. ist ein wirklich interessantes Buch, ein spannendes und zugleich trauriges Buch, eine wahre Geschichte von einer heute noch immer abhängigen Fixerin. Mit zwölf kam sie in einem evangelischen Jugendheim zum Haschisch. Am Anfang nahm sie nur „Babydrogen” (Haschisch, Ephedrin, Valeron, LSD). Man kann sagen: die Drogen suchen dich und nicht du suchst die Drogen, egal wo du bist. Langsam kam sie in die Welt der härteren Drogen. In „Europas modernster Diskothek” (Sound, im ehemaligen West-Berlin) kam sie zum Heroin (vgl. Partydrogen, GeMa 2/2002). Sie wurde süchtig und hatte nie Geld. Christiane führte ein Doppelleben. Ihre Mutter bemerkte fast zwei Jahre lang nichts vom Doppelleben ihrer Tochter. Morgens ging sie in die Schule und nachmittags arbeitete sie als Prostituierte. Diese Arbeit nennt man auf den „Babystrich” gehen, wenn die Prostituierte unter 18 oder oft auch unter 14 Jahren ist. Christiane war oft „auf Turkey”, das bedeutet, dass sie Entzugserscheinungen hatte. Es gibt auch Strichjungen, die auf eine homosexuelle Kundschaft eingestellt sind. Sie sind billiger als die „echten” Prostituierten, manchmal werden sie direkt mit Drogen bezahlt.

Am Anfang dieses Buches findet sich die Geschichte von Christiane, der zweite Teil ist mit Photos illustriert, beispielsweise Bildern, die Babsi zwei Monate vor ihrem Tod in einem Brief, den sie aus der Berliner Landesnervenklinik an ihre Freundin schickte, malte. Mehrere Photos von Drogenabhängigen und der Wohnung eines Heroin-Abhängigen, von jugendlichen Fixerinnen auf dem „Babystrich” auf dem Berliner Kurfürstendamm, von einer Razzia, usw. Nach den Photos findet man Inteviews mit der Mutter von Christiane, mit Herbert Ulber, dem Leiter der Rauschgift-Inspektion der Berliner Polizei, und mit Detlef. Er war Christianes Freund, der ins Gefängnis ging.
Viele Drogen sind gesellschaftlich akzeptiert (z.B. in Holland das Marihuana oder in Ägypten das Haschisch). Drogen sind in jede Kultur eingebettet. Gesellschaftliche Regeln bestimmen, was akzeptiert wird. Dazu gehören in Ungarn und auch in Deutschland zum Beispiel Alkohol, Zigaretten und Koffein. Die Geschichte der Drogen ist so alt wie die Geschichte der Menschheit selbst. Immer war der Mensch bestrebt, in allen Naturstoffen wie Pflanzen, Tieren, Mineralien nach Mitteln zu suchen, die gegen Krankheiten helfen können. Bei dieser Suche wurden auch Wirkungen gefunden, die den Menschen als magisch erschienen. Der Genuss halluzinogen wirkender Pflanzen ist in den meisten Regionen der Erde Teil der Geschichte der Menschen (z.B. Indianer). Die berauschende und bewusstseinsverändernde Wirkung brachte die Menschen seinen Göttern näher.
„Ein Anfang, vielleicht ohne Ende” schreibt Christiane F. in ihrem Buch. Man kann leider sehr schnell dazu kommen, das ist das ganze Problem an der Sache. Alles beginnt mit einem Joint. Man wird mit Freunden nur am Wochenende Marihuana konsumieren, es soll ja nur für einen Partykick sein. Nach einer Zeit findet man die Abstände zwischen den Wochenenden zu groß, will es mal ausprobieren, wie es nach der Schule so wirkt oder in den Pausen, draußen auf dem Hof oder in der Toilette im Internat und langsam kommt DIE SUCHT. Eine Sache, in die man sehr leicht hinein kommt, aber schwer wieder raus. EIN ANFANG, VIELLEICHT OHNE ENDE! Der Konsum von illegalen Drogen nimmt ständig zu. In 30 Ländern Europas werden in Mittelschulen regelmäßig Untersuchungen zum Tabak-, Drogen- und Alkoholkonsum durchgeführt. Deutschland befand sich im Mittelfeld. Die Zahl der Jugendlichen, die verbotene Drogen zumindest einmal ausprobierten, ist seit Mitte der 90er Jahre um 40% gestiegen. Die bekannteste Droge ist Marihuana. In den letzten zwei Jahren gewinnen jedoch die harten Drogen immer mehr Raum. Beruhigungsmittel sind weiterhin beliebt, deren Wirkung oft durch Alkohol verstärkt wird. Auch die Zahl der Klebstoffschnüffler wurde nicht geringer.
Die heroinabhängigen Freunde von Christiane sind entweder im Gefängnis oder längst schon gestorben. Zum Beispiel Babsi, Christianes beste Freundin, die mit 14 Jahren die jüngste Herointote Berlins war. Olivia begann mit 15 zu drücken und starb mit 18 in einem öffentlichen Klo. Detlef (Christianes Freund), wurde in den Knast gebracht. Manchmal sind sie zusammen auf den Strich gegangen und hatten auch gemeinsame Kunden. Detlef träumte sehr lange davon, mit Christiane ein bürgerliches Leben zu führen.
Diese Namen sind nur Namen, nur tragische Lebensgeschichten. Die meisten Menschen haben keine persönliche Beziehung zu „echten” Drogenabhängigen. Der Leser kann vielleicht sagen, dass es nicht mehr aktuell ist. Die 70er sind vorbei! Oder: dass es auch so ein Märchen ist, so wie die witzige und nicht die tragische Seite des Drogenkonsums im Film „Trainspotting” dargestellt wird. Man darf aber nicht vergessen, dass Transpotting mit dem Zitat beginnt: ”Einmal werde ich auch ein normales Leben führen, einmal werde ich auch eine Kreditkarte haben, ein Auto, Ausflüge am Wochenende, Kinder und alltägliche Probleme”. Die Figuren erleben, dass Drogenkonsum cool ist, eine Lebensart, eine freie Lebensphilosophie. Aber sie wissen auch, dass sie sich einmal von den Drogen trennen müssen.
Leider ist das Buch von Christiane F. und auch der Drogenkonsum kein Märchen und auch keine Traumnovelle (A. Schnitzler). Christiane F. oder irgend eine alltägliche Fixerin, könnte meine Mutter sein, meine Schwester. ODER ICH? Inzwischen ist sie ungefähr 45 Jahre alt. Den KAMPF gegen Drogen hat sie immer wieder von neuem geführt. Sie lebt noch, aber wie lange?


Uni-Umfrage zum Drogenkonsum
Zu dem Thema Drogen habe ich im letzten Studienjahr bei Dr. Ellen Tichy (Seminar „Landeskunde Deutschland“ an der Uni) ein Referat gehalten. Ich habe eine kleine spontane Umfrage namenlos über Drogen gemacht. Unglaublich, aber vier Personen der Gruppe (ca.12 Person) hatten schon Marihuana konsumiert, und es gab auch eine, die schon härtere Drogen ausprobiert hatte. Fast alle haben mit 15 oder mit 16 gekifft. Alle kannten die Arten von Drogen und ihre Wirkungen sehr gut: „Als Drogen bezeichnet man jene psychotrope Substanzen, beziehungsweise Stoffe, die durch ihre chemische Zusammensetzung auf das Gehirn, das Zentralnervensystem einwirken und dadurch auf das Denken, Fühlen, die Wahrnehmung und das Verhalten direkt Einfluss nehmen.” Die meisten kannten Extasy und Cannabis und haben fast so präzise definiert, dass es in einem Wörterbuch stehen könnte: „Partydroge, Tabletten in unterschiedlichen Größen, Farben. Wirkdauer 4-6 Stunden, dient als Stimmungsverstärker, vermindert das Hunger- und Durstgefühl, Tanzen bis zur totalen Erschöpfung, danach Lustlosigkeit; Cannabis wird auch als Sammelbegriff für Marihuana und Haschisch verwendet. Joint: mit Marihuana oder Haschisch gefüllte Zigarette”.
Es wäre zu langweilig, wenn ich alle Informationen, die Studenten über Drogen angegeben hatten, weiter aufzählen würde. Die Stundenten sind (zu) gut über Drogen informiert und konsumieren sie trotzdem. Drogen lösen keine Probleme, sondern bringen neue Probleme. Das ist genau in der Prüfungszeit aktuell.