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Zeitung << 2/2006 << Doktorin und Fotografin
Doktorin und Fotografin
Gespräch mit Dr. Erzsébet Szabó
Autorin: András Horváth
Frau Szabó, wir freuen uns über Ihren Erfolg, dass Sie 2006 an der Universität Szeged promoviert haben. Lassen Sie uns erfahren, welches Thema Sie in Ihrer Dissertation bearbeitet haben?
Ich habe ein theoretisches Thema behandelt. Vor Jahren waren in Ungarn in vielen Disziplinen Theorien der narrativen Identität sehr populär. Der Grundgedanke dieser Theorien lautet, dass unsere persönliche Identität eine narrative Identität ist: wer wir sind, das bestimmt unsere Lebensgeschichte und zwar genauso, wie wir auch die Fragen „Wer ist Effi Briest?“, „Wer ist der blonde Eckbert?“ usw. mit einer Geschichte beantworten. Ich war zwar damit, was unsere persönliche Identität anbetrifft, nicht einverstanden. Die Identitätsbestimmung fiktionaler Gestalten hat mich aber nachdenklich gemacht. Ich habe angenommen, dass narrative literarische Werke in vieler Hinsicht wie Eigennamen funktionieren. Und wenn das so ist, wenn sie wie Eigennamen funktionieren und zugleich von Gestalten, die mit Eigennamen bezeichnet sind, handeln, dann – so habe ich das gemeint – soll fiktionalen Eigennamen bei dem Verstehen von fiktionalen Werken eine zentrale Rolle zukommen. Das war die Hypothese, von der ich in meiner Dissertation ausgegangen bin.
Was denken Sie, was haben Sie damit der Literaturwissenschaft Neues gegeben?
Das könnte ich vielleicht so formulieren, dass ich zu dem Ergebnis kam, dass narrative literarische Texte spezifische semantische und ethische Gedankenexperimente darstellen. Gedankenexperimente verändern die Welt zumeist nur an einer einzigen Stelle – sie nehmen etwa an, dass das Wasser nicht H2O, sondern XYZ ist – und überprüfen dann an vielen anderen Stellen, wie sich diese Veränderung auswirken könnte. Sie sind sehr beliebt in den Naturwissenschaften und in der Philosophie: Galilei, Newton, Schrödinger oder Putnam haben sich zur Lösung bestimmter Probleme dieses Mittels bedient. Narrative literarische Texte ähneln ihren Experimenten in vieler Hinsicht, unterscheiden sich aber auch von ihnen.
Sie sind an der Universität Szeged als Fontane-Spezialistin bekannt, aber welche Bereiche und Themen interessieren Sie noch in der Literatur?
Neben Fontane interessieren mich natürlich auch andere Autoren, vor allem Stifter und Kleist, aber auch der junge Goethe, Tieck, Keller und Handke beschäftigen mich. Das andere Feld, das mich interessiert, ist die Erzähltheorie, vor allem die Beschaffenheit von Erzählungen: was sie sind, wozu sie da sind, wie wir sie verstehen und ähnliche Fragen. Es ist ein sehr komplexes Thema, da Erzählungen überall zu finden sind: nicht nur im Film oder in der Malerei, sie sind bestimmend auch in der Werbung oder in der Medizin. Viele meinen – und davon war schon die Rede – dass es Erzählungen sind, die bestimmen, wer wir sind, und es gibt auch Theorien, wonach selbst das menschliche Denken narrativ ist. Vor allem interessieren mich natürlich literarische Erzählungen, aber auch dieser weitere Kontext enthält Fragen, die mich beschäftigen.
Sie haben hier in Szeged Germanistik und Hungarologie studiert. Kommt Ihnen jetzt bei Ihrer Tätigkeit das Ungarischstudium zugute?
Ja, natürlich. Und damit meine ich nicht unbedingt das Faktische, dazu an sich braucht man ja kein Universitätsstudium, nur gute Lexika, gute Kollegen oder einen schnellen Internetanschluss. Die Lehrstühle der geisteswissenschaftlichen Fakultät vermitteln – auf der Grundlage der Philosophie – im Wesentlichen den gleichen Gegenstand, d.h. Sprache und Literatur, nur aus dem Blickwinkel unterschiedlicher kultureller- und Denktraditionen. Leider wusste ich das nicht gleich, als ich an die Uni kam, und es verging mehr als ein Jahr, bis ich das Ziel dieser Organisation erkannte und die vielen Überlappungen im Lehrstoff nicht mehr überflüssig und ärgerlich fand: ich verstand, dass diese Struktur eben das Spezifische geisteswissenschaftlicher Erkenntnis, die Vielzahl möglicher Perspektiven und die Pluralität der Methoden abbildet. Das Doppelstudium bedeutete für mich in erster Linie diese Erfahrung und dann natürlich auch vieles andere, das sich in meine jetzige Tätigkeit, seit 1993 als Lehrende an der Universität, teils bewusst, teils unbewusst eingeflossen hat. Methoden etwa, wie man etwas vermitteln kann oder einfach nur wie man sich in bestimmten Situationen verhält. Ich bin meinen Professoren bis heute sehr dankbar.
Sie sind Gründungsmitglied in der 2001 gegründeten Ungarischen Goethe-Gesellschaft. Womit beschäftigt sich dieser Verein eigentlich?
Nun, dazu kam eher durch Zufall. Die Gesellschaft ist eine literarisch-wissenschaftliche Gesellschaft, sie fördert die Goethe-Forschung in Ungarn, organisiert wissenschaftliche Veranstaltungen, gibt Veröffentlichungen heraus. In Deutschland haben solche literarischen Gesellschaften eine lange Tradition. Sie stellen eine Form der Vergesellschaftung der Menschen, v.a. des Bürgertums dar und bilden ein wichtiges Element im Selbstbild der Deutschen. Die Goethe-Gesellschaft in Weimar, die Schwesterorganisation der ungarischen Gesellschaft, ist einer der ältesten literarischen Vereine. In Ungarn sind die literarischen Gesellschaften aus unterschiedlichen Gründen kaum vertreten, und die es gibt, sind auch anders strukturiert, als in Deutschland. Da die Goethe-Gesellschaft eine mir sympathische Bildungsidee vertritt, freut es mich sehr, Mitglied zu sein.
Sie bieten den Studenten mehrere Kurse an der Uni an. Was halten Sie für wichtig, was ist Ihr Ziel in diesen Kursen?
Nun, ich möchte nicht nur Inhalte vermitteln, sondern vor allem die Fähigkeit der Studenten zum Denken entwickeln. Zeigen, worin wahres Wissen besteht, Methoden vermitteln, wie sie das erwerben können und zeigen, dass begründetes Zweifeln auch zum Denken gehört. Aber damit sage ich nichts Neues, denn das eben ist das klassische Ziel universitärer Lehre.
Warum ich bei der Beantwortung der Frage ein bisschen gezögert habe, hängt damit zusammen, dass sich zur Zeit im universitären Bereich infolge des Bologna-Prozesses und anderer Wandlungen vieles ändert. Veränderungen braucht man auf jeden Fall, da die Institution der Universität, v.a. die geisteswissenschaftlichen Studiengänge seit Jahren schon in Krise stecken. Wie man dieser Krise entgegensteuern kann, welche Rolle dabei die Geisteswissenschaften spielen werden, wie diese Rolle auf die Forschung und Lehre auswirkt, das sind momentan Fragen, die schwer zu beantworten sind. Ich glaube, dass das klassische Bildungsziel nicht an Bedeutung verlieren wird, auch wenn jetzt vieles dagegen zu sprechen scheint. Diese Art von Denken ist die einzige humane Chance der Staaten, dem Einfluss wirtschaftlicher Organisation und der Ökonomisierung der Welt entgegenzuwirken und sich zu bestärken.
Haben Sie Erfahrungen darüber, ob die Motivation der Studenten sich im Gegensatz zu Ihrer Studienzeit geändert hat? Sind wir anders, haben wir anderes Interesse als unsere Vorgänger?
Ja, zum Glück, das ist halt der natürliche Gang der Dinge. Das ist eine andere Generation als die meinige, und das ist gut so. Sie haben die gleichen Fähigkeiten und die gleichen Begabungen wie alle Generation auch, aber mit Sicherheit auch andere Ziele und Interessen. Im Großen und Ganzen bin ich also zufrieden mit der Studentenschaft.
Womit beschäftigen Sie sich im Alltag außer dem Unterricht?
Ich reise gern. Mich interessiert außerdem alles, was mit dem Visuellen im Zusammenhang steht. Kino vor allem, ich gehe sehr gern ins Kino, mag sehr gute Filme, Matrix, Raumschiff Enterprise und Voyager genauso, wie etwa Filme von Antonioni, Altman, Woody Allen, Fellini, Bergman oder anderen. Außerdem photographiere ich auch gern, habe aber eher an der Bearbeitung von Photographien, also am Photoshop Interesse.
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