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Zeitung << 2/2006 << Pralipe


Pralipe
Zigeunertheater in Deutschland

Autorin: Anita Rácz-Romsics

Das Nebeneinander verschiedener Gemeinschaften und Kulturen war im Laufe der Geschichte selten frei von Konflikten. Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist die Welt jedoch soweit zusammengeschrumpft, dass globales Denken auch im Alltagsleben immer wichtiger wird. Weder der Einzelne noch Gemeinschaften von Einzelnen können in unserem Jahrhundert voneinander isoliert leben. Hoffnung und Gefühl sagen, dass Abgrenzungen unser Denken und Handeln nicht mehr bestimmen können. Wir sind überzeugt, dass sich bereits heute das Zeitalter des Miteinanders installiert.
Das Zigeunertheater Pralipe, auf Deutsch Brüderlichkeit, gründete man in den Siebzigern im ehemaligen Jugoslawien, in der Stadt Skopje. Die Idee kam von Studenten. Dieses Theater war wirklich kurios, weil es nur in der Sprache der Roma spielte. Pralipe hat bekannte klassische Werke übersetzt, wie Ödipus von Sophokles, Mutter Courage von Brecht oder Romeo und Julia von Shakespeare. Die Blütezeit des Theaters dauerte bis 1990, bis zum Jugoslawischen Unabhängigkeitskrieg. Dann kamen nicht nur politische, sondern auch finanzielle Probleme. Das Ensemble musste nach Deutschland fliehen.
Mit der Unterstützung des Deutschen Kultusministeriums ist Pralipe nach Deutschland, nach Mühlheim (Nordrhein-Westfalen) gezogen. Mit dem Ruhrtheater wurde es zusammengelegt, und Pralipe konnte weiter existieren. Das Ruhrtheater entschied, eine soziokulturelle Gemeinschaft zu gründen. So kann es mit anderen Instituten sehr viel für die Integration der Roma tun. Die Zigeuner, die in Deutschland leben, müssen ein Doppelleben führen. Die dominierende Seite ist die traditionelle Seite, die Integration wird aber immer wichtiger. Die Mitglieder von Pralipe versuchen beides zu vereinen, was manchmal der Vorurteile wegen schwer ist. Zu der traditionellen Seite gehört auch, Erzählabende zu organisieren. Im Rahmen dieser Veranstaltungen redet man über alte Zi­geu­nermythen und Zigeunermärchen. Die jungen Schriftsteller und Dichter, beziehungsweise Studenten, oder auch solche, die keine Zigeuner sind, können ihre Werke vorlesen, mit den anderen diskutieren und von den älteren Autoren Ratschläge bekommen. Pralipe ist also nicht nur Theater, sondern mehr. Man kann sagen, Pralipe ist die verbindende Kraft zwischen Zigeunern und Nichtzigeunern, zwischen älteren Autoren und Studenten, zwischen Laien und Künstlern.
Das erste Stück, „Bluthochzeit“ von Federíco Garcia Lorca, wurde 1991 aufgeführt. Die SchauspielerInnen waren: Suncica Todic (Mutter), Sami Osman (Bräutigam), Elisabeth Kocoska (Braut). Der Regisseur war Rahim Burhan. Auch heute bekommt Pralipe sehr gute Kritiken, beispielsweise in bekannten Zeitungen wie dem Hamburger Abendblatt, den Nürnberger Nachrichten, dem Bieler Tageblatt und der Neuen Zeit.


Stücke des Zigeunertheaters Pralipe:

Zivko Zigno hat 1993 mit seinem Werk „Das große Wasser“ einen Preis von dem Bund der Deutschen Kritiker bekommen, und auch einen Preis für die beste Regie beim Nordhein-Westfalener Theatertreffen bekommen. Die Stadt Mühlheim zeichnete ihn 1995 mit dem Ruhr Preis aus. Bis 1996 hat Pralipe nur Romani-sprachige Stücke gespielt, seit diesem Datum auch deutsche.

O Bakro Phani (Das große Wasser)
In dieser Geschichte geht es um Waisenkinder, die in einem Heim aufwachsen. Die Geschichte spielt in der Schweiz. Diese Kinder fühlen sich alleine in diesem Heim, von den anderen ausgestoßen. Dieses Gefühl bleibt auch später. Als Erwachsene fühlen sie sich noch immer als Außenseiter, als „Stiefkind der Gesellschaft”.
SchauspielerInnen: Eduard Bajram (Keiten), Sami Osman (Anerko), Elisabeth Kocoska (Olivera), Silvia Pinka (Jordanka). Regisseur: Rahim Burhan

Romeo und Julia
Die sehr bekannte Geschichte von Shakespeare wurde an einen anderen Ort und in eine andere Zeit transferiert. Diese Variante von Romeo und Julia spielt im Jugoslawischen Unabhängigkeitskrieg 1990. Romeo stammt aus einer streng katholischen Familie, Julia ist Muslime. Die Eheschließung ist unmöglich. Das Ende der Geschichte kennt jeder: die Liebe führt zur Tragödie.
SchauspielerInnen: Silvia Pinku (Julia), Eduard Bajran (Romeo). Regisseur: Rahim Burhan

Chokaul (Hexen)
Im Jahre 1994 debütiert Pralipe mit diesem einzigartigen Drama. Es handelt von der Inquisition. In diesem Stück gibt es wirklich schockierende Bilder. Der Konflikt entsteht aus der Liebesbeziehung zwischen einer „Hexe” und einem Mönch. Deshalb führt diese Geschichte auch zur Tragödie. Die Süddeutsche Zeitung (29.12.1994) und Die Welt (20.01.1996) haben darüber eine sehr gute Kritik geschrieben.
SchauspielerInnen: Silvia Pinku (Zigeunerin), Elisabeth Kocoska (Zigeunerfrau), Suncica Todie (Zigeunerfrau), Saban Bajran (Bischof), Sami Osman (Mönch Salvatore). Regisseur: Rahim Burhan

Tetovisime Vogja (Tätowierte Seelen)
Das Thema des Stückes ist die Emigration, der Identitätsverlust. Die Geschichte spielt in den USA, in der Welt „des Gettos”. Die große Frage ist: müssen amerikanische Zigeuner sich integrieren und als richtige Amerikaner leben? Oder müssen sie DAS Zigeunerleben weiterführen, isoliert von dem amerikanischen Traum. Die Situation ist noch komplizierter, weil die Hauptperson eine gemischte Ehe geschlossen hat. Die Frage ist, wie die nächste Generation erzogen werden soll. Die Welt (21.01.1996) hat eine sehr gute Kritik über das Werk geschrieben.
SchauspielerInnen: Eduard Bojran (Vojdan), Sami Osman (Tsibra), Suncica Todic (Mary, deFrau von Tsibra). Regisseur: Rahim Burhan