Startseite | Impressum | Zeitung | Beiheft | Archiv nach Autoren | Archiv nach Rubriken








Zeitung << 2/2006 << Von Luther zum Bauhaus


Von Luther zum Bauhaus
Nationalschätze aus Deutschland in Ungarn

Autorin: Adrienn Polyák

Fünfhundert Jahre der deutschen Kultur präsentierte die Ausstellung „Von Luther zum Bauhaus”, die von Ende Juli bis Mitte Oktober 2006 in der Ungarischen Nationalgalerie zu besichtigen war. Die Besucher konnten viele deutsche Kostbarkeiten sehen, wie zum Beispiel die berühmte Goethe-Büste von Daniel Christian Rauch, eine Lutherbibel, das aus Lehrbüchern bekannte Liszt-Medallion oder ein Plakat der Gruppe Brücke. Alle sind Gegenstände, von denen man während seines Germanistikstudiums höchstwahrscheinlich etwas hört, und ich stand ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, als ich an dem vorletzten Tag die Ausstellung besuchte.

Die Sammlung dieser bedeutenden Objekte wurde von 25 deutschen Museen zusammengestellt, unter anderem aus Dresden, Weimar, Wittenberg, Eisenach und Potsdam. 23 von ihnen sind Mitglieder der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen (KNK). Das Ergebnis der Zusammenarbeit war eine auch in Deutschland als Kuriosität geltende Ausstellung, die zum 15. Jahrestag der Wiedervereinigung zustande gebracht wurde. Budapest war die zweite Station der Ausstellung nach Bonn.
Die Frage der Einheit war und ist für Deutschland sehr wichtig. In der Geschichte zeigte sich Deutschland immer besonders gegliedert, was auch heute typisch für das Land ist, obwohl die politische Vereinigung sich schon vor 15 Jahren vollzogen hat. Das Ziel der KNK und der anderen zwei Kultureinrichtungen mit der Ausstellung „Von Luther zum Bauhaus” ist es, die kulturelle Einheit Deutschlands zu zeigen. Man will auch demonstrieren, was für eine große Rolle die deutschen Künstler und Kunstwerke in der gesamten Kulturgeschichte Europas spielen. Das deutsche Kulturerbe wurzelt in Ostdeutschland, deshalb stammen die meisten ausgestellten Gegenstände aus diesem Gebiet.
Eine andere Intention der Veranstalter ist es, die Entwicklung der verschiedenen Sammlungen und Museen zu schildern, deshalb wurden die verschiedenen Teile nicht nur chronologisch, sondern auch nach Sammlungstypen inszeniert. Martin Luther und die Reformation bildeten den Auftakt der Ausstellung, weil die Geschichte der Kunstwerksammlungen damals begann. In diesem Teil erblickte man erst den Reformationsteppich, diesen alten, mehr als drei Meter langen Wandteppich. Außerdem konnte man die weltberühmten Portraits von Martin Luther und seiner Frau Katharina von Bora sehen, die von Lucas Cranach d.Ä. 1526 gemalt wurden. Hier stand noch eine echte Lutherbibel, die um 1555 gedruckt wurde. Es war phantastisch, vor einem so bedeutenden Denkmal der deutschen Geschichte zu stehen, und jetzt ist mir schon klar, warum man als Germanistikstudent die Frakturschrift lesen zu lernen verpflichtet ist.
Die nächste Station hieß Kunstkammern der Renaissance und des Barocks, wo die prachtvollen, unschätzbaren Kostbarkeiten jener Zeit veranschaulicht wurden. Alle Gegenstände hinter den Vitrinen waren sehr wertvolle, fein ausgearbeitete, luxuriöse Meisterwerke, die schon damals im 16. Jahrhundert ausgestellt und für einen begrenzten Kreis zugänglich gemacht wurden. Es gab verschiedene Waffen, mit winzigen Gravuren ausgestattete, riesige Meerschneckenhäuser und fein geschnitzte Korallen, Astrolabien und andere astronomische Geräte, die so reich und schön verziert waren, dass sie schon Kunstwerkswert hatten. Weiter in dieser Zeit verbleibend wurde der nächste Raum Barocker Prunk und barocke Klänge genannt. Hier war der Akzent eher auf die Gemälde gelegt: Christus mit der Dornenkrone und Der heilige Hieronymus, beide von Guido Reni gemalt, Maria mit dem Kind von Antonio Bellucci und Der segnende Christus von Benedetto Luti und zahlreiche andere Bilder aus dem 17. Jahrhundert. Hier sah ich auch eine echte römische Kopie einer griechischen Statue, was die sich verändernden In­teressen der damaligen Kunstfreunde zeigt.
Die nächsten Epochen, Wege zur Aufklärung und Romantik waren eng verbunden, so enthielt die Büstenreihe – Goethe, Schiller, Rousseau, D’Alembert, Lalande, Kant – Figuren aus beiden Zeiten. Dazu kamen noch wissenschaftliche Werkzeuge, was die Aufklärung betrifft, und etliche Gemälde und Zeichnungen aus der Romantik, wie Der heilige Rochus, Almosen verteilend (Julius Schnorr von Carolsfeld, 1817) und Die Tageszeiten (Philipp Otto Runge).
Während die wissenschaftliche Entwicklung sich im 19. Jahrhundert vollzog, entstanden zahlreiche Fachmuseen in Deutschland. Sie haben in dieser Sonderausstellung unter dem Titel Welt der Fachmuseen einen Platz bekommen. Hier wurden die Kunstwerke der verschiedensten Kulturen präsentiert, zum Beispiel chinesische Kleinstatuetten und Porzellan, afrikanische Statuen und Musikinstrumente, eine unbegreifliche, für mich sehr modern wirkende Seehund-Mensch-Figur aus Alaska.
Die Endstation der Ausstellung hieß Museen und Moderne und berichtete über die Museen des 20. Jahrhunderts. Hier war das Plakat für die Ausstellung der Künstlergruppe „Brücke” in der Galerie Arnold Dresden zu sehen, das Ernst Ludwig Kirchner 1910 entwarf. Daneben konnte man auch zwei Zeichnungen von Edward Munch bewundern: Alpha und Omega und Die Wolke (1908-09). Beide fand ich ziemlich erschreckend und feindselig mit den Frauen. Man konnte auch eine Nietzsche-Büste anschauen, sowie kunstgewerbliche Arbeiten, wie Vasen oder Textilentwürfe. Es wurden in dieser Abteilung auch manche aus medizinischen Museen stammende Demonstrationsfiguren ausgestellt, zum Beispiel eine große Frauenfigur aus durchsichtigem Plastik mit farbigen Plastikorganen, einem Plastikgefäßnetz und mit einer Klaviatur, mit der man die verschiedenen Organen hat aufleuchten lassen können, aber die Knöpfe funktionierten leider nicht.
Ganz am Ende dieses Raumes fand man einige Photos von Häusern im Bauhausstil, sowie Bauhausmöbel, zum Beispiel einen Stuhl von László Moholy-Nagy. Hier endete der Spaziergang durch die Jahrhunderte der deutschen Kultur, und das nicht zufälligerweise. Die Frage ist, ob man nach dieser Periode überhaupt noch von deutscher Kunst sprechen kann, denn wir wissen alle, was danach kam: Hitler und später die Teilung. Doch die Ausstellung selbst ist ein Versuch, diese Frage zu beantworten: sie schildert den Reichtum der gemeinsamen deutschen Kultur und lässt uns vermuten, dass sich in Deutschland noch viele Möglichkeiten und Kulturgüter verstecken.


Persönliche Favoriten von der Ausstellung

Nautiluspokal, Mitte 17. Jh.
Ein Pokal aus einer geschnitzten Nautilusschale mit Bronzesockel, woraus man trank. Dieser Pokal war einfach wunderschön: perlenweiß, schillernd und mit sehr, sehr fein geschnitzten Gravuren geziert, die einer Pflanzenform ähnelten. Unter den Blättern konnte man einige höchstens reiskorngroß gemalte Insekten entdecken.

Arbeitstisch der Kurfürstin Magdalena Sybille von Sachsen, 1620–1630
Dieser Tisch musste auch eine Sisyphusarbeit gewesen sein. Der Arbeitstisch war ein Cembalo auf einer Seite, Näh-, Schach- und Kartenspielkasten, Parfüm- und Kosmetikkasten auf der anderen. Alle Kästchen sind mit Samt ausgefüttert, und jede Schere oder Nadel oder Feder ist handgemacht und mit Gold geziert.

Goethe-Büste, um 1820
Das Kunstwerk, dem man überall begegnet, wenn es um Goethe geht: die populäre Goethe-Büste aus Marmor von Daniel Christian Rauch stand vor mir. Nicht nur das Thema, also der weltberühmte Schriftsteller, machte die kleine weiße Statue für mich interessant, sondern die Statue selbst, als eigenständiges Werk: so glatt, eben und sehr vornehm. Ich weiß nicht, wie der Schriftsteller in Wirklichkeit aussah, aber Rauch ließ mich nachdenken. Als ich zusah, erschien mir Goethe als durchaus sympathisch. Es ist ein posthum geschafftes Werk, so erhebt sich die Frage: sah denn Goethe wirklich so aus? Ist das nicht eher eine Repräsentation seiner Eigenschaften oder seiner Legende? Man könnte tagelang da sitzen und fragen und denken, ein guter Denksport!

Die vier Tageszeiten, begonnen 1803
Diese vier Tuschezeichnungen machten einen großen Eindruck auf mich. Sie zeigen die allegorische Darstellung der vier Tageszeiten: Morgen, Mittag, Abend und Nacht. Von fern gesehen, sind sie allzu geometrisch und nicht sehr lebhaft. Aber wenn man die Bilder aus der Nähe betrachtet, sieht man, dass das, was von fern gleich aussieht, in der Wirklichkeit verschieden ist. Die phantastisch korrekten und reinen Linien, die fein gezeichneten Figuren haben auch mich bezaubert.

Reformationsteppich oder Lutherteppich, 1555
Ein etwa drei Meter langer Bildteppich, der den Sieg der Reformation darstellt. Für mich war die Technik faszinierend: der Teppich ist voller Figuren und Farben, es wäre schwer genug, es zu zeichnen, aber zu weben musste es noch schwieriger sein.