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Zeitung << 2/2006 << Es gibt ein Leben nach der Uni


Es gibt ein Leben nach der Uni
Studienabbrecher aus verschiedenen Perspektiven

Autor: András Horváth

Stellt euch vor: Bill Gates als Mathematiker, Mick Jagger als Ökonomen, Günther Jauch als Juristen und Anke Engelke als Englischlehrerin. Die Liste ist lang. Was sie miteinander verbindet: sie alle haben einmal ihr Studium abgebrochen.

Laut einer Untersuchung des Hochschul-Informations-Systems (HIS) verlassen in Deutschland etwa 25 % der Studierenden die Hochschule/ Universität ohne Abschluss. In Ungarn gibt es kaum jemanden, der nicht einen Bekannten hätte, der sich zum gewählten Studium nicht hingezogen gefühlt und deshalb eine andere Alternative gesucht hat.
Gábor, 23 Jahre alt, Verantwortlicher für EU-Bewerbungen bei einer Firma in Gyõr: „Meine Probleme hatten bereits im Gymnasium begonnen. Ich hatte mich nicht einmal damals entscheiden können, was mich interessiert. Dann, als sich die Abiturzeit näherte, musste ich eine Entscheidung treffen. Ich wurde an der Hochschule in Gyõr aufgenommen und habe dort drei Semester lang Siedlungsingenieur studiert. Nach anderthalb Jahren stellte sich heraus, dass ich keinen Bock auf dieses Studium hatte. Vielleicht hing es damit zusammen, dass meine Noten nicht so gut waren. So habe ich damit aufgehört. Dann nahm ich zwei Jahre lang an einem Kurs teil, wobei ich mich aufs Schreiben von Bewerbungen spezialisierte. Seitdem arbeite ich bei der Firma meines Onkels. Aber leider haben nicht alle so ein Glück, dass sie sofort einen guten Job bekommen.“
Es können mehrere Gründe dazu führen, dass jemand eine solche Entscheidung trifft. Wenn die Motivation fehlt oder im Laufe des Studiums nachlässt, ist der Abbruch häufig unvermeidbar. Ohne Begeisterung können die Studierenden sich nicht mit ihrem Studienfach identifizieren, und daraus ergeben sich zahlreiche Probleme.
Auch der finanzielle Hintergrund spielt dabei eine bedeutende Rolle. Studenten, deren Eltern nicht so gut verdienen, haben oft trotz der Möglichkeit der stattlichen Unterstützung enorme Schwierigkeiten, in einer vom Zuhause oft weit entfernt gelegenen Stadt alleine leben zu können. Ein möglicher Ausweg für sie wäre, so gute Noten wie möglich zu kriegen und dann von der Uni Studiengeld zu erhalten. Wenn das nicht reicht, suchen viele einen Nebenjob, was aber nicht in jedem Fall möglich ist.
Oft kommt es vor, dass es den Studierenden erst nach Beginn des Studiums bewusst wird, welche Erwartungen an sie an der Hochschule/ Universität wirklich gestellt werden. „Ich hatte von diesem Fach ganz andere Vorstellungen“, „ich habe nicht gedacht, dass es so schwierig ist“ – solche Meinungen hört man immer wieder.
„Ich studiere nun bereits vier Jahre Medizin, bin noch immer im ersten Studienabschnitt, vor mir liegen noch mindestens sechs Studienjahre. Bis ich arbeiten kann, bin ich über 30. Irgendwann hätte ich auch gerne Kinder und eine Familie.“ – beschwert sich ein deutscher Medizinstudent. In solchen Fällen erscheint den Studierenden das Diplom als kaum erreichbares Ziel. Dazu kommt überdies die Unsicherheit und Sorge, ob nach sechs Jahren noch gute Stellen auf dem Arbeitsmarkt zu besetzen sind. Für den Großteil der enttäuschten Studenten reicht der Wechsel zu einem gewünschten Fach. Diese Variante ist besonders bei denen üblich, die ihre Wahl unter dem Einfluss der Eltern getroffen haben, aber selbst in eine andere Richtung gehen wollten. Das ist der Fall bei folgender deutscher Studentin: „Meine Eltern konnten sich für mich nie etwas anderes vorstellen, als dass ich Medizin studiere und einmal die Praxis meines Vaters übernehme. Für sie spielen Ausbildungszeit und Geld keine Rolle, ich aber möchte lieber eine Kurzausbildung machen und möglichst bald in einen Beruf einsteigen. Meine Eltern haben dafür kein Verständnis.“
Aber auch Studienaussteiger sind nicht chancenlos, und dazu braucht man kein Günther Jauch zu sein. Den Studienaussteigern stehen alternative Möglichkeiten zur Verfügung, eine auf dem Arbeitsmarkt gefragte Ausbildung zu erwerben.
In Ungarn gibt es zahlreiche Institutionen, die den Interessenten verschiedene Kurse mit verschiedener Dauer anbieten. Sie erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, weil die Erwachsenenbildung boomt und immer mehr junge Menschen diese Form des Studierens bevorzugen. Andere setzen sich wieder hinter die Schulbänke und machen ein Praktikum.
Was von den Studierenden an den Hochschulen und Universitäten häufig vermisst und bei vielen Arbeitgebern als Nachteil aufgefasst wird, ist der mangelnde Praxisbezug. Bei vielen Stellenangeboten werden Bewerber mit praxisorientiertem Abschluss vorgezogen.
In Deutschland gibt es Bildungsinstitute, die sich für die 70.000 Studienabbrecher engagieren. Sie versuchen, durch ein stark praxisorientiertes Studium die von der Hochschule/ Universität enttäuschten Studenten für sich zu gewinnen. Ein solches Institut ist das BfZ (Bildungsförderungszentrum Essen), das seit fast 20 Jahren existiert und unter seinem heutigen Motto „Zeit für den Wechsel“ Kurse für Studienaussteiger anbietet. Wie das BfZ mitteilte, hätte es durch seine zukunftsträchtigen Lernalternativen immer mehr Studenten, die aufgrund bisheriger Erfahrungen mit guten Chancen eine Stelle finden könnten. Außerdem wirbt das BfZ damit, mit modernen und effizienten Methoden zu arbeiten. Die deutschen Unis hätten laut BfZ veraltete Lernmethoden und Strukturen. Durch diese erfolge die Vermittlung des Wissens nicht so, wie sie selbst und die Studenten es wollten. Die Besonderheit der Lernweise, die diese Organisationen vertreten, besteht darin, dass sie die Lernenden die Lerninhalte selbst aufarbeiten lassen. Das fördere Eigenverantwortung, Engagement und Teamfähigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt heutzutage sehr gefragt seien. Diese Möglichkeit ist aber nur für diejenigen eine Alternative, die die Hochschule/ Universität nicht absolvieren können, und ersetzt nicht den traditionellen Unterricht.
Wird bei einem Stellenangebot eine Bewerbung gebraucht, ist dazu auch ein Lebenslauf erforderlich. Darin steht aber bei den Daten des Studiums: „ohne Abschluss“. Das wirkt nicht besonders positiv auf die Beurteilung des Bewerbers, und im Vorstellungsgespräch wird gewiss nach den Gründen gefragt. Außerdem betrachten viele die Studienabbrecher auch noch heute als verkrachte Existenzen, weil sie nicht dazu fähig waren, was andere problemlos hinter sich haben. Um solchen Vorurteilen vorzubeugen, ist eine gründliche Überlegung und Vorbereitung auf das Studium nötig. Den jährlich herausgegebenen Studienführer für Ungarn lohnt es sich beispielsweise unbedingt zu kaufen. Auch die Tage der offenen Türe an den Hochschulen und Universitäten kann die Entscheidung erleichtern.
Einigermaßen ist das Bildungssystem schuld daran, dass so viele ihr Studium ohne Abschluss verlassen. In Ungarn gibt es beim Aufnahmeverfahren keine Eignungstests und Auswahlgespräche mehr wie früher. Die Abiturnote selbst lässt nichts über die Persönlichkeit des Bewerbers erfahren. Durch eine Auswahlkommission könnten sich die einzelnen Hochschulen und Universitäten die gewünschten und geeigneten Kandidaten auswählen. Dabei könnten neben den Leistungen auch die Motivation, Belastbarkeit und die Ansichten der werdenden Studenten berücksichtigt werden.
Es ist also für die Schüler im 12. Schuljahr besonders wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, welches Fach am besten auf ihre Berufsvorstellungen abgestimmt ist. Erfahrene und seitdem erfolgreiche Studienabbrecher warnen die Studenten vor einer leichtsinnigen Entscheidung: Es gäbe nämlich viele Risiken, und sofort einen Beruf und Erfolg zu erlangen sei keineswegs selbstverständlich. Außerdem würden weder in Deutschland noch in Ungarn Arbeitskräfte mit ein paar Semestern Studium in den Stellenanzeigen gesucht. Unsere prominenten Abbrecher haben es zwar geschafft, Karriere zu machen, die allgemeinen Erfahrungen zeigen aber ein anderes Bild.