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Zeitung << 2/2006 << Immer im Wettlauf mit der Zeit
Immer im Wettlauf mit der Zeit
Ein Stipendiat auf „Medientour” in Kassel
Autor: Zsolt Kozma
Das Besondere an den Medien ist, dass der Empfänger meistens nur das „Endprodukt” zu sehen bekommt. Welche Arbeit dahinter steckt, bleibt verborgen. Niemand würde auf die Idee kommen, dass eine „einfache” Umfrage über die neuen Verkehrsregelungen arbeitsaufwendiger ist als eine Reportage über Windkraftwerke. Der Verfasser dieses Artikels hat alles hautnah in Kassel miterlebt und versucht jetzt die Erlebnisse seines viermonatigen Stipendiums zusammenzufassen, in der Hoffnung, dass die LeserInnen die Arbeit der Journalisten aus einer anderen Perspektive kennen lernen.
Praktikum Nr. 1 – Tageszeitung
„Auf Seite drei ist alles in Ordnung. Martina, du bringst uns also die Bauarbeiten in der Innenstadt mit, Sabine holt die Geschichte über den Vandalismus im Park, Karl macht das Altersheim. Willi, du koordinierst heute die Lokalseite, Ralf die Seite neun. Rita macht die MH-Umfrage, die beiden Praktikanten die Umfrage über die neuen Verkehrsregelungen. Alles klar? Na dann, frohes Schaffen!”
Ich nehme an, dass Sie, liebe Leser jetzt keine Ahnung davon haben, was Sie gerade gelesen haben. Ehrlich gesagt, würde es mir genauso ergehen, wenn ich mein sechswöchiges Praktikum bei der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) in Kassel (Hessen/Deutschland) nicht absolviert hätte. Denn das Zitat stammt aus einer Morgenkonferenz bei der HNA. Jeden Morgen um neun Uhr setzen sich die Mitarbeiter der HNA an den Tisch und koordinieren die Arbeit. Da diese Tageszeitung aus mehreren Teilen besteht (Hefte genannt) müssen sich die Mitarbeiter der einzelnen Hefte untereinander absprechen, wer was und wann macht. Der Chefredakteur hat immer das letzte Wort. Die Teilnahme an der Konferenz ist Pflicht, wer fernbleibt, wird am folgenden Tag einen Kopf kürzer gemacht.
Die Arbeit eines Journalisten erscheint den meisten Menschen fremd. Sie arbeiten am Tisch am Computer, auf den Straßen, in Einkaufszentren, sogar im Auto. Sie sehen immer gut aus, haben es immer eilig. Einige sind neidisch, andere verachten sie. Eines steht fest: ihre Arbeit verlangt viel Zeit und noch mehr Energie. „Mein Leben für eine Reportage!” sagte eine Kollegin bei der HNA. Ein wenig ironisch, doch es steckt viel Wahrheit in diesem „Sprichwort”.
Die sechs Wochen, die ich bei der HNA verbracht habe, waren zu kurz, um alle Schönheiten des Journalismus miterleben zu können, jedoch lang genug, um festzustellen: Man muss immer bei Kräften sein, um den Tag überleben zu können, und die Fähigkeit besitzen, einige Tage im Voraus zu denken. Ohne diese zwei Eigenschaften wird keiner bei einer Tageszeitung überleben. Denn die Seiten, die die LeserInnen jetzt gerade im GeMa lesen, wurden vor Monaten verfasst, die Vorarbeit für die Artikel begann noch früher. Die Mitarbeiter der HNA dagegen haben höchstens einige Tage um eine Reportage fertig zu stellen, doch meistens sind für sie 48 Stunden „alle Zeit der Welt”. Die Tageszeitungen müssen immer die neuesten Nachrichten bieten. „Eine Geschichte von gestern ist morgen nichts wert”, sagte einmal der Chefredakteur zu mir, und am Ende meines Praktikums habe ich auch begriffen, dass er Recht hatte. Die Konkurrenz ist zu stark. Wenn die Zeit vergeudet wird, stirbt die Zeitung.
Das Beste in diesen sechs Wochen war, dass ich alles ausprobieren konnte, was ein Journalist macht. Ich habe Umfragen gemacht, Kurzmeldungen geschrieben, an Reportagen mitgearbeitet, Bilder gemacht und noch vieles mehr. Doch damit sich die lieben LeserInnen auch richtig vorstellen können, wie die Journalisten bei der HNA arbeiten, erzähle ich einen ganz normalen Alltag von mir.
Der Alltag eines Journalisten
Morgen, halb sieben. Mein Wecker klingelt. Ich stehe auf, gehe unter die Dusche. Auf dem Weg dorthin ramme ich fast meine Mitbewohnerin Inna aus Russland. Wir fangen an zu lachen – sie ist auch noch verschlafen. Ein kleines Frühstück und schon muss ich rennen, um die 19 noch erreichen zu können. Der Weg zum HNA-Zentrum dauert ca. 35 Minuten, ich komme gerade noch rechtzeitig zur Konferenz. Meine Aufgabe heute ist, die Kurzmeldungen fertig zu stellen, am Nachmittag muss ich mit einem Kollegen zum Bahnhof, um die Bauarbeiten beim Imbiss zu fotografieren. „Na dann, frohes Schaffen!”
Die Kurzmeldungen werden immer aus den Berichten der Nachrichtenagenturen verfasst. Man muss immer auf der Hut sein, denn die Berichte sind meistens voll mit Informationen, die in eine Kurzmeldung nicht passen. Der Mangel an Platz ist der erste Feind eines Journalisten. Das zweite Problem ist die Sprache selbst. Die Berichte sind zwar auf Hochdeutsch verfasst, doch die einzelnen Sätze sind des Öfteren mehrere Zeilen lang. Die Leser einer Tageszeitung sind (normalerweise) keine Linguisten, die diese Sätze auch verstehen könnten, und wollen auch ihre kostbare Zeit mit der Analyse komplizierter sprachlicher Einheiten nicht vergeuden. Die meisten Menschen unserer Zeit mögen kurze Sätze, die eindeutig sind und einfach genug, um auf den Weg zur Arbeit gelesen werden zu können. Schon sind wir bei Lektion zwei angekommen: Der Journalist muss einfach, eindeutig und kurz das Wichtigste zusammenfassen. Kurzmeldungen zu schreiben ist also keineswegs so leicht, wie sie zu lesen!
Sechs Nachrichten schreibe ich zu Ende, schon ist es an der Zeit, etwas gegen das Verhungern zu unternehmen. Die Mittagspause ist ein wichtiger Punkt in der Tagesordnung, sie dient zur Erholung und zum Informationsaustausch. Die Kantine ist die interne Nachrichtenagentur einer Zeitung.
Kaum habe ich den letzten Bissen meines Schnitzels verdrückt, steht Ralf neben meinem Tisch. Wir haben keine Verdauungszeit, der Artikel über den Imbiss muss bis halb sechs fertig sein, denn er kommt morgen in die Lokalnachrichten. So machen wir uns mit dem Auto auf den Weg dorthin. Am Bahnhof finden wir zwei Baustellen. Doch keine sieht nach einem Imbiss aus. Ralf ruft die Redaktion an und fragt nach der genauen Adresse. Wie es aussieht, sollte die kleinere Baustelle der Imbiss sein. Ist sie aber nicht. Wir machen die Fotos, Ralf fragt einige Bahnbeamte, was sie über die Arbeiten wissen und schon fahren wir zurück. Die digitalen Bilder müssen bearbeitet werden, was ich übernehme, währenddessen Ralf nach weiteren Informationen über die Baufirma sucht. Nach einer halben Stunde sind wir fertig. Jetzt muss „nur” noch der Artikel verfasst werden.
Diese Geschichte ist ein ’Aufmacher’. So wird im Fachjargon ein Artikel bezeichnet, der in einem Heft einer Zeitung auf der ersten Seite steht. Einfacher ausgedrückt: Wenn die Zeitung bei den Lokalnachrichten aufgeschlagen wird, ist unser Artikel der erste. Demnach haben wir 264 Zeilen für den Haupttext, zwei Bilder mit jeweils zwei Zeilen Bildunterschrift und eventuell 12 Zeilen für einen Begleittext. Das erscheint auf den ersten Blick sehr viel, doch das entspricht etwa einer halben Seite im GeMa. Und das ist nicht so viel. Wir basteln mit Ralf den Text zusammen, die Bilder kommen erst am Ende. Jetzt müssen nur noch zwei Kollegen Korrektur lesen, und „schon” sind wir fertig. Es ist bei der HNA Pflicht, einen Artikel von mindestens zwei Kollegen durchlesen zu lassen. Der Artikel ist fehlerfrei und kann abgegeben werden. Im Computerprogramm wird der Artikel als ’frei’ markiert und an die Techniker weitergegeben. Sie bauen ihn ein. Wir sind gerade rechtzeitig fertig, es ist schon fünf Uhr.
Kaum habe ich ein Schluck Mineralwasser getrunken, kommt Willi von dem „Hotstore”. (Die heißesten Nachrichten bekommt er immer als erster, daher kommt die englische Bezeichnung.) Ein Unfall in der Innenstadt hat sich ereignet, die Straßenbahn hat einen Linienbus gerammt. Ein Mann wurde schwer verletzt, es ist ein riesiger Stau entstanden. Ich muss sofort darüber eine Kurzmeldung für die Titelseite mit 30 Zeilen schreiben. Ich habe noch etwa 20 Minuten, dann haben wir Redaktionsschluss, und die Meldung muss morgen unbedingt erscheinen. Ich muss schnell schreiben, das Korrekturlesen übernimmt der Chefredakteur persönlich. Die Meldung habe ich noch im letzten Augenblick frei schalten können.
Ich verabschiede mich von den Kollegen und verpasse die Straßenbahn. Jetzt muss ich zehn Minuten auf die nächste warten. Im Studentenheim angekommen falle ich fast um vor Hunger, so führt mein erster Weg in die Küche. Ich habe noch eine Pizza im Tiefkühlfach, die mein Leben rettet. Am Abend lese ich noch die Nachrichten im Internet, was die größten Online-Zeitungen zu bieten haben, und lege mich dann ins Bett. Morgen kommt ein neuer Tag und ich weiß nicht, was auf mich zukommt, deswegen muss ich fit sein.
Praktikum Nr. 2 – Autofirma
Mein Praktikum setzte ich bei den Kasseler Volkswagen Werken fort. Das VW-Werk ist riesengroß, in Ungarn mit nichts vergleichbar. Es hat zum Beispiel vier Zentralhallen, wo die eigentlichen Autoteile gebaut werden. Sie haben jeweils eine Fläche von ca. drei (!!) Fußballfeldern. Und diese Hallen sind nur ein kleiner Teil des ganzen Werkes.
Die Kommunikationsabteilung koordiniert den Informationsaustausch zwischen den einzelnen Abteilungen, sie steht im Kontakt mit der Leitung der Volkswagen AG und ist auch für die Pressemitteilungen zuständig. Darüber hinaus hat die Abteilung ein eigene, interne Zeitschrift (Pro Kassel), die monatlich erscheint und eine Informationsbroschüre (kurz und bündig), die jeden Tag an das Führungspersonal des Werkes per E-Mail gesendet wird. Hier werden die wichtigsten Nachrichten der letzten zwei-drei Tage innerhalb des Werkes zusammengefasst und mit Fotos illustriert. Hier habe ich fünf Wochen lang gearbeitet.
Die erste Woche war chaotisch. Ich musste mich bemühen, jeden Morgen unsere Abteilung zu finden. Der Leiter der Abteilung hat mich nicht geschont. Wie auch bei der HNA, musste ich die Arbeit der anderen Mitarbeiter machen.
Innerhalb dieser fünf Wochen habe ich zum Beispiel eine Logistikkonferenz besucht, ein Interview mit dem Leiter der VW-Tochterfirma Bugatti gemacht, eine Konferenz in der VW-Hochburg Wolfsburg besucht und viele Interviews mit Mitarbeitern verschiedener Abteilungen gemacht.
Ich habe meine Erfahrungen bei der HNA auch bei Volkswagen gut nutzen können. Die Pressemitteilungen haben mir kein Problem bereitet – ich habe mehrere Dutzend solcher Texte gelesen. Die Artikel in kurz und bündig waren immer nicht mehr als 10-15 Zeilen, die ich auch ohne Probleme verfassen konnte, denn die Kurzmeldungen waren auch sehr ähnlich. Inzwischen habe ich neue Computerprogramme kennen gelernt, die sehr nützlich sind. Eine neue Herausforderung war, dass ich allein in die Stadt fahren musste, falls wir von einer Veranstaltung berichten sollten. Zum Glück hatte ich meinen Führerschein mitgenommen. Dass ich am Ende meines Praktikums das Glück hatte, einen Volkswagen Phaeton nach Wolfsburg und zurück fahren zu dürfen, ist nur eines von den vielen Erlebnissen, die ich nebenbei hatte.
Praktikum Nr. 3 – Rundfunk, Fernsehen
Die letzte Station war der HR – Hessische Rundfunk. Hr4 ist der lokale Radiosender dieser Rundfunkanstalt, dort habe ich drei Wochen verbracht. Meine bisherigen Erfahrungen haben sich auch hier als vorteilhaft erwiesen.
Der Sender ist überaus konservativ, es ist auch kein Wunder: Die Zielgruppe sind die Leute „50+”, also die Menschen über 50 Jahre. Im Programm spielen die Nachrichten, die Musik und Unterhaltungsblöcke mit Interviews und Reportagen eine zentrale Rolle. Die Themen müssen auch an die Zielgruppe angepasst werden.
Meine erste Aufgabe war es, die Berichte der Nachrichtenagenturen zu recherchieren und Meldungen zu finden, die für die Zielgruppe interessant sein könnten. Hier haben die lokalen Nachrichten Priorität, doch es ist auch nicht gleichgültig, ob es sogenannte ’soft news’ oder ’hard news’ sind. In jeder halben Stunde ist ein Block für solche Meldungen eingeplant, die der jeweilige Ansager abhängig von dem Umfang der Nachricht in höchstens 75 Sekunden sprechen muss. Die Zeitplanung ist in jeder Hinsicht einzuhalten.
Die Mitarbeiter des Hr4 rotieren jede Woche, dass heißt, dass sie jede Woche bei einer anderen Abteilung arbeiten. Demnach musste ich die zweite Woche meines Praktikums bei der Musikplanung absolvieren. Hier muss ich gestehen, dass ich den Musikgeschmack der deutschen Zielgruppe 50+ nicht besonders gut kenne, so musste ich am Anfang mit einem Kollegen zusammenarbeiten. Hier zeigte sich der Spruch „In jeder Ecke der Welt findest du einen Ungarn” wieder einmal als stichhaltig: Dieser Kollege war Roland Boros, der mit seinen Eltern vor 17 Jahren nach Deutschland gezogen ist. Ich war durchaus verwirrt, als er mich mit „Szia, Zsolt!” begrüßte. (Übrigens: Der Chefredakteur der Lokalredaktion der HNA, Tibor Pézsa, stammt ebenfalls aus Ungarn. Seine Eltern emigrierten 1956 nach Deutschland.)
Die Musikplanung arbeitet immer acht Tage voraus. Die Musik ist das Gerüst des Programms, es wird mit den einzelnen Blöcken erweitert, deren Länge im Voraus festgestellt wird. So ist das Programm eines Tages praktisch schon eine Woche vorher fertig, nur die Nachrichtenblöcke und die Informationseinheiten werden an dem jeweiligen Sendetag eingebaut. Der Ansager hat nur eine stark begrenzte Freiheit.
Meine letzte Woche verbrachte ich bei der Programmredaktion, wo der Sendevorgang koordiniert wird. Hier muss der jeweilige Kollege immer aufpassen, dass die Informationen und Blöcke immer an der passenden Stelle auf Sendung gehen und die eventuellen Änderungen muss er rechtzeitig an den Ansager weiterleiten. Er ist praktisch das Herz der Sendung. Hier habe ich niemals allein gearbeitet – die Verantwortung war zu groß, und ich hatte noch keine Erfahrung.
Leider konnte ich bei dem Fernsehsender nur eine Woche mitmachen. Hier habe ich nur zuschauen können, wie ein Programm aufgebaut wird und wie die einzelnen Reportagen fertig gestellt werden. Bei einer Reportage über die Windkraftwerke in Hexenfeld habe ich auch mitgemacht. Es war wirklich interessant zu sehen, wie die Reporter zuerst besprechen, was sie fragen werden und was der jeweilige Interviewte darauf antworten wird. Die Schnittarbeiten habe ich noch nie zuvor gesehen, und es war sehr beeindruckend, wie die einzelnen Einheiten zusammengeschnitten und mit Ton ausgestattet werden.
Da das Stipendium der Kasseler Presseclub in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel ausgeschrieben hat, musste ich auch gleichzeitig studieren. Jede Woche am Mittwoch besuchte ich an der Uni eine Vorlesung über den deutsche Naturalismus im 19. Jahrhundert und ein Seminar über die Nachrichtenarten der Medien. Das Seminar passte hervorragend zu meinem Praktikum und hat die theoretische Grundlage gebildet.
Der Journalismus unserer Zeit ist viel anstrengender, als man sich das denken würde. Wir Germanisten haben auch die Möglichkeit, im Medienbereich zu arbeiten, doch was da auf uns wartet und ob wir der Erwartung gemäß arbeiten können, müssen wir selber probieren. Dieses Stipendium bietet die Möglichkeit Erfahrungen in Deutschland zu sammeln, und ich hoffe sehr, dass auch Germanistikstudenten der folgenden Jahrgänge an der Universität Szeged diese Möglichkeit nutzen werden.
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