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Zeitung << 1/2007 << Editorial


Gedanken über die „Schweigenden“, die sich Studenten zu nennen wagen
Autorin: Emília Bata

„Ich werde jetzt provokativ und grüße meine Kameraden von der SS!“, sagte Manfred Augst an einem Kirchentag in Stuttgart 1969 und beging Selbstmord. Ich werde jetzt auch provokativ, aber auf keinen Fall möchte ich etwas so Drastisches tun. In meinem Fall bedeutet der gut bekannte Ausdruck SS etwas ganz anderes, wie man vielleicht denken möchte: SS nenne ich die Leute um uns, – vielleicht sogar Dich selbst, lieber Leser, liebe Leserin – die Schweigenden Studenten. Was das ungarische Wort hallgató heißt (‚Zuhörer’, ‚Schweigende’), nehmen viele wörtlich: sie schweigen und wollen auch schweigen. Sie sind nicht nur Germanisten, das weiß ich, aber wir sind doch Philologen, oder? Wer sollte sich besser, schöner ausdrücken als wir?
Nehmen wir an, dass es ein ganz normaler Tag ist, zum Beispiel Dienstag, wenn man nach der Party am Wochenende wieder wach und belastbar ist und erst später (Donnerstag) an die nächsten Veranstaltungen denkt. Nehmen wir außerdem an, dass es 14 Uhr ist, also nicht zu früh, nicht zu spät, man könnte zuvor ein wenig Pflaumenknödel zum Mittag gegessen haben (na gut, eigentlich sollte man nach dem Mittag eine Stunde lang die Augen zumachen, aber es kann nicht alles perfekt sein). Es beginnt ein Literaturseminar am Institut für Germanistik in Szeged, an dem 16 Studenten teilnehmen können. Wollen. Müssen. Unsere gedachte Stunde beginnt, es ist egal, ob mit einem Referat eines der Studenten oder mit dem Vortrag des Professors selbst. Die Schweigenden sitzen nur und schweigen. Die Frau/ der Mann, die/der vorliest, stellt Fragen zum Thema, versucht Meinungen zu hören (die nicht ihre/seine eigenen sind) und was passiert? Nichts. Gar nichts. Die Schweigenden schweigen. Der Seminarleiter wartet, aber wenn nichts passiert, wählt er oder sie meistens aus zwei Dingen: A) er/sie wählt einen der Schweigenden aus und zwingt ihn oder sie zum Antworten; B) er/sie beantwortet die Frage selbst. Man denke nun, wie schön es für ihn/sie ist, dass er/sie mit sich selbst eine Diskussion führen kann.
Die große Frage ist: warum schweigen die Schweigenden? Einige sagen (falls sie nicht nur schweigen und die Schulter hochziehen), dass sie Angst haben, sprachliche Fehler zu machen. Na und? Wie kann man üben, fehlerfrei zu sprechen, wenn man nie spricht? Sprecht mit Fehlern, aber sprecht! Andere sagen, dass sie keine Meinung zum Thema haben. Warum haben sie dann diese Lehrveranstaltung gewählt? Sollen sie eine wählen, in der sie zum Thema eine Meinung und Ideen haben! Wieder andere sagen, dass sie sich nicht äußern können. Ich muss auch zugeben, mit 18-20 konnte ich mich auch nicht am besten äußern, aber man lernt es nie ohne Versuch! Man sollte beim Lesen sich selbst über das aktuelle Werk (Artikel, Film, Musik) Fragen stellen und sie versuchen zu beantworten. Geht das nicht? Sucht jemanden, der klüger ist als ihr! Der Grund des Problems liegt aber bei etwas ganz anderem: die Schweigenden schweigen nicht nur, sondern lesen auch gar nichts, nur Pflichtliteratur (die auch nur, wenn es unbedingt sein muss). Was kann ich noch sagen? Macht, was ihr wollt, nur schweigt nicht!