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Zeitung << 1/2007 << Die deutsche Sprache und Professor Eichinger


Die deutsche Sprache und Professor Eichinger
Interview mit Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger, dem Direktor des Instituts für deutsche Sprache

Autoren: Anita Ráczné-Romsics, András Horváth

Dieses Jahr findet die 43. Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache (IDS) statt. Die Schwerpunkte der aktuellen Konferenz sind Sprache, Kognition und Kultur. Nach welchen Kriterien werden die Themen einer Tagung festgestellt?
Dieses Jahr haben wir ein relativ allgemeines Thema, das die Ränder der Linguistik ausweiten soll: ein bisschen Neurophysiologie, ein bisschen reine Kulturwissenschaft. Für dieses Jahr wurde die Entscheidung so getroffen, dass 2007 in Deutschland das Jahr der Geisteswissenschaften ist. Wir werden zur Hälfte vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und organisiert, und da haben wir so, wie auch letztes Jahr, ein etwas allgemeineres Thema gewählt. Ansonsten versuchen wir festzulegen, was eben aktuell ist und was mit Forschungsvorhaben des IDS im weiteren Sinne etwas zu tun hat. Ich und die Leitungskollegen diskutieren darüber und dann auch mit dem Wissenschaftlichen Rat. Wir haben immer einige Themen eigentlich schon auf Vorrat, aber manche fallen wieder aus, weil sie nicht mehr so aktuell sind, wie man vielleicht dachte. Jeweils auf der Tagung wird für das nächste Jahr bekannt gegeben, was das Thema ist. Jetzt kann ich es ihnen schon verraten: Grammatik und Grammatiknormen im Jahr 2008. Es passt zu dem, dass unsere elektronische Grammatik, „grammis“ jetzt völlig fertig ist.

Prof. Péter Bassola von unserer Universität ist im internationalen wissenschaftlichen Rat mit anderen ungarischen Sprachwissenschaftlern. Wie kann man Mitglied in diesem Rat werden?
Im Internationalen Rat dürfen wir bis zu 60 Mitarbeiter haben, im Moment sind es ungefähr 45. Die Mitglieder sollen aktive Hochschullehrer sein, und wir bemühen uns, möglichst alle Länder zu repräsentieren. Wir haben einzelne Mitglieder aus den USA, aus Japan, China, aber aus den größeren Nachbarländern, in denen es mehr Germanistik gibt, haben wir zwei Vertreter. Wir bemühen uns, sie so auszuwählen, dass sie unterschiedliches wissenschaftliche Interessen haben. Zum Beispiel so, dass der eine Lexikographie macht, und der andere Grammatiker ist. Jetzt scheiden eine Menge aus, weil sie pensioniert werden, also sind sie keine aktiven Hochschullehrer mehr.

Im Rahmen der Tagung findet eine öffentliche Gesprächsrunde mit dem Titel Mannheim und die Sprache statt. Was ist das Besondere an der Sprache von Mannheim?
Dieses Thema hat verschiedene Akzente. Das Besondere an der Sprache Mannheims ist, dass Mannheim gewissermaßen ein Ballon, eine typische Großstadt von Deutschland repräsentiert. Es gibt 31% ursprünglich nichtmuttersprachliche Menschen hier, wobei die zweite Generation nicht mehr weiß, was genau die Muttersprache der ersten ist. Es gibt auch eine starke Streuung der Stadtviertel: es gibt alte Arbeiterviertel, ich wohne zum Beispiel im alten großbürgerlichen Viertel, wo auch das Sprachverhalten sehr unterschiedlich ist. Dazu gab es im IDS – das ist aber schon 1994 abgeschlossen – eine Stadtsprachenstudie.
Ansonsten spielt es bei der Diskussion eine Rolle, dass überraschenderweise eben hier mit dem Duden-Verlag, dem IDS, dem Goethe-Institut drei große Institutionen sind, die sich mit der deutschen Sprache beschäftigen.
Dann kommt historisch noch dazu, dass hier – die Stadt ist ja 400 Jahre alt – die Kurfürsten relativ früh eine wissenschaftliche Akademie gegründet haben, die sich ab der Gründung sofort auch um Sprachwissenschaft gekümmert hat. Außerdem ist das erste offizielle öffentliche deutschsprachige Theater, das Nationaltheater hier, in dem Schillers Räuber uraufgeführt wurde. Er floh damals aus Stuttgart, aus Württemberg in die Pfalz, und dann konnte er hier Die Räuber aufführen lassen und zwar an der ersten Staatsbühne.

Sie haben an dem Projekt Deutsch in Mittel- und Osteuropa gearbeitet. Haben Sie die ungarndeutschen Dialekte als Grundlagen zu bestimmten Ergebnissen nutzen können?
Ja. Im Programm habe ich unmittelbar zusammengearbeitet mit Kollegen und Kolleginnen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern. Ich habe schon früher mit einem meiner ehemaligen Lehrer Herrn Hinderling zusammen ein Buch „Sprachminderheiten in West- und Mitteleuropa“ geschrieben, das ist Anfang der 90er Jahre erschienen. Da war aber noch Ostblock, man konnte auf dieser Seite nicht forschen. Dann haben wir versucht, das zu ergänzen. Wir haben in Zusammenarbeit mit KollegInnen aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Russland und Rumänien versucht, exemplarisch die Verhältnisse darzustellen. Unsere Partnerin für Ungarn war Frau Knipf-Komlósi, mit der wir auch früher schon Kontakte hatten. Sie hat uns sozusagen die ungarndeutschen Dialekte bekannt gemacht, so dass ich sie auch persönlich kenne.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Land wie Mali oder Burkina Faso als Zielland eines Germanisten gilt. Welche Erfahrungen haben Sie bezüglich der dortigen Germanistik gesammelt?
Ja, das ist schon überraschend, aber lässt sich leicht erklären. Man fragt sich natürlich logischerweise, was ich mit deutscher Sprachgeschichte mitten in Afrika mache. Ich war Assistent an der neu gegründeten Universität Bayreuth, und die hatte als Schwerpunkt Afrika-Forschung. Ich hatte da eine Reihe von Studenten aus Afrika, die dort junge Germanisten oder allgemeine Sprachwissenschaftler waren. Eine Reihe von denen sind jetzt Dozenten. Diese Länder, wie Mali oder Burkina Faso, waren ehemalige französische Kolonialgebiete und haben heute auch das französische Schulsystem mit Deutsch als zweiter Fremdsprache und sie haben einen ganz konventionellen Studienplan für Germanistik. Ich bin insgesamt dreimal nach Westafrika gegangen und habe dort Kurse gegeben. Das waren so genannte Kurzzeitdozenturen, die vom DAAD finanziert wurden.

Ist das Sprachlernen dort viel anders als in Europa?
Ja, natürlich ist es in Afrika ein bisschen anders, man hat aber dort irgendwie einen gewissen Vorteil. Die Studenten haben eine hohe Erfahrung mit Mehrsprachigkeit. Sie haben zuvor eine gesprochene afrikanische Sprache gelernt, und dann haben sie schon als erste Fremdsprache Französisch. Damit erfahren sie schon den strukturellen Unterschied zwischen eben Kentumsprachen wie Bantu oder ähnlichen und einer klassischen europäischen Sprache, und damit kann man schon etwas machen.
Zum Beispiel in der Soziolinguistik gibt es das alte Problem, wie man zwischen den verschiedenen Sprachformen, die man so hat, Kompromisse schließt. Das kann man auch für die Entwicklung der deutschen Sprachgeschichte ganz gut als Modell benutzen, weil Deutsch ja in den indoeuropäischen Sprachen einen Kompromiss darstellt. Im Englischen und Französischen ist ja jeweils die Sprache einer Region zur Hochsprache geworden, also in Frankreich Paris, in England Südosten, also London, während in Deutschland im 15-16. Jahrhundert eine geschriebene Übereinkunft erfolgte. Kein Mensch sprach so, wie Luther schrieb. 300 Jahre hat es gedauert, bis man eigentlich sprechen lernte, wie man geschrieben hat. Für viele afrikanische Sprachen stimmt das zum Teil auch, dass sie einen Kompromiss finden müssen.

Wir haben erfahren, dass Sie den Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache nicht ablehnen. Könnten Sie uns sagen, warum?
So formuliert ist diese Aussage nicht ganz korrekt. Ich bin natürlich auch dagegen, dass man immer mit irgendwelchen komischen englischen Wörtern spricht. Ich hoffe aber, dass in 15 Jahren in unserer Gesellschaft die jungen Leute so gut richtig Englisch können, dass es keinen sozialen Mehrwert mehr bietet, wenn man komische fremde Wendungen in das Deutsche einmischt, sondern eher albern wirkt. Ich denke, dass es sozusagen eine Art Übergangsphänomen ist, dass die Leute so modische englische Wörter in ihre Rede einflechten.
Den Einfluss des Englischen als Ganzes wird man im Moment aber nicht völlig zurückdrängen können. Das war in der deutschen, aber auch in der ungarischen Sprachgeschichte genauso, dass der zivilisatorische Zug so herkam, dass er gewisse sprachliche Folgen hatte. Das Deutsche hat vom achten bis zum elften Jahrhundert hauptsächlich von den Römern gelernt. Ähnlich haben wir lange Jahrhunderte Französisch gehabt, und das passiert im Moment mit dem Englischen. Die gebildeten Schichten werden aber, wie gesagt, so gut Englisch können, dass sie ungern die englischen Wörter integrieren, sondern sie eher als englisch lassen.
Jetzt sieht es noch so aus, dass das Deutsche auf den Einfluss noch reagieren kann. Die Wörter, die man gut gebrauchen kann, werden zum Teil behalten, aber Sie sehen auch, der Wechsel der Modewörter passiert schnell, sie sind nach fünf Jahren wieder tot. Man kann also im Moment sagen, es scheint alles noch normal zu funktionieren, aber wie gesagt, der Einfluss ist natürlich sehr groß, und die Zukunft sieht schwierig aus, weil man nicht genau weiß, wie es weitergeht.

Was halten Sie vom dem Buch von Bastian Sick Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, dessen dritter Band kürzlich erschienen ist?
Ich bin immer froh, wenn sich Menschen um die deutsche Sprache kümmern, egal, ob sie Linguisten, Schriftsteller oder ganz normale Menschen sind. Logischerweise haben dann diejenigen, die sich dazu äußern, unterschiedliche Kompetenzen. Herr Sick kann relativ locker schreiben und in manchen zentralen Fällen hat er auch Recht, aber er teilt auch einige meiner gängigen Vorurteile, die nicht stimmen. Zum Beispiel kann man schlecht unterscheiden, was in gesprochener Sprache und was in geschriebener Sprache üblich ist. Da sind die Beurteilungskriterien immer ein bisschen schwieriger. Das ist aber Journalismus, ich verlange von den journalistischen Stücken nicht, dass sie so intensiv wissenschaftlich sein sollten.