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Zeitung << 1/2007 << Gastvorträge von Dietmar Goltschnigg an der Universität Szeged


Schiller, die französische Revolution und Schnitzlers Leutnant Gustl
Gastvorträge von Dietmar Goltschnigg an der Universität Szeged

Autor: Sándor Török

Ein Gastvortrag hat immer etwas Zweiseitiges in sich: es ist im Grunde genommen kein konkreter Bestand der Lehrveranstaltungen, aber in einem bestimmten Sinne ist es ein wichtiger Teil des Studiums. Man hat in solchen Fällen die Möglichkeit unabhängig von den vorgeschriebenen Kursen etwas für die Weiterbildung zu tun, und dazu kommt noch die Persönlichkeit des Vortragenden, dessen langjährige Forschungen und Arbeiten das Thema bestimmen. Am 24. und 25. April 2007 hatten wir Studierende die Freude an zwei Vorträgen von Dietmar Goltschnigg teilzunehmen, „Schiller und die französische Revolution“ am ersten Tag, und am nächsten über „Sozial- und kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der Wiener Moderne mit besonderer Berücksichtigung von Arthur Schnitzlers Novelle Leutnant Gustl“. Die Gastvorträge wurden von den literarischen Lehrstühlen des Instituts für Germanistik organisiert.

Der erste Vortrag gab uns einen Einblick in die Entwicklung der Sichtweise Schillers von der Revolution, indem er von der Position der Förderung der Revolutionäre zu einer kritischen geriet. Der Grund dafür waren die Ereignisse, die im Namen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auch viel Unmenschliches mit sich brachten. „Der Versuch des französischen Volks, sich in seine heiligen Menschenrechte einzusetzen, und eine politische Freiheit zu erringen, hat bloß das Unvermögen und die Unwürdigkeit desselben an den Tag gebracht“.
Prof. Goltschniggs Vortrag begann damit, dass der genannte Klassiker die französische Staatsbürgerschaft erlangte, wegen seines Beistandes für die bürgerlichen Bewegungen. Nicht nur sein Werk Die Räuber oder die Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen brachten ihm diese Auszeichnung ein, sondern seine Arbeit als Publizist in Zusammenhang mit der Zeitschrift Thalia, indem er Texte der Veränderung darin erscheinen ließ. Thalia war damals ein Sprachrohr der Deutschen, die an der Seite der Revolution waren.
Aber als die Ereignisse fortschritten, ergab sich die Unvereinbarkeit der Revolution und der humanistischen Werte, worauf die ganze Weimarer Klassik baute. Ein Wendepunkt war für Schiller die Ermordung von Ludwig dem XIV.
Und mit seiner französischen Staatsbürgerschaft, die er erst mit 6 Jahren Verspätung in Händen halten konnte, war Schiller mit den Ergebnissen der französischen Revolution im humanistischen Sinne nicht zufrieden. „Nicht durch einen gewaltsamen Umsturz (Französische Revolution), sondern durch eine evolutionäre Fortentwicklung (langsame Höherentwicklung) der Gesellschaft gelange man zu dem Ziel des Vernunftstaates“.
Am nächsten Tag waren auch politische und geschichtliche Hintergründe der Literatur das Thema, genauer gesagt die Faktoren, die ihre Wirkung auf die Wiener Jahrhundertwende ausübten. Wie Professor Goltschnigg auch formulierte, die größte Wirkung auf die Epoche übte die Krise der liberalen Politik aus. Indem das geschwächte liberale Spektrum seinen Platz den Massenparteien übergeben musste. Damit kamen auch antisemitische Kräfte zum Vorschein. Die Generation, die mit den liberalen Werten aufgewachsen war, hatte nur eine einzige Wahl, die Entfremdung.
Neben diesen Bedingungen müssen wir auch die Arbeit von Sigmund Freud erwähnen, der mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit aus dem Menschen einen „homo psychologicus“ machte. Die inneren, meist gar nicht bewussten Mechanismen kamen ans Tageslicht. Dies alles wurde zum Gegenstand des Schreibens.
Das Leben wurde analysiert und beobachtet. Ein sehr gutes Beispiel ist Schnitzlers Leutnant Gustl. Diese Erzählung war der erste innere Monolog in dieser Sprachumgebung, und damit produzierte Schnitzler einen Text, der die inneren Vorgänge eines Soldaten zeigt, die auf keinen Fall eine logische Reihenfolge haben, sondern eher sehr chaotisch und kleinlich sind. Also der Blick in den Kopf.
Am Ende des Vortrages konnte man bestätigen, dass solche politischen Umstände, unter denen der denkende Mensch seinen Platz nicht finden kann und die wissenschaftlichen Ergebnisse der Psyche-Forschung auch solche auf das Innere fokussierten Erzählungen zum Ergebnis haben, einen über der Epoche hinaus weisenden Wert haben können.


O. Univ.-Prof. Mag. Dr. Dietmar Goltschnigg

Geboren am 12. November 1944 in Würz­burg/M.

1964-1970: Studium der Germanistik und Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz
1974-1976: Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am Deutschen Institut der Universität Mainz
1978: Gastdozent in Salzburg
1980/81: Gastprofessor in Ljubljana
1981: Ernennung zum Ordentlichen Universitätsprofessor für Neuere deutsche Sprache und Literatur am Grazer Institut für Germanistik
1984-1986 und 1988-1990: Vorstand des Grazer Instituts für Germanistik
1991-1996: Prädekan, Dekan und Prodekan der Grazer Geisteswissenschaftlichen Fakultät
1994-2004: Literaturwissenschaftlicher Projektleiter des kulturwissenschaftlichen Spezialforschungsbereichs „Die Moderne. Wien und Zentraleuropa um 1900“

Weitere Gastprofessuren in Sofia (1986), Maribor (1998), Pécs (1994, 1999, 2002), Lund (2003) und Jyväskylä (2003); ferner über dreihundert Gastvorträge in Europa, in den USA, Kanada, Israel, Peru und Japan.