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Zeitung << 1/2007 << Reportage über das ungarndeutsche Dorf Tschasartet
Wer weiß, was Plutzkrl oder Flodrwisch bedeutet?
Reportage über das ungarndeutsche Dorf Tschasartet
Autorin: Tímea Almási
Früher machte ich oft eine Fahrt nach Császártöltés (auf Schwäbisch Tschasartet), weil das eins unserer Nachbarndörfer ist, und ärgerte mich darüber, dass ich die deutsche Unterhaltung der alten Frauen nicht verstand, obwohl ich Deutsch lernte. Es ist kein Wunder, denn sie sprachen Mundart. Ich entschied, mir ihr Leben ein wenig näher anzuschauen, ihre Geschichte kennen zu lernen.
Mit der Ansiedlung der Deutschen im 18. Jahrhundert wurden viele Dörfer gegründet, oder die Deutschen mischten sich mit der ungarischen Bevölkerung. Sie brachten ihre Kultur mit und übernahmen natürlich bestimmte Gewohnheiten. So ist die ungarndeutsche Kultur entstanden, die je nach Gebiet ein reiches, unterschiedliches Bild zeigt. Ich hatte das Glück, einen Blick in das Leben eines Dorfes zu werfen, in dem die Pflege der ungarndeutschen Kultur eine wichtige Rolle spielt.
Schon in der Zeit der türkischen Herrschaft gab es ein Dorf unter dem Namen „Császártõtös” zwischen der Donau und der Theiß. Nach der Vertreibung der Türken war auch diese Gegend verödet, brauchte Handwerker und Bauern, die das Feld bewirtschaften können. Der Erzbischof von Kalocsa siedelte im Jahre 1743 35 Familien in Császártöltés an. Sie fuhren mit den Ulmer Schachteln über die Donau. Weil nur Ehepaare die Fahrt unternehmen durften, heirateten viele direkt vor der Abfahrt. Die Siedler bekamen drei Jahre Steuerfreiheit, Baumaterial und Tiere. Nach der Tradition stammt die Mehrheit der Einwohner aus Mecklenburg, aber nach Forschungen wurde als Stammort Oberschwaben bezeichnet. Die meisten Familien können ihre Wurzel bis in die 1740er Jahre zurückführen. Dank der fleißigen Einwohner entwickelte sich ein hübsches Dorf mit Weingärten.
Ich hatte die Möglichkeit, ein Museum in Császártöltés zu besuchen. Es ist eigentlich ein traditionell ungarndeutsches Bauernhaus. Mir fielen sofort die spezielle, wellige Form des Giebels und die Verzierung aus farbigem Glas an der Eingangstür auf. Durch diese Tür kann man den Gang betreten, der an der nördlichen Seite des Gebäudes liegt und durch wilde Weinreben umlaufen ist. Man brauchte diese nicht zu spritzen, im Sommer geben sie Schatten und schützen vor Gewitter. Vom Gang können wir in die Küche treten, die in der Mitte des Gebäudes ist. Das Haus hatte übrigens insgesamt drei Räume. Das Zimmer, dessen Fenster auf die Straße gehen, war das so genannte saubere Zimmer. Das andere diente als Kammer oder Wohnstube.
Die Küche war der Schauplatz des Alltagslebens. Hier sitzt gerade eine Frau, natürlich in Volkstracht, vor der ich im ersten Augenblick sehr erschrocken bin. Sie sitzt am Tisch, auf dem ein echtes, im Backofen gebratenes Brot liegt. Damals wussten die Leute noch, was sie gegessen haben. Statt des Wortes Backofen wurde oft „sparhelt” benutzt, wie auch hier. Darin findet man auch Geschirr, um Wasser warm zu halten, und darauf liegt ein Bügeleisen, das noch mit Glut funktionierte. Als ich das betrachtete, fiel mir ein, wie viel einfacher das Leben heute ist. Niemand mag aber deswegen lieber bügeln, das ist interessant. In der Ecke steht der Trog, in dem der Teig geknetet wurde. In der anderen Ecke finden wir das damalige Badezimmer, ein „vájling’ auf einem Regal. Auch die Waschmaschine darf nicht fehlen, aber das wurde damals als „mángorló” bezeichnet. Eigentlich ein Brett mit Falten. An der Wand sehen wir Regale, mit verschiedenem Geschirr. Ich war überrascht, wie praktisch die Leute damals lebten. Ich interessierte mich für einen Krug mit einer ungewöhnlichen Form. Die Antwort war einfach: er wurde von im Weingarten arbeitenden Menschen in den Boden gegraben, um das Wasser kühl zu halten. Übrigens wurde er mit einem schönen schwäbischen Wort als „Plutzkrl” bezeichnet. Ich möchte auch den Besen aus Federn, also „Flodrwisch” nicht auslassen. Man könnte über solche Dinge noch lange erzählen, aber gehen wir weiter.
Im sauberen Zimmer stehen zwei hohe Betten mit unendlich vielen Kissen. Der Spiegel an der Wand hängt so, dass ich nur meinen Bauch sehe. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber damals war er sehr modisch. Am Nachttisch fand ich eine alte Bibel in Fraktur und noch einen Kalender. Sie haben nicht allzu viel Freizeit gehabt, auch im Winter fanden sie Arbeit, wie die Nähmaschine in der Ecke zeigt. Der Backofen, der von der Küche herüberreicht, gab allerdings für die „Sitzarbeit“ genug Wärme. Hier verbrachten die Leute wenig Zeit.
Im anderen Zimmer, das als Wohnstube diente, erinnern wir uns heute an die Leute, die nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesiedelt oder zur Zwangsarbeit abtransportiert wurden. Sie durften nur ein kleines Bündel mitnehmen, wir können auch hier eines sehen.
„In der Wiege geschankelt, mit einem Bündel rausgeschmießen”, steht an der Wand neben den Briefen, die aus Russland geschickt wurden. Viele der Schreiber sind nie nach Hause zurückgekehrt.
Nach dem Museumsbesuch gingen wir auf den Friedhof, um alte Gräber zu finden. Es regnete und wir mussten mit dem Dreck kämpfen, aber es lohnte sich. Unterwegs konnten wir die so genannten „Hofstella” besichtigen, die eigentlich Weinkeller sind. Diese wurden in den Löshang gebohrt, manchmal 6-10 Meter weit. Früher hatten alle Familien ein Haus, dahinter einen Weingarten und ganz hinten eine Hofstella. Heute werden diese vermietet. Auf dem Friedhof haben wir ganz alte Gräber gefunden, und auch manche Inschrift in Fraktur. Heutzutage können nicht mehr viele Leute Fraktur schreiben. Mir gefiel besonders, wie die Verwandten von den Verstorbenen Abschied genommen haben. Zum Beispiel: „Hier, im Rosengarten erwarten wir unsere vier Kinder”. Hier verstehen wir unter Rosengarten natürlich den Himmel, diese Redewendung wurde oft in dieser Gegend verwendet.
Das Dorf hat einen Kindergarten und eine Grundschule. Die Schule hält Kontakt mit Deggenhaus, um Austauschprogramme durchzuführen. Die Kinder haben die Möglichkeit, an nationalen Wettbewerben im Bereich Gedicht und Prosa teilzunehmen. Die Tanzgruppe des Ortes ist aktiv, wenn es um Dorftage oder Fernsehaufnahmen geht. Aber wir können auch das Orchester erwähnen. Früher wurden auch schwäbische Bälle organisiert. Die älteren Leute können darüber unendlich viel erzählen.
Heute passen sich die Ungarndeutschen immer mehr an die ungarische Bevölkerung an. Nur die älteren Leute verwenden die Wörter, die im Titel stehen. Das ist so in Ordnung, sie leben seit Jahrhunderten auf diesem Land. Ich finde es aber besonders gut, wenn jemand nicht vergisst, woher er stammt. Und so wird die Kultur unseres Landes reicher.
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