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Zeitung << 1/2007 << Wo befindet sich Csólyospálos?


Wo befindet sich Csólyospálos?
Ein angenehmer Nachmittag bei den Gereschers

Autorin: Tímea Almási

„Wenn wir nichts geschaffen hätten, wären die 25 Jahre auch vorbei” steht als Motto in dem Heft von Konrad Gerescher, das auch das GeMa mit der Einladung bekam. Wir wurden „zum Jahr des offenen Tors” eingeladen, um an einer kleinen Gedenkfeier teilzunehmen und ein feines Mittagessen zu verzehren.

Die Gruppe war vorbereitet, und wir fuhren am 28. April 2007 nach Csólyospálos, das von geschichtsträchtigen Sanddünen umgeben ist, in denen neueste Ausgrabungen wertvolle Gegenstände aus Ton und Bronze von den hier siedelnden Kumanen zu Tage brachten. Als wir an der Bushaltestelle ankamen, wurden wir von Konrad Gerescher herzlich begrüßt. Wir fuhren mit seinem Auto zur „Künstlertanya”, die, ebenfalls auf sandigem Feld gelegen, zwar keine alten, aber manche neue Schätze beherbergt. Denn was wir sahen, war wirklich ein künstlerisch eingerichtetes Tanya-Kleinod. Die Allee, welche zum Haus führt, ist mit lebensgroßen Kunststeinfiguren und Statuen geziert, die von Frau Maria Gerescher Molnár in den letzten Jahren geschaffen wurden, und die auch zahlreich im Vorderhof der Tanya stehen. Neben dem gemütlichen Haus sahen wir viele Tiere, wie auf einem echten ungarischen Bauernhof.
Konrad Gerescher lebte früher in Deutschland. Vom Anfang an interessierte mich, warum er eben Ungarn und diese Lebensweise wählte. Nach dem feinen Mittagessen unterhielten wir uns. Er zeigte uns eine Auswahl seiner Bücher, und auch die Gemälde seiner Frau konnten wir im Haus und Atelier besichtigen. Bei einem persönlichen Gespräch beantwortete er gerne meine Fragen.
Konrad Gerescher ist in der jugoslawischen Batschka geboren, in dem Grenzdorf Backi Breg/Béreg an der Donau. Der Ort war, wie die gesamte Batschka, zwischen ’41 und ’44 von Ungarn besetzt, aber vor dem Vertrag von Trianon gehörte er zu Ungarn. Also stammen seine Wurzeln von hier. Viele Jugoslawiendeutsche der Batschka zählen sich auch eher zu den Ungarndeutschen, weil sie von dem jugoslawischen Tito-Regime nach dem Krieg brutal behandelt und restlos vertrieben wurden. Gerescher hatte die Absicht, die ungarische Sprache besser zu erlernen und beschloss nach seiner Scheidung in Deutschland, ein Jahr in Ungarn zu verbringen. Dann lernte er Maria Molnár kennen, und sie entschieden, sich in Ungarn niederzulassen. Er fügte hinzu, dass diese Sprache nicht so einfach ist, aber er beherrscht sie schon gut in Wort und Schrift.
Zusammen bauten sie die Künstlertanya in Csólyospálos aus und arbeiten auch laufend an ihrer Verschönerung. Sie fühlen sich in der ungarischen Puszta sehr wohl. Als sie eine kurze Zeit in Deutschland lebten, merkten sie trotz der guten Lebensbedingungen, dass „bei dem Pusztaschmetterling schon nach einem Jahr die Sonnenflügel begannen bedenklich zu hängen.” „Von hier, nahe Kömpöc, stammten Mias beide Großeltern-Linien” steht im Gedenkheft. „Bis es aber soweit war, dass ich und Maria Theresia Molnár heiraten und aus der ursprünglichen Kleintanya mit dreiviertel Joch Garten den heutigen Besitz, mit dem bäuerlich-künstlerischen Flair inmitten 15 ha Feld schaffen konnten, sollte ein Vierteljahrhundert vergehen.”
Herr Gerescher hat auch für die Bewahrung der ungarndeutschen Kultur viel getan. Er gründete das Deutschforum Szeged, das sich mit der ungarndeutschen Minderheit und ihrer Volkskunde beschäftigt und ein umfangreiches Bild der Kulturpflege und der Veranstaltungen in der Region Szeged bietet. Seiner Äußerung nach war ihm die Pflege der Kultur von Ungardeutschen am Anfang nicht so wichtig. Erst als er sich mit dem Handwerk der Ahnen beschäftigte, bemerkte er einen Mangel. Im ungarischen Alltag ebenso wie im Konversationslexikon waren ungarndeutsche Begriffe vorhanden, die er in deutschen wissenschaftlichen Werken nicht entdeckte. Zwischen den beiden Weltkriegen haben auch viele ungarndeutsche Wissenschaftler für die ungarische Wissenschaft gearbeitet. Ihre Erkenntnisse fehlten nun dem Ungarndeutschtum. „Ich wollte darin eine kleine Lücke schließen und in Richtung ungarndeutscher Volkskunde verändern. So entstanden zuerst meine Mundartbücher. Die darin vorkommenden Stichworte ergaben dann das Mundartlexikon ’Donauschwäbisch-Deutsch’ mit ca. 3000 Begriffen.“ Insgesamt hat Herr Gerescher bei ungarischen und deutschen Verlagen 18 Bücher herausgegeben, und er schrieb mehr als 200 Zeitungsartikel. Wir konnten einige Artikel von ihm auch schon im GeMa lesen. Er hält das Schreiben für ein angeborenes Talent. Dadurch befreit er sich, wie er meint, von inneren und äußeren Spannungen. Viele Menschen entspannen sich in Gesellschaft, durch Sport oder mit einem Hobby, aber ihm liegt das Schreiben. Mit den Themen hat er kein Problem, diese drängen sich in der vielseitigen Umgebung auf, und er verarbeitet sie durch ein bis zwei Stunden Schreiben am Tag. Auf seinem PC stehen mindestens ein Dutzend Themen abrufbereit. Er machte auch die Bemerkung, dass sich politische Themen nicht lohnen, denn „politisch Lied ist garstig Lied”.
Seine und die schöpferische Kunst seiner Frau spielen eine wichtige Rolle im Leben der beiden. Sie schaffen etwas Neues, für ihre Lebenseinstellung Typisches. Im Gedenkheft steht es so: „Meine Frau Mia fand nur hier in der vollkommenen Naturverbundenheit schon als Schulmädchen und bis zum dreißigsten Lebensjahr ihre Erfüllung. Ihre Ölgemälde halten sich ungefähr die Waage mit den Skulpturen im Hof und in der Zufahrts­allee, was zahlenmäßig eine Verdoppelung unserer gemeinsamen Jahre ausmacht. Dazu kommen renovierte Wegkreuze, Kreuzweggemälde dreier Kirchen, neue Wandbilder und erneuerte Statuen, Reliefe, um nur die größeren Schöpfungen zu nennen.”
Er ist der Meinung: „Man kann zu zweit viel mehr beginnen, sich besser verteidigen, mit vier Augen etwas genauer betrachten, und so ergänzen wir uns, denn meine Frau ist sehr belesen, und ist meine beste Kritikerin.”
Nach dem Mittagessen erzählte er stolz von einigen Gedichten, wie er sie noch in seiner Jugend verfasste. In der Grundschule seiner Enkelin hat die Lehrerin eines aus den ’Gezeiten’ (Chr. Gauke Verlag, Hann. Münden, 1974) ausgesucht, um es von allen Schülern auswendig lernen zu lassen.

„Die Spatzenmatratze
Die kluge Gemahlin eines Spatzen
fand einen Prospekt über weiche Matratzen.
Sie nahm ihn an sich, flog damit nach Haus
und machte ein weiches Nest daraus.
Seitdem schwärmt die Gemahlin des Spatzen
immerzu von den weichen Matratzen.”

„Ich habe mich darüber mehr gefreut, als hätte mein Buch eine dritte oder vierte Auflage erreicht” sagte er bewegt. Er gab zu, dass er nicht mehr so jung sei, aber als wir über die Zukunft zu sprechen begannen, stellte sich schnell heraus, dass es noch einige Pläne gibt. Er würde gerne eine größere Arbeit zusammen mit dem GeMa-Team herausgeben. Ferner müsste noch der ’Batschkaer Ahnenspiegel’ auf andere Landesteile Ungarns ausgeweitet werden. Seiner Meinung nach wollen viele nicht wahrhaben, dass die Lebensverhältnisse der Batschkaer Deutschen denen ganz Ungarns ähnelten.
„Das wären meine Wünsche. Ob sie sich erfüllen können, weiß ich nicht, weil der alternde Mensch nicht mehr kann, wie er will. Und ich bin immerhin schon über siebzig” Herr Gerescher hat auch einen Rat für die Studierenden übrig: „Ich meine, dass die Sprache bei Menschen ein Grundbedürfnis darstellt, und es ist nicht gleich, ob ich eine Sprache erlerne oder ob ich sie erlebe. Das Gelernte ist theoretisch, aber das Erlebte ist praktisch, und genauso, wie der Mensch nicht nach einem Buch leben kann, kann er auch nicht nach einem Buch sprechen. Entweder sollte er mit jemandem das Gelernte weiter üben oder am besten die Sprache im Mutterland gründlich auffrischen”.
Ich bedankte mich für das Gespräch und wir gingen zu den anderen zurück. Unsere Gruppe aus acht Personen verbrachte hier den ganzen Nachmittag, und wir merkten erst, dass die Zeit viel zu schnell vergangen ist, als wir mit dem Linienbus wieder nach Szeged zurück mussten.