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Zeitung << 1/2007 << Interview mit der Gymnasiastin Boróka Németh


Deutschland oder Ungarn? Das ist hier die Frage…
Interview mit der Gymnasiastin Boróka Németh

Autorin: Zita Schleier

Die achtzehnjährige Boróka Németh besucht im Frühling 2007 die Valéria Koch Mittelschule in Pécs. Davor war sie mit einem Stipendium ein Schuljahr vom 5. September 2005 bis 3. August 2006 am Faust Gymnasium im deutschen Staufen.

Wie und warum kamst Du nach Deutschland?
Ich hörte in meinem Gymnasium von unserer Direktorin, dass es die Möglichkeit gibt, dieses Stipendium für ein Jahr Deutschlandaufenthalt zu bekommen. Man hatte eine Woche Zeit zu überlegen, ob man es probieren will oder nicht, denn es war vom Anfang an klar, dass, falls man das Stipendium kriegt, es keinen Rückweg mehr gibt und man dann unbedingt fahren muss. Ich sagte, gut, ich probiere es einfach. Zuerst musste man etwas über sich schreiben (Pläne, Motivation, Vergangenheit, Interessen, Vorstellung, Hobbys), dann nach Budapest fahren, wo ein Gespräch stattfand. Es war ganz locker: es wurde gefragt, warum man fahren will, und einige Informationen kriegte man noch über das Stipendium. Nicht das wird geprüft, wer am besten Deutsch spricht, sondern, ob man geeignet und reif genug ist, alleine ein Jahr lang in Deutschland bei einer total fremden Gastfamilie leben zu können.

Wo hast Du dort gewohnt?
Ich wohnte in Ehrenstetten, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Freiburg. Freiburg war leicht zu erreichen, ca 12 km, denn die Busse fuhren sehr häufig. Alle Stipendiaten lebten in einem Dorf, niemand in der Stadt. Es hat sowohl Vorteile als auch Nachteile, aber im Großen und Ganzen war es in Ordnung. Die Schule war in Staufen. Man sagte, dass Goethes Faust dort gelebt hat, obwohl jeder weiß, dass es in Wirklichkeit keinen Faust gegeben hat. Die Schule war groß, 1200 Schüler von der 5. bis zur 13. Klasse.

Kanntest Du deine Familie vorher?
Die Familie kannte ich gar nicht, bis ich angekommen war. Die Stiftung organisierte die Familien für die Stipendiaten. Es gab keine Wahlmöglichkeiten, weder für die Familien noch für uns.

Inwieweit ist die Schule in Deutschland anders als bei uns?
Der größte Unterschied ist die Methode, wie man lehrt. In Deutschland liegt der Schwerpunkt auf der Mitarbeit während der Stunden, sie macht 50% der Endnote aus, wird also sehr ernst genommen. Sie gilt als Motivation, um aufzupassen und von Stunde zu Stunde zu lernen. Außerdem werden dort die Tests lockerer genommen, aber die Schüler kriegen mehr solche Aufgaben, die sie zu Hause allein lösen müssen.

Gibt es dort Stunden, die bei uns nicht existieren?
Ja, ich hatte Reli (Religion) und Gemeinschaftskunde. Bei Reli konnte ich wählen, ob ich zur katholischen oder evangelischen Reli will oder zur Ethik gehen möchte. Die Gemeinschaftskunde fand ich echt praktisch. Die Sachen, die da gelehrt werden, gehören zur Allgemeinbildung und man kriegt Antworten auf Fragen, die die Politik oder Verwaltung betreffen.

Was war deine Lieblingsstunde?
Deutsch, natürlich. Reli und Geschichte mag ich auch sehr gern. Deutsch gefiel mir besser als bei uns, denn bezüglich der Literatur lernten wir nicht maßlos Daten und Jahreszahlen von Dichtern und Schriftstellern, sondern wir lernten, wie man literarisch denkt. Reli war auch sehr angenehm, weil wir sehr viel redeten und diskutierten.

Ein Schuljahr bedeutet 11 Monate. Das ist eine sehr lange Zeit. Gab es da auch Ferien?
Es gab nur zweimal Schulferien, die ich streng einhalten musste. Ich durfte nur während der Ferien heimfahren, immer mit der Erlaubnis des Schuldirektors von Staufen. Ich fuhr zweimal nach Hause: zu Weihnachten und zu Ostern. Viele Stipendiaten fuhren eine Woche nach Hause, aber ich wollte auch etwas von den Ferien dort verbringen, um die Umgebung zu entdecken und einfach ein bisschen das Leben zu genießen.

Du bist jetzt schon achtzehn Jahre alt, stehst also vor der Universitätswahl. Übte dieses deutsche Schuljahr einen so großen Einfluss auf dich aus, dass Du eine deutsche Universität wählen wirst, vielleicht auch das Fach Germanistik?
Ehrlich gesagt will ich unbedingt an einer ungarischen Universität studieren. Die im Ausland verbrachte Zeit tat mir gut, ich erweiterte meine Deutschkenntnisse, lernte die Kultur näher kennen, aber trotzdem möchte ich keine Germanistik studieren. Doch falls jemand es will, kann ich ihm das Land herzlich empfehlen.