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Zeitung << 1/2007 << Das Leben der Anderen


Das Leben der Anderen
Ostdeutscher Zeitspiegel mit dem Oscar ausgezeichnet

Autor: András Horváth

Zum dritten Mal wurde 2007 ein deutscher Film mit dem Oscar ausgezeichnet. Diesmal hat es das Stasi-Drama Das Leben der Anderen geschafft: es wurde zum besten nicht-englischsprachigen Film gewählt. Seine Vorgänger waren Nirgendwo in Afrika (2003) und Die Blechtrommel (1980). Als Rivalen wurden Filme nominiert, wie zum Beispiel die spanisch-mexikanische Koproduktion Pans Labyrinth (El Laberinto del Fauno) oder der kanadisch-indische Film Water. Das Leben der Anderen lief im Frühling 2007 in den Kinos in Deutschland, in Ungarn unter dem Titel A mások élete.

Was den Film zum Erfolg machte, ist nicht mit einem Wort auszudrücken und nicht nur auf einen Aspekt zurückzuführen. Die Zeit der Überwachungen, Erpressungen und Einschüchterungen der 80er Jahre wird hier betrachtet, aber aus einem anderen Gesichtspunkt, als das in den früheren DDR-Filmen (wie z.B. Good Bye Lenin!, Der Tunnel, Sonnenallee) der Fall war. Die Geschichte wird dabei äußerst dramatisch erzählt, der Zuschauer erhält unmittelbar Einblick in das Leben eines Stasi-Mitarbeiters und dadurch in den geheimen Hintergrund des damaligen Systems.
Der Großteil der Handlung spielt 1984 in Ostberlin. Bereits der Beginn verleiht dem Film die dramatische Stimmung: die Handlung fängt mit einem Verhör an, in dem der Verdächtigte nach der mehrstündigen konsequenten Befragung des Stasi-Offiziers seine Schuld gegen das System zugibt. Er kann den starken physischen Druck nicht länger aushalten. Der Offizier Gerd Wiesler ist feindlich und erbarmungslos, er scheint keine Seele zu haben. Wie sich später herausstellt, hat er kein Privatleben, keine gefühlvollen Beziehungen zu Menschen und lebt in einer kleinen Wohnblockwohnung.
Jedes unvorsichtig gesagte Wort, jede unbedeutende Beziehung zu anderen kann die Aufmerksamkeit der Staatsicherheit auf sich ziehen. Der Theaterschriftsteller Georg Dreymann schreibt aus der Sicht des Staates nur Belangloses und hat scheinbar nichts gegen das System vor. Er lebt zusammen mit seiner Freundin, der Schauspielerin Christa-Maria Sieland. Trotzdem entscheiden sich Wiesler und Kultusminister Hempf, dass er beobachtet werden muss. Wiesler richtet eine Überwachungsstelle auf dem Dachboden Dreymanns ein und lässt die Wohnung vom Schlafzimmer bis zur Küche verwanzen. Er hört da oben alles, was in der Wohnung vor sich geht: wenn sie Gäste haben, wenn sie miteinander reden, sogar, wenn sie sich lieben.
Der unmittelbare Einblick in das Leben der Anderen hat auch auf den gefühllosen Wiesler Einfluss. Seine Aufgabe, etwas Belastendes zu finden und zu berichten, kann er immer schwerer erfüllen. Inzwischen ändert sich langsam auch Dreymanns Einstellung, keine Kritik gegen den Staat zu richten. Er hat Beziehungen zu Schriftstellern im Westen und einen Freund, Albert Jerska, der seit Jahren Berufsverbot hat. Von ihm bekommt Dreymann ein Klavierwerk zum Geburtstag, Die Sonate vom guten Menschen. Nachdem sich Jerska plötzlich das Leben nimmt, kann Dreymann nicht mehr schweigen. Er schreibt einen Artikel über die geheim gehaltene erschreckend hohe Selbstmordrate der DDR, und lässt den Artikel mit Hilfe seiner westlichen Freunde im westdeutschen Magazin Spiegel veröffentlichen. Interessanterweise standen im Artikel Daten darüber, dass es nur ein einziges Land damals gab, das eine höhere Selbstmordrate als Ostdeutschland hatte, nämlich Ungarn.
Dem Artikel folgt ein Skandal, die Stasi versucht mit allen möglichen Mitteln zu erfahren, von wem der Text stammt. Auch Dreymann gerät in Verdacht, und hier beginnt für ihn der Alptraum. Doch kann ihn weder eine persönliche Tragödie, noch die ständige Schikane der Stasi daran hindern, nach der Wiedervereinigung sein Buch zu veröffentlichen, das er seinem ehemaligen Beobachter widmet. Aus welchem Grund er das tut, soll sich erst nach dem Filmerlebnis herausstellen.
Einige äußern sich skeptisch über die Frage, ob Das Leben der Anderen den Oscar verdient hat. Ich kann das selbst nicht beurteilen, doch der Film hat mich und die Zuschauer tief bewegt. Ich hatte die Gelegenheit, mir den Film in einem Heidelberger Kino anzuschauen und die Stimmung – von Deutschen umgeben – mitzuerleben. Auf sie hat die Aufarbeitung ihrer jüngsten Vergangenheit eine besonders bedrückende Wirkung ausgeübt. Als der Film zu Ende war, herrschte eine ungewöhnliche Stille im Kino, die Zuschauer strömten nicht sofort aus dem Saal hinaus, sondern warteten, bis alle Schauspieler und Beteiligten auf der Leinwand erschienen. Ich war nicht daran gewöhnt. Ich kann nicht feststellen, ob Ausländer die erzählte Geschichte genauso nachvollziehen können wie die Deutschen. Trotzdem bin ich froh, dass ich die Möglichkeit hatte, diesen Film im Heimatland zu erleben. Wir, die wir der jüngeren Generation angehören, kennen meistens nur aus den Geschichten unserer Großeltern, wie viel die Menschen damals in diesen schwierigen Zeiten leiden und erdulden mussten. Dieser Film trug dazu bei, dass ich in diese Welt, über die sowohl die Ungarn als auch die Deutschen ungern sprechen, einen näheren Einblick gewann.


Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck, Musik: Gabriel Yared (bekannt für den Soundtrack zu Der englische Patient), Stéphane Moucha; 137 Minuten; 2006;
Verleih: Buena Vista

Darsteller: Ulrich Mühe (Gerd Wiesler); Sebastian Koch (Georg Dreymann); Martina Gedeck (Christa-Maria Sieland); Thomas Thieme (Minister Hempf); Volkamar Kleinert (Albert Jerksa); Ulrich Tukur u.a.

Preise und Auszeichnungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Bayerischer Filmpreis 2006 – 4 Auszeichnungen
Deutscher Filmpreis 2006 – 7 Auszeichnungen
Europäischer Filmpreis 2006 – 3 Auszeichnungen
Internationales Filmfestival Warschau 2006 – Publikumspreis
Goldene Henne 2006 – Ulrich Mühe ausgezeichnet
Golden Globe 2007 – Nominierung (Bester fremdsprachiger Film)
Oscar 2007 - Bester nicht-englischsprachiger Film