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Zeitung << 1/2007 << M - Eine Stadt sucht einen Mörder


M - Eine Stadt sucht einen Mörder
Der erste Tonfilm von Fritz Lang

Autorin: Tünde Boda

Der erste Tonfilm von Fritz Lang ist ein zum Filmklassiker gewordenes Meisterwerk. Er gehört zum Meilenstein der deutschen und internationalen Filmgeschichte. Er galt als ein großer Durchbruch in der Filmgeschichte, weil er die Möglichkeiten des neuen Mediums in genialer Weise nutzen konnte. Bild und Tonmontage sind einander ebenbürtig. In den Bildern der Angst, des Terrors und der unheimlichen Bedrohung spiegelt sich die Vermutung wider, dass die Bürger zum passiven Opfer der politischen Zustände der Zeit wurden.

Wenn man betrachtet, welche Veränderungen sich in der Periode zwischen den zwei Weltkriegen vollzogen, ist zu bemerken, dass die deutsche Filmindustrie eine große Rolle in der Geschichte der europäischen Filmproduktion spielte. Es ist kein Zufall, dass sich die deutsche Filmkultur am schnellsten entwickelte. Man muss auch daran denken, wie die sich abzeichnende nationalsozialistische Politik die propagandistischen Filme in ihren Dienst stellte.
Diese Periode beherrschte eine Art gelähmter Zustand, das Gefühl der Unsicherheit wegen der erwähnten politischen Gründe: Ihre Wirkung auf die Filmindustrie war, dass das Niveau der propagandistischen, populären Filme niedrig war. In der Gesellschaft sich vollziehende Veränderungen übten nicht nur auf die Gedanken der Filmregisseure, sondern auch auf die der Philosophen einen großen Einfluss aus, die Verwandlungen auf ihre Art dargestellt haben. Dank der im 20 Jahrhundert erfolgten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen entstand ein neues Phänomen. Die Masse als Matrix, wie ein Menschennetz, das die ganze Welt hindurch zieht. Nach Jaspers metaphorischer Formulierung ist dies „der Strudel des modernen Daseins“. Oswald Spengler deutet an, dass die Masse ein unfassbares Ungeheuer, „ein Anonymat der anderen, das Nichts der großen Zahl” sei (Anonymat: Die Indifferenz der Masse). Von den Theoretikern wird angenommen, dass die Masse die spezifisch nihilistische Macht des 20. Jahrhunderts darstellt, dessen Aufenthaltsort, das undurchschaubare Labyrinth sei. Die Menschen sind intellektuelle Nomaden.
Heideggers Mann oder Masse charakterisiert anschaulich diesen spezifisch modernen Prozess, er beschreibt diesen als „Einebnung aller Seinsmöglichkeiten”. Seiner Ansicht nach ist die Masse das möglichkeitsblinde Niemand, das alles verdunkelt und das Schema der Alltäglichkeit vorschreibt. In der Masse wird die Verantwortung auf den namenlosen anderen übertragen und die Entscheidung verdrängt.
Poe zeichnet das Bild der Masse als Geheimschrift ab, deren Code vom Detektiv erst dann enträtselt werden kann, als seine Interpretation die indifferente Oberfläche der Masse durchdringt. Die interpretierte kulturelle Tätigkeit hilft uns dabei, den Beruf, Charakter und die Herkunft von den Gesichtern ablesen zu können. Das kann man mit einem Vergleich veranschaulichen. Ein Buch zu lesen, so wie einer Spur im Walde zu folgen. Denn der Text ähnelt einem Wald, die detektivische Aufklärung einer Jagd und die Spurensuche (im Wald) der Großstadt. Dies stellt die Figur des Detektivs im 19.Jahrhundert dar.
Aus dem Geist der modernen Masse ist der Kriminalroman geboren. Auch der Film von Fritz Lang ist eine Bearbeitung einer Kriminalgeschichte, in der es um einen Kindermörder geht, der von der Unterwelt und der Polizei verfolgt wird. Das Vorbild des Massenmörders Hans Beckert dürfte der Düsseldorfer Massenmörder Peter Kürten gewesen sein, der am 24. Mai 1930 nach 15 Morden festgenommen wurde. Durch einen Zeitungsbericht kam Fritz Lang bzw. seine Frau auf die Idee, über diese Geschichte ein Drehbuch zu schreiben. Fritz Lang ist ein 1890 in Wien geborener Drehbuchautor und Schauspieler. Seine ersten Erfolge erlangte er noch im Zeitalter des Stummfilmes, aber der Tonfilm bedeutete für ihn den echten Durchbruch. Seine Filme erzählen zumeist utopische und fantastische Geschichten, die in einer expressiv düsteren Atmosphäre inszeniert werden. Als einer der bedeutendsten Filmemacher der deutschen expressionistischen Bewegung vermag er den Seelenzustand der Figuren mit der Entstellung des Raumes, mit dem Wechsel des Lichtes und des Schattens, mit dem Spiel des Dunkels und Tageslichts auszudrücken. Das ganze massenpsychologische Fresko der Epoche tut sich vor uns auf, ohne Narrator, nur durch die Kraft der Bilder. Der psychische Zusammenbruch des schizophrenen Kindermörders stellt den Höhepunkt des Films dar. Der Mörder wird hier nicht als Bestie, sondern als Triebtäter vorgestellt, der selbst unter seinem Verbrechen leidet. Im Film stellt sich die Frage, wer über eine Psyche gespaltene Persönlichkeit, eventuell ein Opfer der modernen Massengesellschaft, ein Urteil auszusprechen vermag. Die Unterwelt oder die Polizei? Wer hat das Recht, das zu tun? Der Film lässt das Ende offen, stellt damit aber eine „präzise Gegenwartsdiagnose” auf. Dieser Film ist nicht ganz expressionistisch, vielmehr realistisch. Er experimentiert mit den Mitteln des realistischen Films, aber er hat nicht die Absicht, Alternativen oder Lösungen anzubieten.