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Zeitung << 2/2007 << Die Probleme beim Schreiben von Reiseliteratur


Die Probleme beim Schreiben von Reiseliteratur
Trilaterales Seminar in Torun

Autorin: Emma Sajben

Sie saß vor dem Computer mit einem müden Gesichtsausdruck. Sie dachte schon die ganze Nacht nach, wie sie von ihrem studentischen Ausflug nach Torun in Polen schreiben könnte. Wie sollte sie eigentlich ihre besten Tage im Wintersemester 2007 zusammenfassen? Sie wusste nicht, ob sie fähig war ihre Gedanken, Erlebnisse und nebelhaften Erinnerungen zu sammeln.

Eben das war das Thema des Seminars in Torun. Was bedeutet Reiseliteratur? Welche Probleme hat man, wenn man über seine Reisen berichten möchte? Was kann man durch diese Gattung den Lesern vermitteln, wie kann man Stereotype und Verallgemeinerungen vermeiden, oder ist es eigentlich möglich, keine falschen Folgerungen zu ziehen? Soll man wie Alfred Döblin oder Joseph Roth dem traditionellen Weg folgen, und versuchen so objektiv wie möglich zu bleiben? Oder wäre eher die postmoderne Annäherungsweise besser, die auch durch Péter Esterházy oder Christoph Ransmayr vertreten sind? Esterházy arbeitet anscheinend nur mit den typischen Elementen dieser Gattung, trotzdem kann er erreichen, dass in seinem Roman das ganze Genre auf den Kopf gestellt wird. Wenn die Art und Weise des Schreibens von Reiseliteratur schon für den großen Künstler problematisch ist, wie kann sie, eine einfache Studentin ihren Reisebericht verfassen?
Und wenn die Art und Weise des Schreibens in Ordnung wäre, worüber sollte sie erzählen? Es gab so Vieles, woran sie sich nicht mehr erinnert, oder von dem nur Spuren in ihrem Gedächtnis geblieben sind. Die Stadt Torun ist natürlich unvergesslich. Die engen Straßen mit Katzenkopf, der Geruch des Lebkuchens und die wunderschönen Lederwaren in den Schaufenstern der Geschäfte in der Fußgängerzone sind solche Eindrücke, die sich tief in ihr Gedächtnis eingeprägt haben. Das ist die schöne Seite der Stadt. Sollte sie auch von den Schattenseiten erzählen? Die größte Enttäuschung für sie war, dass nur sehr wenige der gefragten Einwohner eine Fremdsprache gesprochen haben. Und dabei kamen ihr ihre Russischkenntnisse und ihr Sprachgefühl zur Hilfe, da sie sich eher so fühlte, als ob sie ihre Sprache erlernen müsste, um sich verständigen zu können. Sie entschied sich, darüber nicht zu erzählen, da diese nicht so positiven Erinnerungen sicherlich schnell in Vergessenheit geraten würden.
Wenn sie irgendwo stecken bleibt, blättert sie in ihren Photoalben; das ruft die besten Momente hervor. So wird sie sich immer daran erinnern, als sie und ihre ehemalige beste Freundin bei der größten Kälte am Ufer der Weichsel einander fotografier­ten. Das Abendessen im österreichischen Restaurant Servus gehört auch zu den unvergesslichen Momenten des Ausflugs. Nach dem köstlichen Essen spielten ungarische Musikanten Geige, und die Gruppe aus Ungarn sang die Volkslieder des Landes mit. Es war berauschend für sie zu singen, was sie schon seit Jahren nicht gemacht hatte, aber sie schämte sich auch, da sie schon sehr viele Lieder vergessen hatte. Spitzenmoment der drei Tage war, als die ganze Gruppe, Deutsche, Polen und Ungarn zusammen ein Lied in ihrer eigenen Sprache sangen. In diesem Moment hätte man wirklich sagen können, dass es ein trilaterales Seminar war.
Es war schon das dritte Mal, dass sie an diesem Trilateralen Seminar teilgenommen hatte. Der Kreis wurde geschlossen: als Grünling begann sie in Göttingen, in Szeged empfing sie die ausländischen Gruppen und beim letzten Mal war sie Mitglied des Seminars in Polen, wo sie schon den Wind der Veränderung an sich spürte. Der Leiter der deutschen Gruppe, Torsten, gibt seine Aufgabe weiter an seine Kollegin, viele der bisherigen Gruppenmitglieder schließen ihre Studien ab und die neuen Studenten an der Uni in Szeged verdienen auch die Möglichkeit, an diesem einmaligen Erlebnis beteiligt zu werden. Sie wird überschüttet von der Nostalgie, und murmelt ein leises „Danke“. Das Trilaterale Seminar hat ihr viel Spaß gemacht und nicht wiederkehrende Möglichkeiten geboten, aber es kostete sie auch viel Fleiß, Arbeit und Kreativität. Es lohnte sich manchmal unter strengem Zeitdruck zu arbeiten oder in vier Wochen drei Romane zu lesen; ihre Erlebnisse waren all diese Arbeit wert gewesen.
Als sie von diesen Gedanken zur Besinnung kommt, blickt sie auf die Uhr, und bemerkt, dass sie seit Stunden nichts geschrieben hatte. Sie verstand, warum es schwierig ist, Reiseliteratur zu schreiben. Der blitzende Kursor auf dem leeren Blatt fängt an, sie zu ärgern. Sie schließt das Programm, schaltet den Computer aus, und nimmt ihr Fotoalbum wieder vor. Sie wusste schon, dass sie sich schon von Anfang an entschieden hatte, den Artikel nicht zu schreiben.