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Literatur und Film
Ein weiterführendes Blockseminar an der Szegeder Uni

Autor: Sándor Török

Im Wintersemester 2007 fand die mit dem Titel „Filmseminar: Von Peter Handke bis Wim Wenders“ markierte Lehrveranstaltung durch zwei Gastdozenten aus Kassel mit Betreuung von Attila Bombitz statt. Wie es bei einem Blockseminar auch angebracht ist, haben sich die Teilnehmer bis in den späten Abend am Lehrstuhl für Österreichische Literatur und Kultur die verschiedensten Filme angeschaut, und dann versucht diese Werke mit Hilfe von Simone Malaguti und Bernd Maubach auf eine intertextuelle Art zu interpretieren, mit dem Ziel, diese Filme möglichst aus einer literarischen und auch aus einer filmischen Perspektive zu betrachten.

In der Schulzeit kam es vielleicht bei uns allen vor, anstatt der Pflichtlektüre deren Verfilmung als eine brauchbare Alternative zu sehen. Warum diese Vorgehensweise in den meisten Fällen nicht den erwarteten Erfolg gezeigt hat, hängt mit der Verfilmung als Gattung zusammen, da sie seine eigene Interpretationsart erfordert. Diese muss man kennen, einen Film und sein literarisches Werk parallel vor Augen haben zu können. Und um die eventuellen Unterschiede zwischen Buch und Film nicht sofort als Verlust zu bezeichnen, sondern sie als Möglichkeiten oder Lösungen des Verfilmens aufzufassen.
Das Buch und der in vielen Fällen gleichnamige Film sind nicht Ein und das Selbe; der Filmemacher muss sich intensiv mit dem Stoff beschäftigen, um ihn in seiner inneren Vollständigkeit wiederzugeben und auch um etwas Originelles zu schaffen.
Wir behaupten also, dass der Film in diesem Sinne kein Buchersatz ist. Was ist er dann? Eine autonome Kunstform, insbesondere nach dem revolutionären Bruch des Deutschen Filmes mit dem traditionellen und auch politisch motivierten Filmemachen im Jahre 1962. „Papas Kino ist Tod“ sagte man in Oberhausen, wo das Manifest des neuen Films entstand.
Deswegen ist auch das Thema der Verfilmungen ein bisschen an der Grenze zwischen Filmforschung und Literaturwissenschaft. Es wirft Fragen auf, die von beiden Gebieten beantwortet werden müssen. Nicht nur die Verfilmung an sich zählt, sondern wie diese Verfilmung realisiert wird. Ein Buch hat einen Weg an die Leinwand, der von den Lesern und Zuschauern im Sinn behalten werden soll. Diese Aufgabe hat auch der Filmemacher, denn durch seine Arbeit wird der besprochene Weg gegangen. Das Werk soll literarisch gelesen, der Film mit „filmischen“ Augen angesehen werden.
Jeder Film hat etwas Geschriebenes im Hintergrund, wobei die Drehbücher mehr auf das Filmemachen konzentriert sind. Dem entgegen kommt ein literarisches Werk nicht mit dem Ziel aus, im Kino gezeigt zu werden. Es muss also „passend“ gemacht werden.
Der erste wichtige Wendepunkt bei einer Verfilmung ist das Material und deren zeitliche Länge. Ein Film sollte im Falle eines langen Romans nicht mehrere Tage dauern. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, die sich aus der Charakteristik des benutzten Werkes ergibt, wie zum Beispiel Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin. In Fassbinders Verfilmung besteht der Film aus 13 Teilen und einem Epilog.
Das Grundmaterial passt folglich nicht immer in seiner unberührten Struktur in den Film. Was darf man weglassen? Eine einfache, aber wichtige Frage, weil die inneren Erzählstrukturen eines Werkes im Film nicht auf die gleiche Weise aufgebaut werden können. Das sind die ersten Hauptprobleme des Regisseurs. Grob gesagt: Alles muss gekürzt werden.
Abgesehen von den verschiedenen literarischen Techniken, die in den Werken für die Intensität, Geschwindigkeit und Expressivität einzelner Szenen sorgen; wie sollen die auf der Leinwand in Schnittlänge oder Effekte übersetzt werden?
Fragen zu Verfilmungen überhaupt kamen in diesen Veranstaltungen auch zur Sprache. Sollen diese Werke im Sinne des Ideenmangels als Plagiate beurteilt werden? Oder findet nur der Regisseur, dass ein literarisches Werk auch heute aktuell ist und will er dessen Zeitlosigkeit mit der Verfilmung beweisen? Oder stellt zum Beispiel Haneke mit der Klavierspielerin ein Denkmal für Jelinek dar? Dies wäre die Grundauffassung dafür, dass die Verfilmungen nicht als Verlust, sondern als eigenständige Werke aufgefasst werden sollten. Das benötigt aber eine neuartige Interpretation, bei der nicht nur der Film, sondern auch sein Originalwerk zum ganzen Verstehen beitragen kann, aber nicht muss. Der wichtigste Punkt für das Verstehen ist, wie die eine Gattung in der anderen ihren Platz mit Hilfe des Regisseurs einnimmt.
Simone und Bernd haben der Gruppe auch viele Beispiele aus Kassel mitgebracht, bei denen wir selber erst herausfinden mussten, wie man einen Textteil mit filmischen Techniken realisieren könnte. Unsere wichtigsten Autoren waren unter anderem Fontane mit Effi Briest, Jelinek, Handke, und deren Verfilmungen.
Das Weiterführende bei diesem Seminar ist, dass heutzutage sehr viele literarische Werke in Kinos und auf DVDs erscheinen, und es so aussieht, dass dieses Gebiet der Filmforschung noch viele Möglichkeiten bietet, die zwei Kunstformen gleichzeitig unter die Lupe zu nehmen. Für eine Diplomarbeit wäre es beispielsweise auch eine gute Idee. Damit bildet sich eine Linie vom Geschriebenen bis zu den Kamerafahrten. Das bietet auch viele wissenschaftliche Annäherungsmöglichkeiten.
Das Thema an sich könnte auch interessant sein, indem man zum Beispiel den Film von Wim Wenders: Himmel über Berlin zu Hanekes Werk zurückführt, und danach das ganze zu Nicolas Cage und Mag Ryan in den Film City of Angels weiterführt. Eine Erzählung kann also einen sehr langen Weg haben, wie die Traumnovelle von Arthur Schnitzler. Zur Jahrhundertwende erschien es, und beinahe hundert Jahre später übernahm Stanley Kubrik die Regie und schon sahen wir Tom Cruise und Nicole Kidman in derselben Erzählung in New York im Kino. Natürlich gab es Unterschiede zwischen den zwei Werken, aber das ist auch gut so.




Nach dem Seminar

Nach dem Seminar und natürlich während der kleineren Rauchpausen haben wir viel diskutiert. Aber auf jeden Fall passiert die ganze Sache im positiven Sinne: Für die nicht enden wollenden Diskussionen gelten verschiedene Kneipen als Stammort. Die beste und absolut zu unserem Seminar beziehungsweise zu unserer Weltauffassung passende Kneipe, war das Grand Café. Im Rahmen des Seminars haben wir über das „echte” Grand Café in Paris gelernt, vielleicht war deswegen unsere Wahl so eindeutig: Wir Germanisten, mögen alle das Grand Café. Sonst herrscht in diesem Ort, was eigentlich als Café, als Kneipe, als Kino und als „Seminarraum” funktioniert, eine sehr gute und einzigartige künstlerisch impulsive Stimmung. Nicht nur die Deutschen, sondern auch ein paar Lehrer von uns haben die gleiche Meinung. Als zufällige oder manchmal auch direkte Begleiter hatte diese sehr familiäre Gruppe: Herrn Bombitz, Herrn Hárs, „Marco Winkler und die NSZK”, und einmal (wir waren so glücklich) den Autoren László Darvasi. Simone war sehr begeistert von Darvasi (wenn ich mich recht erinnere, wegen der Küsse der Portugieser, weil „es eigentlich weltbekannt ist, dass die Portugiesen am besten auf der Welt küssen”). Während der ständig steigenden Spannung, hat sie mir gleich eine spontane Frage gestellt: „Welches Musikinstrument passt wohl zu der Kunst von Darvasi? Geige oder Klavier?” Ohne Kontext oder ohne Vorgeschichte sagte mir diese Frage weiter nichts. Mit Kontext? Ein Leben… ein Symbol… ein revolutionäres Herz (wer anders denkt)… Kaffee und Zigarette… eine künstlerische Seele… Effi Briest (die ewige Sünderin, die wir akzeptieren können)…Homo faber…und ganz am Ende: Apokalyptika. Aber dieses Rätsel oder diese Symbolik möchte ich so in dieser rätselhaften Form belassen. Die Lösung kennen nur ein paar Leute, die damals in der Kneipe saßen, die, kann man sagen, eine kleine Clique bildeten.
Mit Bernd werde ich immer den ungarischen Wein verbinden, den wir aus einem Plastik-Schnapsglas getrunken haben. Im Seminarraum durfte natürlich nicht geraucht werden, weswegen wir oft während des Filmes Traumnovelle eine rekord-quantitative Menge von Rauchpausen gemacht haben. Sonst war unser Wein „der alte und klassische Cabernet”, den man normalerweise nicht mit Wasser vermischen darf! Ich habe nur zufällig erzählt, dass mein Lieblingsautor Kafka ist, und ich hatte Glück, weil unsere „Prüfungsaufgabe” (natürlich sehr stilistisch per E-Mail) die Verwandlung von Kafka war. Unsere Drehbücher mussten wir sehr schnell für „die ewige (Wild-)Romantikerin” (Simone) und für einen netten, witzigen Kerl, der nie eigene Zigaretten hatte, und immer meine Zigaretten geraucht hat (Bernd), machen. Die Kasseler Tutoren Miriam und Paul, gehörten zwar nicht zu unserer Seminargruppe, aber sie waren fast immer bei uns. Als Symbol der ungarischen Freundschaft habe ich ihnen unsere Fahrräder für diese vier Wochen geschenkt.
Diese Phänomene charakterisieren sehr passend unser Seminar: ein bisschen chaotisch, frech und blöd, aber trotzdem lustig und temperamentvoll, was Pauls Meinung nach nur beim Saufen typisch für Ungarn ist; sonst, im Rahmen der Seminare, sind die Ungarn passiv oder nur gehemmt. Trotz aller Frechheiten waren wir eine absolut aktive und motivierte Gruppe und diese paar Wochen galten wirklich als eine Kuriosität des Semesters, wenn man noch nicht so streng lernen muss, aber man trotzdem etwas erleben kann, was etwas typisch Philosophisch-Geisteswissenschaftliches ist, auf schön ungarisch gesagt: bölcsész. Es ist auch eine Art Kunst, und auch eine Art Wissenschaft, wo der Studierende spielerisch lernt, das (jetzige) Leben zu genießen. Wenn so viele verschiedene Charaktere aufeinander treffen, dann kann nur etwas Gutes dabei herauskommen. „Film und Kunst muss man erleben, und nicht nur darüber reden!”
Anita Ráczné Romsics