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Zeitung << 1/2008 << Minderheiten in Rumänien
Minderheiten in Rumänien
Begegnungen mit Siebenbürger Sachsen und Moldauer Ungarn
Autor: Dániel Lipták
Rumänien... Kennen wir dieses Land? Na klar, es ist ja in der Luftlinie kaum 15 km von Szeged entfernt. Und sonst? Man hat viel von den ungarischen Bezügen Siebenbürgens gelesen, vielleicht auch mal eine Reise ins Széklerland gemacht, aber in mancher Hinsicht bleibt Rumänien ein fremdes Nachbarland. Es ist nach wie vor ein Reich mit vielen verschiedenen Regionen und Kulturen, trotz kommunistischer, chauvinistischer und – neuerdings – globalistischer Gleichschaltung. Für uns, Musiker des Mentés Másként Trió, vor allem ein Land, wo man noch heute traditionelle Dorfsmusik finden und aufnehmen kann. Mit diesem Ziel habe ich mit meinen Freunden Géza Fábri und Tünde Ivánovics schon mehrere Reisen nach Moldau (Ostrumänien) gemacht. Unsere Erlebnisse sind unvergesslich. Da begegnen wir immer wieder einer ganz anderen Welt, wo die Leute anders denken und die Dinge anders bewertet werden.
Wer aus Szeged auf der südsiebenbürgischen Hauptverkehrsstraße nach Moldau fährt, durchquert verschiedene Kulturgegenden. Die Straße ist für den schweren Verkehr viel zu eng, an manchen Stellen vernachlässigt, und führt durch viele Stadtzentren. Man reist also schön langsam, und für den furchtbaren Abgasgestank wird man dadurch entschädigt, dass man unterwegs auch vieles sehen kann.
Kurz hinter Kronstadt (Brasov / Brassó) lassen wir uns einmal zu einem Besuch nach Honigberg (Harman / Szászhermány) verführen, um ein schönes Exemplar der berühmten siebenbürgisch-sächsischen Burgkirchen zu besichtigen. Nach dem Exodus der Sachsen steht die prächtige Kirche wohl so gut wie leer. Der Verwalter, ein kleiner, grauer, wortkarger Sachse, taucht auf. Wie viele Leute gibt es noch im Dorf, mit denen er in seiner sächsischen Mundart reden kann? Die meisten alten Häuser des Dorfes sind ja heute von Rumänen und Zigeunern bewohnt... Wir wagen es nicht, die Frage zu stellen. Auf Hochdeutsch erklärt er gerade dies und das einigen Besuchern aus der Bundesrepublik, und wir hören zaghaft zu. Vor kurzem habe man die herrlichen türkischen Teppiche, die das Kircheninnere zieren, nach Kronstadt bringen wollen, um sie unter besseren Umständen auszustellen. Die Mentalität, die diese Gemeinschaft und ihre Traditionen seit 800 Jahren bewahrt hat, äußert sich heute noch, wenn auch die Gemeinschaft selbst schon dahin ist: „O nein. Von uns Honigbergen werden sie nie etwas bekommen“ – und jetzt endlich erscheint auf seinem Gesicht ein kleines, bitteres Lächeln.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war für die Siebenbürger Sachsen eine traurige Geschichte. Sie wurden zwar nicht sofort nach dem Kriegsende vertrieben, wie viele osteuropäische Deutsche, es folgten aber Jahrzehnte gekennzeichnet durch Entrechtung, Deportation und Enteignungen – bloß der deutschen Abstammung wegen. Eine Flucht aus Rumänien war praktisch unmöglich; es war erst nach 1978 gestattet, das Land zu verlassen. Dann aber ging die Auswanderung los: von den 248.000 Sachsen, die vor dem Krieg in Siebenbürgen lebten, sind heute knapp 20.000 geblieben.
Die ungarische Minderheit des Landes ist also beträchtlich größer als die deutsche. Beide haben die gleichen Rechte, zumindest im Prinzip. Deutsche wie auch ungarische Schulen, Vereine, Kirchengemeinden rund um Siebenbürgen arbeiten und wirken ungestört. Doch in der Praxis gilt das nicht für das ganze Gebiet Rumäniens. Moldau ist ja eine ganz andere Sache...
Durch den Ojtozer Pass und die herrlichen Wälder der Karpaten erreicht man Moldau. Nach den erbärmlichen Straßenverhältnissen in Siebenbürgen findet man in der Umgebung von Bacau (Bákó) breite, nagelneue Hauptstraßen mit Einkaufszentren, Fast-Food-Restaurants und den neuesten BMW-Geländewagen. Abseits der großen Straßen findet man aber noch immer eine andere Welt: die der humpligen Feldwege und der sich verschließenden Dörfer, wo man noch ungarisch sprechen und singen kann. Der erste Moldau-Ungar, den ich treffe, ist Anti Gábor, der achtzigjährige Geigenspieler in Kalagor (Luizi-Calugara). Im Holzrauch der kleinen Kammer liegt er mit seinem verstümmelten Fuß auf dem Bett, trinkt schlechten Wein, isst den ganzen Tag kaum etwas, und hört sich im Radio eine katholische Messe auf Rumänisch an – in einer furchtbaren Lautstärke. Er lebt ganz allein, und jenseits seiner Verschlossenheit fühlen wir, dass er sich freut, mit uns musizieren und reden zu können. Mit jedem Glas Wein kommt auf uns ein weitschweifiger Segen mit zahlreichen Heiligen zu.
In der vorwiegend orthodoxen Moldau leben 250.000 Katholiken ungarischer Herkunft. Davon sprechen heute noch etwa 60.000 Leute die ungarische Sprache. Aber was für eine ungarische Sprache? Für unsereinen bei der ersten Begegnung vielleicht unverständlich, aber mit etwas Übung gelingt die Kommunikation schon leichter. Die traditionelle Lebens- und Denkweise der Csángó-Ungarn, ihre sozusagen mittelalterliche Frömmigkeit, ihre Lieder und Geschichten bilden mit unserem Alltagsleben, ja auch mit der Welt der Bacauer Hauptstraße einen starken Kontrast. Mittelalter und Postmoderne sind hier direkt nebeneinander, innerhalb eines Menschenlebens zu finden.
Die gewaltige Assimilation der Csángó dauert noch heute an, und die Geltendmachung der Minderheitenrechte in dieser Region der EU lässt noch manches zu wünschen übrig. Trotz der 2001 angenommenen Empfehlung des Europarats sind die Moldauer Ungarn offiziell nicht als eine ethnische, sondern bloß als eine religiöse Minderheit anerkannt, die eigentlich rumänischer Herkunft sei. Tatsächlich halten sie selbst den katholischen Glauben für weit wichtiger als das Ungartum, und so ist die Moldauer katholische Kirche in der Lage, als das wirksamste Werkzeug der Assimilation aufzutreten. In Moldau gibt es trotz wiederholter Anträge keine Messen auf Ungarisch, selbst nicht in den Dörfern, wo praktisch alle Einwohner Ungarisch sprechen.
Ungarischen Unterricht gibt es in den moldauischen Schulen auch nicht, dafür aber im Rahmen des Nachmittagsunterrichts der Vereinigung Moldauer Csángó-Ungarn (MCSMSZ), der seit einigen Jahren in zahlreichen Dörfern erfolgreich wirkt. Im Dorf Gajdár (Gaidar) treffen wir das Ehepaar Farkas-Ferencz, die am Muttersprachprogramm als Lehrkräfte teilnehmen. Endre kommt aus Ungarn, Gabi aus dem Széklerland. Ihre Arbeit ist hart: sie besteht nicht bloß aus den Ungarischstunden im kleinen Klassenzimmer ihres Bauernhauses – sie bedeutet auch einen ständigen Kampf mit den Behörden und den sozialen Problemen der Kinder. Wir geben ein kurzes Konzert und einen improvisierten Tanz- und Gesangsabend für ihre Schüler, die sich beim Muttersprachunterricht auch mit den traditionellen Tänzen und Liedern ihres Dorfes beschäftigen. Die Energie, die uns in den aufmerksamen Augen, den ungeschickten ungarischen Wörtern, im Singen und Tanzen dieser Kinder entgegen strahlt, ist unbeschreibbar. Was wir gespielt haben, ist eine zu geringe Gegenleistung. Diese Energie haben wir mit nach Hause gebracht und wir fühlen sie noch heute immer wieder. Und dann zieht es uns zurück nach Moldau...
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