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Zeitung << 1/2008 << Musik aus „zwei Welten”


Musik aus „zwei Welten”
Eine Wochenendgeschichte über Bach und Discomusik

Autorin: Anita Arnold

„Was für ein Bekloppter trägt so eine dämliche Perücke? Und dieses Outfit? Wer ist dieser Kerl?” Das waren die ersten Fragen meiner Bekannten aus Deutschland als sie bei mir zu Besuch war und ein Bild von Bach auf meinem Schreibtisch fand. „Bekloppt und dämlich?” Nun ja, etwas anderes hätte ich von ihr wohl nicht erwarten können. Mit ihren rot gefärbten Haaren, schwarzen Lacknägeln und der Aufschrift ’I love Disco’ auf ihrem Pullover scheint sie wirklich keine Ahnung von der klassischen Musik zu haben. Wahrscheinlich hätte auch Bach zu seiner Zeit dieses Mädchen aus dem 21. Jahrhundert mit einem dämlichen und bekloppten Gesichtsausdruck angesehen.
Ich schaute mir das Bild an, und versuchte ihr diesen Unbekannten in weißem Hemd und schwarzem Mantel, mit einer weißen Perücke auf dem Kopf, näher zu bringen. „Bach, ja? Ich weiß, dass er Orgelmusik spielte, worauf kein Mensch tanzen konnte. Heute würde man ihn nur auslachen. Seine Musik ist schon veraltet”, fuhr sie mit verachtendem Grinsen fort. Da ich auch Orgel spiele, hielt ich es für meine Pflicht, diesen armen ’Kerl’ zu verteidigen, so erzählte ich kurz ein Porträt über diese Witzfigur, über einen der gebildetsten Musiker zu seiner Zeit. „Er studierte in den Eliteschulen, war Dirigent im Weimarer Herzoglichen Hof, schuf die größte und beste Passionsmusik, die es gibt, und er war auch der Kapellmeister des Collegium Musicum. Außerdem komponierte er in den 1720er Jahren für jede Woche ein neues Meisterwerk“. Darauf hin öffnete meine Bekannte ihren Mund, und nach einem langen Gähnen wurde mir klar, dass sie keine Vorstellung von diesen Sachen hatte.
„Kennst du seine D-moll Toccata & Fuga?”, fuhr ich fort, und spielte ihr den Anfang vor. „Ach ja, diese kenne ich, aber es ist mir zu kompliziert, und dieses große Durcheinander stört meine Ohren.”
Kompliziertheit und Selbständigkeit, diese zwei Eigenschaften lassen sich nur schwer in der Discomusik finden, ging mir durch den Kopf. „Wusstest du, dass die Antiken auch schon etwas von Discomusik verstanden haben?” Na endlich konnte sie den Faden aufnehmen! Sie schaute mich mit einem verblüfften, und neugierigen Gesichtsausdruck an, als ob sie mich bitten würde, das Geheimnis des ewigen Lebens zu enthüllen. „Oh ja, die wussten auch, wie man die Menschen manipulieren kann. Auf dem Schlachtfeld, zum Beispiel, haben sie immer den gleichen Takt gespielt, damit der Mensch mit der Todesangst rhythmisch und automatisch in diesem Takt marschiert. Heutzutage ist auch ein ähnliches Phänomen charakteristisch. Den eigenen Willen in den Hintergrund gestellt, gehen sie in diese Lokale, wo sie ihren Durst nach der Manipulation stillen können. So etwas findest du in Bachs Werken nicht. In seiner Musik dominieren Gegenpunkte, und wenn deine Ohren sich schon an einen Grundrhythmus anpassen wollen, kommt dieses Durcheinander, und das Ganze verändert sich. Dies zeigt auch, dass seine Musik selbständig und nicht geeignet für die Disco ist.”, habe ich ihr erklärt.
Offenbar war sie mit meiner Antwort nicht zufrieden, deshalb sind wir in eine Disco gegangen. Sie amüsierte sich sehr gut, und mir schien, ich konnte sie immer noch nicht überzeugen, dass diese Musik zu „einfach“ sei. Auf dem Heimweg hatten wir uns wiederum über dieses Thema unterhalten.“ Du bist zu altmodisch, und verankert“, war ihre Meinung. Nun gut, nächsten Abend sind wir in die Kirche gegangen, was mir Spaß machte, aber ihr scheinbar nicht. Sie verstand nicht, warum diese Leute hier sitzen, und veraltete Lieder vor sich hinsingen, und sich so gelassen diese Kirchenmusik anhören können.
Bei mir zu Hause unterhielten wir uns noch mal über unsere Erlebnisse und Ansichten: „Weißt du was? Du bist mir zu neumodisch!“, antwortete ich, und damit beendeten wir unseren kleinen Streit.