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Zeitung << 1/2008 << Ungarn in der Welt


Ungarn in der Welt
Ungarische Fußballspieler in Deutschland und in Österreich

Autor: Gábor Szágos

Ärzte, Biologen, Chemiker, Ingenieure kehren ihrem Heimatland den Rücken. Das ist leider schon eine normale Erscheinung in Ungarn. Dieser Gruppe schließen sich heutzutage auch Sportler an. In den Zeitungen und in den Nachrichten wird immer öfter über ausländische Verträge ungarischer Sportler berichtet. Die Manager versuchen vor allem, sich an Jugendliche heranzumachen. Zum Glück haben wir viele Talente im Sportbereich, auch im Fußball. Renommierte Vereine wie FC Liverpool, PSV Eindhoven, Borussia Dortmund, AEK Athen, Dinamo Kiew, Internazionale haben Interesse an ungarischen Fußballspielern. Einerseits sind wir stolz auf unsere Landeskinder, andererseits kommen wichtigen Fragen auf: Inwieweit ist der Export der Talente rentabel für den ungarischen Fußball? Fördern oder behindern die ausländischen Verträge die Entwicklung des ungarischen Fußballs?

Geschichtlicher Überblick
Ungarische Fußballspieler haben schon in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im Ausland gespielt. Ferenc Puskás hat 1958 das Angebot von Real Madrid, dem Fußballklub Nr. 1 in Spanien, angenommen. Einige Ungarn folgten noch seinem Beispiel, wie Sándor Ko­csis (1958 FC Barcelona) oder später die Vertreter einer anderen Generation wie Tibor Nyilasi (1983 Austria Wien) oder Lajos Détári (1987 Eintracht Frankfurt). Aus welcher Ursache haben sie ihren Standort ins Ausland verlegt? Ist es Interesse an der eigenen sportlichen Entwicklung oder nur an einem wohlbezahlten Vertrag, vielleicht auf Ruhm hoffend? Und wie sieht es heute aus?
In den neunziger Jahren ist die Welle der Spielerexporte aufgeblüht. Pál Dárdai und Gábor Király (1997 Hertha BSC) und Imre Szabics (1999 SK Sturm Graz) waren die bedeutendsten Fußballer, die Ungarn verlassen haben. Auch heute spielen sie im Ausland: Dárdai noch bei Hertha Berlin, Király schützt das Tor vom englischen Barnsley und Szabics gehört zum Kader des Klubs Augsburg. Ich kann nicht behaupten, dass sie heute zu den besten ungarischen Fußballspielern gehören, aber damals waren sie doch die Stabilisatoren der ungarischen Nationalmannschaft.

Nachwuchs: die Zukunft?
Vor zwei, drei Jahren kam es in Mode, Nachwuchsspieler zu verpflichten. Dies hat u.a. die einfache Ursache, dass Nachwuchsspieler weniger kosten. Meiner Meinung nach sind sie sogar motivierter als die älteren Spieler und, was noch sehr wichtig ist, haben die Jugendlichen größeres Interesse an dem Spiel als am Geld. Trotzdem unterscheide ich z.B. Ungarn die in Deutschland und die in Österreich spielen. Man kann nicht sagen, dass der österreichische Fußball weltberühmt und außerordentlich erfolgreich ist, aber er ist besser als der ungarische Fußball. Deshalb ist das Geld die primäre motivierende Kraft bei einem österreichischen Vertrag; nebenbei ist sogar das Land fortschrittlicher. In Deutschland ist es ein bisschen anders. Weltberühmte Vereine und weltbekannte Fußballspieler, Teilnahme an den europäischen Cups (Champions League, UEFA-Cup), starke Fußballligen: solche zukräftigen Erwägungen locken die Ungarn nach Deutschland. Natürlich sind die Preise höher als bei uns, aber der Anreiz für ungarische Spieler durch das hohe Niveau des deutschen Fußballs halte ich für stärker als den Anreiz durch die Bezahlung. Vielleicht bin ich zu optimistisch.
Das Interesse am Fußball ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich viel größer als in Ungarn. Im Saison 2006/07 ist zum Beispiel die Anzahl der Zuschauer 39.998 pro Spiel in der 1.Bundesliga Deutschlands! In Ungarn ist die durchschnittliche Zuschauerzahl ungefähr 1000 pro Spiel. Obwohl die Bevölkerung Deutschlands größer als die von Ungarn ist, ist das eine bezeichnende Abweichung. Namen werden in einem Match von tausenden Fans in Chor gerufen. Namen, die wir in Ungarn gar nicht oder kaum kennen. Diese Szenen kann ein ungarischer Fußballer in seinem Heimatland leider nicht erfahren.
Zurzeit spielen mehr als hundert Ungarn Fußball im Ausland. Nicht nur in Europa, sondern auch in Südamerika, in Afrika oder in Asien. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich haben mehr als zwanzig Ungarn einen gültigen Vertrag. Natürlich nicht nur in die ersten, sondern auch in den untersten Divisionen (1. und 2.Bundesliga, Regionalliga, Oberliga). Unter den einstigen bzw. heutigen ungarischen Nationalspielern gibt es viele, die in Deutschland oder in Österreich spielen. Wichtigere Namen sind (in Klammern die gegenwärtigen Klubs): Csaba Csizmadia (Mattersburg), Péter Orosz (Wacker Tirol), Szabolcs Sáfár (Austria Wien), Pál Dárdai (Hertha Berlin), Tamás Hajnal (Borussia Dortmund), Szabolcs Huszti (Hannover 96), Zsolt Lõw (Hoffenheim), Imre Szabics (Augsburg), Sándor Torghelle (Carl Zeiss Jena).
In der Nachwuchsausbildung hat sich in Ungarn sehr viel getan. Immer mehr Nachwuchsausbildungszentren werden gegründet und diese arbeiten mit vielen Kindern. Die europäischen Eliteklubs beschäftigen sich seit langem damit und in vielen Fällen bilden vor allem die jungen Spieler die Nr. 1. der Mannschaften.
Zum Glück zeigt sich also in Ungarn eine positive Entwicklung im Bereich der Ausbildung der Nachwuchsspieler, und zum Glück (oder leider?) bekommen immer mehr ungarische Talente ein ausländisches Angebot. Zumeist unterschreiben sie die Verträge und verlassen Ungarn ohne Gewissensbisse. Aber das ist mit Blick auf den ungarischen Fußball verständlich. Ob der Export sich lohnt, ist eine bilaterale Sache. Einerseits bringt das Auftreten der ungarischen Jugendlichen im europäischen Fußball Ruhm für Ungarn, und Unternehmer werden Spaß an ungarischen Sportinvestitionen haben. Das ausländische Kapital kann also z.B. bei der Renovierung und Modernisierung der Sportstadien oder der Leistungszentren helfen. Andererseits ergibt sich die Frage: wie kann sich der ungarische Fußball ohne die Talente fortentwickeln?
Die schlechte Meisterschaft hätte mit den aufstrebenden Jugendlichen vielleicht verbessert werden können. Was ist, wenn sie sich im Ausland verpflichten? Die Nationalmannschaft wird so vielleicht stärker, aber die ungarische Meisterschaft überhaupt nicht. Doch seien wir optimistisch und gute Patrioten. Einmal werden die Zeitungen vielleicht über ungarische Erfolge im Fußballbereich berichten. Oder ist es eine Utopie?